"Rheingold": Ein Hit zum Abtanzen

"Rheingold": Ein Hit zum Abtanzen
Kritik: Viel Applaus für den "Ring"-Auftakt bei den Bayreuther Festspielen, keine Spur von Skandal.

Und wieder einmal hat es sich gezeigt, dass es sinnvoll ist zu warten, bis eine Premiere stattgefunden hat und Produktionen nicht schon vorab zu skandalisieren oder hochzujubeln.

Was wurde nicht alles gemutmaßt vor dem neuen „Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen? Frank Castorf, der Regie-Beserker und Stückezertrümmerer, werde schon beim Vorabend „Rheingold“ einen Buh-Orkan ernten. Wahr ist vielmehr: Die Proteste, die am Ende zu hören waren (und nur am Ende, nicht während der Aufführung, was es ja in Bayreuth schon oft gegeben hatte), waren harmlos im Vergleich zu jenen, mit denen zahlreiche von Castorfs Vorgängern abgestraft wurden. Die Zustimmung überwog bei weitem.

Dennoch lässt sich seriöserweise nicht einmal im Ansatz beurteilen, ob dieser neue „Ring“ ein Erfolg wird. Ob sich ein konzeptioneller Bogen erkennen lässt. Oder ob es Stückwerk bleibt.

Was sich jedoch schon sagen lässt: Dieser „Ring“ ist enorm amüsant und kurzweilig. Viele Besucher haben schon bei „Rheingold“ lauthals gelacht – was bei Wagner nicht selbstverständlich ist.

Golden Motel

Castorf siedelt das große Weltendrama, mit Ironie und ziemlich respektlos, im Erdöl-Business an. Es geht ums schwarze Gold, das aus Castorfs Sicht die Welt regiert. Daher lässt er „Rheingold“ auf einer Tankstelle an der Route 66 spielen, die sich durch die spektakuläre Drehbühne von Aleksandar Denić zum „Golden Motel“ wandelt. Dieses ist eine ziemlich üble Absteige, auf der sich die drei Rheintöchter wie leichte, käufliche Mädchen an Männer heranwerfen. Alberich ist ein glatzköpfiger Schlurf, stark sexuell fixiert, was sich auch an der Art, wie er Bratwürste mit Ketchup verzehrt, zeigt (solche Bratwürste übrigens, wie sie in der Pause verkauft werden).

Tarantino-Look

Dem vulgären Alben steht eine verlotterte Götterwelt gegenüber. Wotan ist ein Womanizer im rosa Smoking, der gleich zu Beginn mit Fricka und Freia im Bett liegt (und später Erda verführt). Loge ist wie eine Tarantino-Figur aus „Jackie Brown“, im roten Anzug und mit schwarzer Lockenperücke. Donner und Froh schauen aus wie abgehalfterte Westernhelden (Oleksandr Pushniak als Donner singt leider auch so).

"Rheingold": Ein Hit zum Abtanzen
Und die Riesen kommen als Automechaniker im Ruderleiberl auf die Tankstelle und zertrümmern mit Baseballschlägern das Interieur.

Keine Spur als von „Dallas“-Eleganz bei diesen amerikanischen Provinztypen (nur Erda sieht aus wie Sue Ellen im weißen Pelz), dafür ein hoher Goldketterlanteil.

Das hat aus puristischer Sicht mit „Rheingold“ genau gar nichts tun. Aber die Beziehungen der Figuren zueinander stimmen. Und auch die Reduktion funktioniert, wenn Castorf etwa Nibelheim nur als Wohnwagen darstellt und das Gold im Swimmingpool auftaucht. Wie fast immer bei Castorf gibt es auch eine Leinwand, auf der das Geschehen live übertragen wird, wodurch man Details wunderbar erkennt. Dass beim Einzug der Götter in Walhall, dem musikalisch schönsten Teil, der Tankstellenpächter den Knopf auf der Jukebox drückt und die verkommenen Gestalten dazu abtanzen, ist genial.

Die Besetzung ist ungewöhnlich, aber großteils gut: Wolfgang Koch ist ein sehr lyrischer, schön phrasierender „Rheingold“-Wotan, Norbert Ernst ein famoser Loge, der die Partie elegant singt, Martin Winkler ein Alberich von großer Intensität, Claudia Mahnke eine erfreuliche Fricka, Günther Groissböck (Fasolt) und Sorin Coliban (Fafner) sind zwei exzellente Riesen. Auch Nadine Weissmann (Erda) und die Rheintöchter singen und spielen gut.

Alle reden vom Castorf-„Ring“, vielleicht wird es aber am Ende doch eher ein Kirill-Petrenko-„Ring“. Denn der Dirigent ist ein sensibler Gestalter der Partitur und hat mit den Sängern bestens gearbeitet. Er entwickelt den Vorabend mit der dramaturgischen Logik, die auf der Bühne fehlt. Er setzt aber wie Castorf im Zweifelsfall auf Reduktion, ohne dabei an Farbenpracht zu verlieren. Ein meisterhafter Beginn.

KURIER-Wertung: **** von *****

Gert Korentschnig war am Sonntagmorgen telefonisch live zu Gast bei Radio Stephansdom. Seine "Rheingold"-Kritik zum Nachhhören:

Die Hitze in Bayreuth ist vergleichbar mit jener in Österreich. In Relation zu den (gefühlten) Temperaturen im Bayreuther Festspielhaus, haben die Außenwerte aber fast polaren Charakter. Ja, man muss sich seinen Wagner hart erarbeiten – und diesmal auch erschwitzen.

Durch die engen Reihen, durch die unbequemen Holzsitze, durch den Bayreuther Verzicht auf große Neuerungen (Klimaanlage, was ist das für ein unnötiges Zeugs?), durch die Länge der Opern kommt es im 1974 Zuschauer fassenden Theater zu einem Hitzestau, der manche Besucher vorzeitig aus dem Theater treibt. Was in Bayreuth schwer realisierbar ist, weil es keinen Mittelgang gibt, sodass, wenn man im Zentrum sitzt, etwa 30 Personen aufstehen müssen.

Dennoch ist die Atmosphäre auf dem Grünen Hügel einzigartig, die Konzentration auf die Kunst größer als anderswo, die Akustik für Wagner-Werke um Klassen besser als in allen anderen Häusern.

Dass jedoch ausgerechnet 200 Jahre nach Wagners Geburt, also im Jubeljahr, die Fassade des Festspielhauses eingerüstet ist (immerhin mit Planen, die eine Abbildung des Originals zeigen), ist ebenso peinlich wie der Umstand, dass die Villa Wahnfried gerade heuer eine Großbaustelle ist.

Aber in einer Stadt, in der sich alles um die Musik dreht, nicht um vordergründige Repräsentation, nimmt man das ebenso in Kauf wie die Tatsache, dass man im Festspielhaus nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

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