ORF und Netflix versuchen es mit sympathischer Serien-Killerin
Eben hat der Dreh zur zweiten ORF/Netflix-Serie, "Totenfrau" nach dem Bestseller Bernhard Aichners, in Tirol begonnen. Die Mona Film will auch künftig im Highend-Bereich mitmischen und bereitet sich auf ein "Begräbnis" vor. Die Produzenten Thomas Hroch und Gerald Podgornig im Interview.
KURIER: “Die Totenfrau“ nach dem Bestseller von Bernhard Aichner ist eine Co-Produktion von ORF und Netflix. Wie kam die Mona Film dazu?
Thomas Hroch: Unsere deutschen Partner von Barry Films, Benito und Wolfgang Mueller, haben schon vor sieben Jahren die Rechte für die “Totenfrau“ von Bernhard Aichner erworben. Weil sie selbst in L. A. sitzen, war zunächst eine US-Produktion angedacht – es gab sogar schon ein Drehbuch -, die sich aber zerschlagen hat. Damit wechselte der Fokus auf den deutschsprachigen Raum und Regisseur Nikolai Rohde, ein Freund Wolfgang Muellers, hat uns ins Spiel gebracht – er hat für uns die Craig-Russell-Thriller “Brandmal“ und “Carneval“ umgesetzt. Und damit waren wir im Boot.
Wie kam es zur Konstellation mit ORF und Netflix?
Thomas Hroch: Der ORF war schon länger interessiert und hat aufmerksam verfolgt, was sich da tut. Rohde wiederum hat das Projekt vor drei Jahren bei der Berlinale vor Kai Finke, dem Content-Chef für Europa von Netflix, präsentiert. Dessen Ansage damals war, wenn mich das Projekt nach 15 Minuten nicht interessiert, breche ich ab. Das Ergebnis war: Der nachfolgende Termin musste verschoben werden. Das lag zunächst am Inhalt: Die Hauptfigur ist eine weibliche Serien-Killerin, die noch dazu sympathisch ist. Ein solcher Charakter ist selten und spannend zugleich. Daraufhin haben wir uns den Mühen der Tiefebene gestellt und das Projekt drehfertig entwickelt.
Die Hauptrolle hat Anna Maria Mühe übernommen …
Thomas Hroch: … und Felix Klare spielt ebenfalls eine sehr wichtige, große Figur. Nicht zu vergessen ist die Riege österreichischer Schauspieler mit Gregor Bloeb, Gerhard Liebmann, Robert Palfrader, Simon Schwarz, Mijou Friesz, Andrea Wenzel u. a. Unsere Absicht, auch die Hauptrolle österreichisch zu besetzen, war nicht umsetzbar. Da waren all die Anforderungen – Alter, Physiognomie, Motorradfahren, ein dem deutschsprachigen Publikum bestens bekannter Name und, nicht zuletzt, Verfügbarkeit – nicht zu erfüllen. Am Ende haben wir uns mit Anna Maria Mühe für diejenige entschieden, die all das vereint und eine exzellente Schauspielerin ist – an dem Punkt ist der Pass dann doch weniger wichtig.
Wo wird gedreht?
Thomas Hroch: Wir drehen in Tirol - wir befinden uns gerade im schönen Ötztal - und die Innen-Motive werden in Wien gedreht. Wir erfahren hier eine große Unterstützung von der Cine Tirol erhalten. Für “Totenfrau“ wie schon davor “Euer Ehren“ haben wir jeweils 150.000 Euro erhalten. Das ist nicht selbstverständlich, dass man gleich bei zwei Großprojekten so knapp nacheinander sehr toll gefördert wird.
Null Förderung gab es hingegen vom Fernsehfonds?
Thomas Hroch: Man bekommt nur eine Förderung der RTR, wenn ein oder mehrere Fernsehveranstalter mindestens 30 Prozent der Gesamtherstellungskosten tragen. Für diese Quote ist der Beitrag des ORF nicht ausreichend bzw. wird Netflix nicht eingerechnet. Da wir die Free-TV-Rechte für Deutschland erst nach dem Streaming-Fenster auswerten können, gibt es vorerst noch keinen Sender dort und damit war leider diese Förder-Quelle nicht mehr gegeben.
Daran knüpft sich die Frage: Ist die Konstruktion der Förderungen in Österreich – hier die des RTR-Fonds – überholt worden durch die Digitalisierung? Netflix und Co werden ja nicht mehr verschwinden, im Gegenteil sind sie relevante Player am Produktionsmarkt geworden.
Gerald Podgornig: Eine Öffnung des RTR-Fonds für Streaming-Dienste kann nur einher gehen mit einer relevanten Aufstockung des Fördervolumens. Anderes würde das lineare Fernsehen schwer treffen. Fakt ist ja jetzt schon: Der Fernsehfonds ist am Limit angelangt, und das nicht erst seit heuer. Eine Aufstockung wäre schon etwas Besonderes für Österreich – der Bedarf ist da, die Qualität der Projekte ist gegeben. Es wären also alle Voraussetzungen vorhanden für ein zielführendes Investment der Bundesregierung.
Thomas Hroch: Mit Aufstockung und Öffnung würden mit hoher Sicherheit sehr schnell mehr Produktionen - und damit Wertschöpfung - nach Österreich kommen. Wir Produzenten im Land wissen ja auch, dass sich derzeit nur eine gewisse Anzahl an Serien, TV-Filmen und Dokus mit der gegebenen Summe von 13,5 Millionen pro Jahr machen lassen. Durch die bereits bestehenden Serien und Reihen kann man sich schon ausrechnen, was überhaupt möglich ist. Wir überlegen vor den Einreichungen also ganz genau, was wir tun oder lassen, weil die Mittel nicht gegeben sind. Darauf hat die RTR auch reagiert und es gibt für langlaufende Reihen und Serien eben nicht mehr die eigentlich gedachten 20 Prozent. Denn sonst würde kaum mehr Neues in diesem Bereich gefördert und damit produziert werden können.
Da ist also scharfes Nachdenken gefragt.
Thomas Hroch: Es wäre schön, würde die Bundesregierung hier aktiv werden. Ich kann mir aber vorstellen, zumal jetzt in Corona-Zeiten, dass andere Wirtschaftsbereiche sich als dringlicher ansehen.
Gerald Podgornig: Der Ansatz des Fernsehfonds jetzt Projekte degressiv zu fördern, ist richtig – auch wir haben bei “Blind ermittelt“ Kürzungen hinnehmen müssen. Der Ansatz, wenn Projekte über eine längere Zeit erfolgreich laufen, dann muss im Gegenzug der Beitrag der Sender höher werden, können wir nachvollziehen. Ein wesentlicher Punkt ist für mich auch, dass man die wirtschaftlichen Effekte, die man durch die Förderung erzielt, mit den ausländischen Finanzierungsanteilen bewertet. Der österreichische Markt hat sich gerade in Verbindung durch die Förderungen super entwickelt.
Eine weitere prominent besetzte Großproduktion ist “Euer Ehren“ mit Sebastian Koch, Uschi Strauss, Tobias Moretti, und Paula Beer.
Thomas Hroch: Aus so einer Besetzung machen andere drei Produktionen, wir hatten sie alle in einer Serie. Das macht uns stolz. Es ist das auch das Verdienst von Al Munteanu von Square One München, der diese ursprünglich israelische Serie gefunden und gekauft hat und uns von einer Partnerschaft bei diesem Projekt überzeugt hat. Wir hatten am 16. April den letzten von 63 Drehtagen. Eigentlich wollten wir ja bereits im November mit dem Dreh starten, hatten aber mehrere Corona-Fälle und, darauf folgend, Quarantäne für die K1-Personen, sprich Regisseur und Kameramann. Dann traf uns vor Weihnachten voll der Lockdown, wodurch wir gezwungen waren, auf Jänner zu verschieben. Nach ein paar weiteren kleineren Aufregungen konnte die Produktion dann dank der Disziplin und des Einsatzes des Teams ohne weitere grobe Probleme durchgezogen werden. Eine solche Leistung und Einstellung und das über 63 Tage hinweg, ist keine Selbstverständlichkeit. Das war wirklich eine Meisterleistung.
Mit großem Erfolg sind nun in Deutschland zwei Folgen Eurer Reihe “Blind ermittelt“ in der ARD gelaufen. Das legt nahe, es geht weiter?
Thomas Hroch: “Der Wien-Krimi: Blind ermittelt“, wie es in Deutschland heißt, macht uns sehr viel Freude. 18 Prozent Marktanteil, sechs Millionen Zuseher sind eine Bestätigung dafür, dass diese Reihe auch außerhalb Österreichs funktioniert. Im Herbst werden wir deshalb zwei weitere Folgen drehen. Regie führen wird erneut Katharina Mückstein.
Was uns nicht weniger wichtig daran ist: “Blind ermittelt“ wurde im Vorjahr als Green Production umgesetzt und das unter Corona-Bedingungen, als man noch nicht wusste, wie das alles funktionieren soll. Wir haben dafür nun das Umweltzeichen von Ministerin Leonore Gewessler bekommen, die bei dieser Gelegenheit auf die Verantwortung der Unternehmen für die Zukunft verwiesen hat. Wir haben daraufhin beschlossen, in jedem Jahr so viele Bäume zu pflanzen wie wir Drehtage hatten. Und das machen wir in Kärnten. Aber nicht im Wörthersee-Stadion … (lacht) Es werden 119 Bäume sein …
119 Drehtage in einem Corona-Jahr spricht für gute Nerven.
Thomas Hroch: Ein paar sind da schon auf der Strecke geblieben. Das ist aber auch nur mit Teams zu schaffen, die ihren Job leidenschaftlich machen.
Zu Euren nächsten Projekten zählt eine Co-Produktion von ORF und ZDFneo, für das Agnes Pluch das Buch schreiben wird: “Das Begräbnis“. Was verbirgt sich dahinter?
Gerald Podgornig: Das ist das Folgeprojekt zu “Die Macht der Kränkung“ bzw. “Der Anschlag – Die Macht der Kränkung“, wie es in Deutschland heißen soll. Das war eine in sich abgeschlossene Kurz-Serie mit Julia Koschitz, Murathan Muslu und Johanna Wokalek, die wir 2020 abgedreht haben. Agnes Pluchs Buch war inspiriert vom Bestseller von Prof. Dr. Reinhard Haller, der uns auch beratend zur Seite stand und auch selbst in der Serie vorkommt. Nun, 2021, wollen wir fortsetzen mit einer zweiten eigenständigen Serie, die aber wieder auf Reinhard Hallers Buch fußt und auf Kränkungsmotive fokussiert.
Thomas Hroch: Das ist für uns ein wichtiger Punkt: Wir haben innerhalb kürzester Zeit drei Highend-Serien aufgesetzt, nämlich “Die Macht der Kränkung“, “Euer Ehren“ und “Totenfrau“ und das führen wir fort. Das sind durchwegs Serien mit sechs Folgen à 45 Minuten, wobei es im ORF auch Überlegungen gibt, sie jeweils als 90-Minüter auszustrahlen. Aber in Deutschland werden diese High-End-Produktionen im Serien-Format ausgestrahlt.
Das ist, nehme ich an, der Devise “online first“ geschuldet, mit der die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland mit entsprechenden Produktionen ganz gut junges Publikum auch über ihre Mediatheken erreichen.
Gerald Podgornig: Das Konzept von ZDFneo geht ganz klar in diese Richtung. Natürlich wollen wir den großen Erfolg im Zuge der Ausstrahlung am Sender haben. Aber gleichzeitig erhofft sich ZDFneo natürlich den großen Zuspruch der jungen Zielgruppe vor allem über die Mediathek.
Wie muss man sich als Produzent im Augenblick eigentlich aufstellen, um im Geschäft nicht den Anschluss zu verlieren? In dieser Flut an Produktionen, die durch Corona nur etwas abgemildert ist, stelle ich es mir nicht gerade einfach vor, einerseits Zugriff auf Sender und Plattformen zu bekommen und andererseits auf die Kreativen wie Autoren, Regisseure usw. Oder anders formuliert: Wohin geht da Ihre Reise?
Gerald Podgornig: Wir haben beim letzten Interview vor einem Jahr noch etwas darüber gerätselt, wie wir den Sprung schaffen könnten in Richtung einer Serien-Produktion, die auch für Streaming-Anbieter interessant sein könnten. „Macht der Kränkung“ ist sowohl für die Öffentlich-Rechtlichen, aber auch fürs Streaming interessant. Genauso hätten wir “Euer Ehren“ Streaming-Plattform anbieten können. Da ist der Unterschied gar nicht so groß.
Kann man in Hinblick auf lineares TV und Streaming sagen, dass sich bei Serien die Grenzen auflösen?
Gerald Podgornig: Was in Deutschland deutlich wird ist, dass die Auswertungen in den Sender-Mediatheken ein wesentlicher Schwerpunkt geworden ist. Dementsprechend gibt es eine Annäherung. Ich glaube aber schon, dass die Programmfarbe auf Netflix bei lokalen Produktionen weiterhin eine andere sein wird. Aber von der dramaturgischen Entwicklung her betrachtet ist schon sehr viel gleich zu setzen. Der große Schritt für uns war eher der vom klassischen TV-Produzenten hin zum Serien-Produzenten, wobei es bei uns ein “sowohl als auch“ geben soll.
Zu einem weiteren Standbein von Euch sollte sich Kino entwickeln: “Arthur & Claire“ mit Josef Hader und “Womit haben wir das verdient“ hatten recht gute Besucherzahlen. “Das schaurige Haus“ ist wegen eines Lockdowns nur kurz gelaufen. Jetzt ist aber die künftige Entwicklung, was das Kino betrifft, völlig offen und das hat nicht nur mit Corona zu tun. Wie gehen Sie damit um?
Gerald Podgornig: Wir haben gerade eben eine Förder-Absage sowohl vom Österreichischen Filminstitut als auch vom Wiener Filmfonds erhalten. Es ging dabei um das Projekt “Ewig Dein“ nach einer Romanvorlage von Daniel Glattauer, geplant mit Valerie Pachner und Lars Eidinger in den Hauptrollen. Da müssen wir uns die Begründung genau ansehen und es dann nochmals versuchen. Was ich damit aber eigentlich dokumentieren will ist, dass wir weiterhin sehr, sehr bewusst auf den Kino-Markt schauen. Alle zwei Jahre ein Kinofilm, das sollte es geben. Abgesehen davon hat Thomas gerade “White Christmas“ von Flo Lackner, ein junger, talentierter Regisseur aus Kärnten produziert.
Thomas Hroch: Es ist das ein Weihnachtsfilm und da wird sich natürlich im Sommer dann die Frage stellen, ob es überhaupt Sinn hat, diesen Film im Dezember 2021 ins Kino zu bringen. Es ist nicht vorhersehbar ist, ob und wie viele Menschen und unter welchen Voraussetzungen in die Kinos dürfen. Wir werden das mit unserem Filmverleih abwägen. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass bereits zu viele Filme in der Warteschleife hängen, darunter auch Blockbuster wie “James Bond“. Also das wird sicherlich nicht einfach.
Und dann muss man hoffen, dass nicht wieder ein Lockdown oder Ähnliches dazwischen kommt.
Gerald Podgornig: Wir hatten mit “Das schaurige Haus“ am 30. Oktober 2020 Kinostart. Am 4. November musste wegen des Lockdowns zugesperrt werden. Wir hatten an diesem einen Wochenende, an dem wegen der Corona-Vorgaben ohnehin nur eine Kino-Auslastung von 25 Prozent zulässig war, 7500 Kinobesucher. Hochgerechnet wäre das unter Normalbetrieb ein Start-Wochenende mit bis zu 20.000 Kinobesuchern gewesen. Danach mussten die Kinos schließen. Die Hoffnung, dass wir irgendwann zwischendrin in ein Kino-Fenster kommen, hat sich auch nicht erfüllt. Wir müssen nun versuchen, andere Verwertungswege zu finden. Aber, so ehrlich muss man sein, bei diesem Projekt haben wir finanziell Schiffbruch erlitten. Nun geht es nicht nur darum, den finanziellen Schaden gering zu halten, sondern auch das Produkt, den Film, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist ja wirklich bitter zu sehen, welch tollen Beitrag die Kreativen vor und hinter der Kamera geleistet haben und dann haben das umständehalber nur ein paar Tausend Menschen sehen können. Das darf nicht sein.
Eine zweite “Premiere“ hat wohl keinen Sinn mehr?
Thomas Hroch: Dafür sind zu viele Filme in der Pipeline und wenn, dann ist das ein ganz kurzer Slot. Wenn da ein Film nicht sofort funktioniert, ist er raus. Und wer soll unter diesen Umständen überhaupt noch Geld für Promotion usw. in die Hand nehmen? Presse bekommt man aber so auch keine mehr. Das ist ein Teufelskreis – und trotzdem sind wir stolz auf “Das schaurige Haus“, wir sind stolz auf die Filme, die wir machen.
Gerald Podgornig: Dass wir als Produzenten aber auch ans Kino denken müssen, ist unumgänglich. Wenn wir jetzt diese hart gebeutelten Kinobetreiber sehen, dann müssen wir Filme schaffen, die wieder größere Massen ins Kino bringen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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