"Walküre": Stalins Aufstieg und Hitlergruß

"Walküre": Stalins Aufstieg und Hitlergruß
Regisseur Frank Castorf setzt bei der „Walküre“ auf politische Analysen, aber konventionelle Optik

Frank Castorf gibt dem Publikum in Bayreuth wirklich kalt-warm. Ob das jedoch System hat oder nur das Resultat eines chaotischen Probenprozesses ist (wovon er selbst im Programmheft zum neuen „Ring des Nibelungen“ spricht), lässt sich noch nicht beurteilen.

Nach der Bilderflut bei „Rheingold“, nach den zahlreichen Filmzitaten, von „Winnetou“ über Bud-Spencer- bis zu Tarantino-Filmen, ist „Die Walküre“ das genaue Gegenteil: Eine optische zutiefst konventionelle Arbeit, die nur durch ein paar Videos und den politischen Überbau zu einer Castorf-spezifischen wird. So, wenn auch vom Bühnenbild (Aleksandar Denić) nicht ganz so aufwändig wie in Bayreuth, könnte eine „Walküre“ in aller Welt aussehen. Eine Holzhütte, die dann zur Kirche und in weiterer Folge zu einem Lager wird – viel mehr gibt’s nicht. Doch, einen Truthahn in einem Käfig, der sich aber bei der Premiere ruhig verhielt. Bei den Proben soll er, als zu singen begonnen wurde, mitgekreischt haben . . .

Zu süßlich

Man durfte gespannt sein, was Castorf etwa mit dem Tenor Johan Botha macht. Er macht genau nichts mit ihm, was nicht das Schlechteste ist. Botha spielt den Siegmund so, wie in anderen Produktionen auch. Nur im Finale des ersten Aufzuges, bei den „Winterstürmen“, greift Castorf ein. Während Siegmund und Sieglinde einander anschmachten, ist der Kommentar des Regisseurs auf einem Video zu sehen: Erda (die ja in der „Walküre“ gar nicht vorkommt) verschlingt mit den Fingern eine üppige, fette Torte – so überzuckert, wie die Musik an dieser Stelle auf Castorf offenbar wirkt.

Dann geht es los mit dem Prinzip „Politik statt Poesie“, dann setzt Castorf seine erste provokante Botschaft: Man sieht Ölbohrungen und im Moment des musikalischen Glücks auch den Erfolg der Arbeiter. Danach wird Stalin auf einer Titelseite der Prawda gefeiert und sein Foto immer stärker herausgezoomt, sodass nur noch ein überdimensionaler Mann übrigbleibt, der die (linke) Hand zum Hitlergruß zu erheben scheint. Ein Bild, das in Bayreuth schreckliche Erinnerungen wachruft. Darum geht es Castorf also auch in der „Walküre“: Um das Erdöl, das Kapital und auch Diktatoren schafft.

Russisches Öl

Der zweite Aufzug spielt in Baku, zum Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber warum das? Dort, in Aserbeidschan, entdeckten die Russen die Bedeutung des Öls, sogar Stalins Aufstieg, der selbst in Baku war, begründet Castorf damit. Auch Alfred Nobel lässt Castorf bei seiner Wagner-Rätselrallye vorkommen. Dieser war in Baku ebenso am Öl-Business beteiligt. Darauf verweist der Regisseur, in dem er Nobels Erfindung des Dynamits per Video zeigt.

Eine metaphysische Ebene, eine Begegnung mit der Götterwelt wie in der Todesverkündung, gibt es nur im Ansatz, wenn etwa Brünnhilde vom Bohrturm aus zu Siegmund spricht. Der Walkürenritt ist ein Treffen reicher Russinnen. Und der Brünnhilden-Felsen ein schlichtes Bett, davor beginnt ein Ölfass zu brennen. „Lasst uns mehr Öl und Gas fördern für die geliebte Heimat“, steht auf einem Container.

Wenn man will, kann man sich aber bei dieser Inszenierung – immerhin leichter als bei „Rheingold“ – nur auf die Stimmen konzentrieren. Johan Botha ist in Topform und sang den Siegmund so schön, wie schon lange nicht: Mit ewig lang gehaltenen Wälse-Rufen, viel metallischer Kraft und dann wieder prachtvollsten Kantilenen.
Anja Kampe ist eine sehr gute, höhensichere Sieglinde, Franz-Josef Selig ein stimmlich ausreichend bedrohlicher Hunding, Catherina Foster eine Brünnhilde mit nicht allzu viel Dramatik (sie steigerte sich aber im dritten Aufzug stark), Claudia Mahnke eine intensive Fricka, die Walküren sind großteils enttäuschend.

Und Wolfgang Koch, der neue Bayreuther Wotan, der teilweise als Stammesfürst mit langem Bart auftreten muss? Er ist tatsächlich ein völlig anderer Typus als seine Vorgänger, sehr elegant, lyrisch, enorm klug in seiner Gestaltung – und mit diesem Dirigenten im Stande, bis zum Ende bestens durchzuhalten. Denn Kirill Petrenko dirigiert enorm sängerfreundlich. Und ist das eigentliche Ereignis dieses Abends: mit einer besonders sensiblen, feinen Gestaltung, manche Passagen langsamst zelebrierend, bei anderen groß auftrumpfend. Das Publikum hat ihn wohl schon jetzt als seinen Liebling dieses „Rings“ erkoren.

KURIER-Wertung: **** von *****

Gert Korentschnig war telefonisch live zu Gast bei Radio Stephansdom. Seine "Walküre"-Kritik zum Nachhhören:

https://w.soundcloud.com/player/?url=http%3A%2F%2Fapi.soundcloud.com%2Ftracks%2F103088740
100%
166
no
{"frameborder":"no"}

Der deutsche Regisseur Frank Castorf kann mit Buhrufen bei den Bayreuther Festspielen gut leben. "Ich bin ja das Kontroverse gewohnt und versuche auch, es zu erreichen", sagte er am Samstag bei einer Zusammenkunft der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Dass er nach der Premiere des ersten Teils der Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" am Freitagabend nicht auf die Bühne trat, gehöre zu den Gebräuchen bei den Richard-Wagner-Festspielen. "Ich bin darum gebeten worden." Festspielchefin Eva Wagner-Pasquier fügte an, dass das Regieteam sich üblicherweise erst am Ende der "Götterdämmerung" zeige, also nach Abschluss des Mammutwerks von Richard Wagner. "Die Götterdämmerung" feiert am Mittwoch (31. Juli) Premiere.

Die Mäzene der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth treffen sich traditionell in den ersten Festspieltagen. Castorf erläuterte seine Arbeit und erntete immer wieder freundlichen Applaus. Er habe einen "filmischen Grundansatz" gewählt, sagte er. Auch habe er "Medien der Moderne" einsetzen wollen. Beim "Rheingold" am Freitag wurden die Akteure auf der Bühne gefilmt und auf einer Leinwand noch einmal gezeigt. "Mir ging es so, dass ich eher auf die Leinwand gucke als auf die Sänger", sagte Castorf. "Der Sänger muss gegen sein eigenes Bild und Abbild ankämpfen."

Rene Kollo kritisiert "Dummheit"

Der deutsche Tenor Rene Kollo hat die Inszenierung Castorfs dagegen als "Dummheit" und "Schnickschnack" kritisiert. "Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Wagner zu tun. Da war nicht mal ein einziger Nibelung", sagte Kollo der "Welt am Sonntag" mit Blick auf den ersten Teil des Castorf-"Rings", das "Rheingold".

"Was hat irgendeine Tankstelle mit dem Rheingold zu tun? Ich lehne es ab, über so was Absurdes überhaupt nachzudenken", schimpfte der 75 Jahre alte Berliner Sänger. Kollo gehört zu den berühmtesten Heldentenören, 1976 sang er den Siegfried in der gefeierten "Ring"-Inszenierung von Patrice Chereau in Bayreuth.

"Wir konnten damals nach der Vorstellung auch fünf oder sechs Bier trinken oder zwei Flaschen Wein", erzählte Kollo. "Heute können die Leute keinen Ton singen, ohne ständig eine Wasserflasche in der Nähe zu haben. Wir wussten damals gar nicht, wie Wasser geschrieben wird, und haben glaube ich auch ganz gut gesungen." (APA/dpa)

Die Hitze in Bayreuth ist vergleichbar mit jener in Österreich. In Relation zu den (gefühlten) Temperaturen im Bayreuther Festspielhaus, haben die Außenwerte aber fast polaren Charakter. Ja, man muss sich seinen Wagner hart erarbeiten – und diesmal auch erschwitzen.

Durch die engen Reihen, durch die unbequemen Holzsitze, durch den Bayreuther Verzicht auf große Neuerungen (Klimaanlage, was ist das für ein unnötiges Zeugs?), durch die Länge der Opern kommt es im 1974 Zuschauer fassenden Theater zu einem Hitzestau, der manche Besucher vorzeitig aus dem Theater treibt. Was in Bayreuth schwer realisierbar ist, weil es keinen Mittelgang gibt, sodass, wenn man im Zentrum sitzt, etwa 30 Personen aufstehen müssen.

Dennoch ist die Atmosphäre auf dem Grünen Hügel einzigartig, die Konzentration auf die Kunst größer als anderswo, die Akustik für Wagner-Werke um Klassen besser als in allen anderen Häusern.

Dass jedoch ausgerechnet 200 Jahre nach Wagners Geburt, also im Jubeljahr, die Fassade des Festspielhauses eingerüstet ist (immerhin mit Planen, die eine Abbildung des Originals zeigen), ist ebenso peinlich wie der Umstand, dass die Villa Wahnfried gerade heuer eine Großbaustelle ist.

Aber in einer Stadt, in der sich alles um die Musik dreht, nicht um vordergründige Repräsentation, nimmt man das ebenso in Kauf wie die Tatsache, dass man im Festspielhaus nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

Kommentare