Der Feuergott im „Dallas-Ring“

Norbert Ernst, honorarfrei
Norbert Ernst, der Loge von Bayreuth, über Faszination und Tücken des Wagner-Theaters

Ein neuer „Ring“ in Bayreuth, noch dazu in jenem Jahr, in dem Richard Wagners 200. Geburtstag weltweit gewürdigt wird – das ist nicht nur aus Sicht der Wagnerianer das wichtigste künstlerische Projekt dieses Sommers.

Im großen Interview vor der Premiere am Freitag: Der Tenor Norbert Ernst, 1977 in Wien geboren, aufgewachsen in Niederösterreich. Er studierte zunächst in Wiener Neustadt, dann in Wien (bei Charles Spencer und Robert Holl), hatte sein erstes festes Engagement in Düsseldorf, debütierte 2008 an der Wiener Staatsoper als David in den „Meistersingern“ und zählt heute zu den faszinierendsten österreichischen Sängern.

KURIER: Sie sind heuer der Loge im „Rheingold“ in der Neuproduktion des „Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen. Es ist schon neun Jahre her, dass Sie zum ersten Mal auf dem Grünen Hügel sangen. Wie ist es, wenn man als junger Sänger zum ersten Mal an diesen mythischen Ort kommt?Norbert Ernst: Das ist schon ein beseelender Moment, wenn man erstmals sieht, wo Richard Wagner selbst im Orchestergraben gestanden ist. Das ist ja der einzige Ort, für den ein Komponist nicht nur Werke geschrieben hat, sondern wo er auch ein Haus erbaute. Ich habe dort 2004 debütiert – als Dritter Knappe im „Parsifal“.

Damals wurde vor allem über die Inszenierung von Christoph Schlingensief diskutiert – viel mehr als über das Dirigat von Pierre Boulez. Ist das nicht ein Missverhältnis?Diese Wahrnehmung habe ich auch, dass das Bayreuther Regiekonzept in der Öffentlichkeit wichtiger ist als der Dirigent. Bayreuth hat ja eine große Tradition darin, dass es auch szenische Experimente gibt und das Publikum eine dementsprechende Erwartungshaltung hat. Man darf als Sänger gar nicht zu viel darüber nachdenken, sondern muss sich einfach in das Regiekonzept einfügen und sich auf die eigene Interpretation konzentrieren.

Der neue „Ring“ wird von Frank Castorf inszeniert. Angeblich spielt die Geschichte diesmal im Öl-Business. Können Sie das bestätigen?

Ja, das ist richtig. Das „Rheingold“ spielt zum Beispiel im Texas der 1960er. Die Ästhetik der Ausstattung erinnert mich ein wenig an den Film „Casino“ oder an „Dallas“.

Der Schlingensief-„Parsifal“ wurde damals vom Publikum heftig ausgebuht. Wie haben Sie das erlebt?Ich habe in dieser Produktion in den Jahren 2004 bis 2008 gesungen, und das sehr gerne. Pierre Boulez hat mir damals erzählt, dass es im Jahr 1976, als er den „Ring“ in der Regie von Patrice Chereau dirigierte, viel schlimmer gewesen ist. Er wusste damals während der Vorstellungen gar nicht, ob er überhaupt weiterdirigieren soll – so heftige waren die Proteste. Es gab massive Störaktionen mit Trillerpfeifen und einen Buh-Orkan. Und heute spricht man vom „Jahrhundert“-Ring.

Beim „Parsifal“ gab es eine Steppe statt einer Gralsburg. Da sind Proteste erwartbar. Ich vergleiche moderne Inszenierungen gerne mit zeitgenössischer Musik. Man muss sich intensiver damit auseinandersetzen. Ich war zu Beginn auch verstört, als ich von diesen Ideen gehört habe. Aber in einem achtwöchigen Proben-Prozess gewöhnt man sich daran.

Es heißt immer, in Bayreuth ist es für Sänger etwas leichter als anderswo, weil der Orchestergraben überdacht ist und die Musik dadurch leiser wirkt.Es kann kräftemäßig leichter sein. Im selben Maße ist es aber schwieriger, weil das Bayreuther Festspielhaus akustisch ganz anders ist als etwa die Wiener Staatsoper. Der Klang aus dem Orchestergraben kommt zuerst auf die Bühne, dann erst in den Zuschauerraum. Dadurch nimmt man als Sänger das Orchester lauter wahr und ist mehr als anderswo zum Forcieren geneigt. Außerdem gibt es durch diesen Weg der Schallwellen eine leichte Verzögerung. Man muss immer ganz kurz nach dem Schlag des Dirigenten singen, sonst ist man nicht präzise. Es gibt aus Bayreuth Aufnahmen mit Sängern, die immer einen halben Schlag zu früh sind.

Bayreuth hat mehr als jedes andere Festival den politischen Rucksack der historischen Belastung zu tragen. Ist das für Sie als Künstler dort Thema?Natürlich ist das ein Thema, und die Geschichte schwingt immer mit. Ich erinnere mich etwa an die „Meistersinger“, die Katharina Wagner inszenierte und bei denen ich den David gesungen habe. Da hat sie in ihrer Regie beim „Wach-auf“-Chor darauf Bezug genommen, dass in der NS-Zeit das Publikum da immer mit dem Hitler-Gruß aufgestanden ist. Bei diesem Schrecken kriegt man heute noch Gänsehaut.

Was macht Bayreuth als Ort so speziell?In Bayreuth liegt der Fokus ganz klar auf der Kunst, auch durch die örtliche Separiertheit. Es ist nicht wie in Salzburg, wo es vom Festspielhaus nur ein paar hundert Meter bis zum nächsten Fleischhauer sind. Dadurch hält man sich auch länger auf dem Grünen Hügel auf und taucht vielleicht intensiver in die Thematik ein.

Seit wann wird der neue „Ring“ in Bayreuth geprobt?Ich war schon vergangenes Jahr zu ersten Besprechungen dort. Die Kern-Probenzeit ist aber nicht extrem lange: für „Rheingold“ nur fünf Wochen. Mit „Siegfried“ wurde als erstes, schon im April, begonnen.

Wie sehen Sie selbst die Partie des Feuergottes Loge?Sein Handeln ist neben dem Fluch des Alberich das zweite auslösende Moment für die Tragödie. Loge kommt zwar als Person nur im „Rheingold“ vor, musikalisch aber an jedem Abend. Würde er die Geschichte nicht so drehen und lenken, würde sie ganz anders stattfinden. Er ist ein kluger Strippenzieher, viel klüger als Wotan. Und am Ende triumphiert er, wenn Walhall in Flammen aufgeht. Er ist ja das personifizierte Feuer. Und das Feuer hat sich durchgesetzt. Es ist per se weder gut noch schlecht. Gezähmt ist es klein, aber wenn es die Möglichkeit hat, alles zu verzehren, zu verschlingen, dann tut es das auch.

Ist Wagners Sprache für Sie erträglich?Die ist sogar ganz fantastisch. Und im „Ring“ auch nicht schwer zu merken. Man kann mit diesem Text so viel gestalten. Und er hat fast eine physische Komponente. Denken Sie nur etwa an den Satz „Zur leckenden Lohe mich wieder zu wandeln, spür ich lockende Lust“ – das ist doch wunderbar.

Was sind Ihre nächsten Pläne nach Bayreuth?Ich fahre direkt nach der Premiere zu den Salzburger Festspielen, wo ich in „Jeanne d’Arc“ von Walter Braunfels singe (Felsenreitschule, 1. August, Anm.). Dann geht’s zurück nach Bayreuth, wo der ganze „Ring“ drei Mal und „Rheingold“ sogar vier Mal gespielt wird. An der Wiener Staatsoper, wo ich seit 2010 im Ensemble bin, singe ich dann im Herbst den Nick in der Puccini-Premiere „La fanciulla del West“.www.bayreuther-festspiele.de

Die Bayreuther Festspiele werden am Donnerstag, 25. Juli, einen Tag vor jenen in Salzburg eröffnet. Als erste Oper ist „Der fliegende Holländer“ zu sehen, die Neuproduktion des vergangenen Jahres. Christian Thielemann ist der Dirigent, die Regie stammt von Jan Philipp Gloger. Die Titelpartie singt, wie schon zuletzt, Samuel Youn.

Ab Freitag wird dann der neue „Ring des Nibelungen“ geschmiedet. Am Pult steht Kirill Petrenko, der künftige Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, die Inszenierung stammt vom als Stückezertrümmerer bekannt gewordenen Frank Castorf. Er siedelt Wagners Tetralogie im Öl-Business an. Mit der „Götterdämmerung“ geht die Premierenserie am 31. Juli zu Ende.

Norbert Ernst ist der Bayreuther Loge, Martin Winkler, ebenso ein gebürtiger Österreicher, dort als Alberich zu hören. Wolfgang Koch ist der Wotan, Catherine Foster jeweils die Brünnhilde, Johan Botha der Siegmund, Anka Kampe die Sieglinde, Lance Ryan der Siegfried in „Siegfried“ und „Götterdämmerung“.

2014 gibt es dann keine Neuproduktion in Bayreuth, 2015 dirigiert Thielemann „Tristan und Isolde“ (Regie: Katharina Wagner), 2016 kommt ein neuer „Parsifal“ in der Inszenierung von Jonathan Meese und mit Andris Nelsons am Pult.

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