„Dann wurden, bei einer Serie ausgerechnet mit diesem Titel, Balken mit den Worten ,Attentat in Wien‘ eingeblendet und die Folge wird – natürlich vollkommen zurecht – abgebrochen, es kommt eine ,ZIB Spezial‘ und du sitzt da und weißt: Du gehst morgen in einen neuen Drehtag einer Serie, in der es auch um ein Blutbad geht. Das war auf mehreren Ebenen sehr surreal und hat mich sehr mitgenommen.“
Die Serie „Die Macht der Kränkung“, die seit September in Wien und Linz entstand und dieser Tage abgedreht wurde, ist vom gleichnamigen Sachbuch von Gerichtspsychiater Reinhard Haller inspiriert, das Drehbuch stammt von ROMY-Preisträgerin Agnes Pluch („Balanceakt“). Im Mittelpunkt der Handlung stehen mehrere Personen, die Kränkung erfahren haben und potenziell der Täter oder die Täterin des Amoklaufs sein könnten. Gespielt werden sie u. a. von Murathan Muslu, Julia Koschitz, Johanna Wokalek und Antje Traue. „Durch meine vorherigen Arbeiten, insbesondere im Kinobereich, sind mir solche Themen nicht ganz fremd“, berichtet Dağ. Was die Charaktere in seinen Filmen erleben, hätte er bis jetzt zwar nicht als Kränkung definiert. „Aber im Grunde kann man das auch so benennen.“
Der 38-Jährige hat u. a. bei „Risse im Beton“, „CopStories“, mehreren „Tatort“-Filmen und zwei „Vienna Blood“-Folgen Regie geführt. An „Die Macht der Kränkung“ habe ihn die thematische Klammer gereizt. „Es gibt ja hunderte Drama-Serien, mit denen wir aus allen Richtungen überflutet werden. Und dort werden teilweise auch tolle Geschichten über tolle Charaktere erzählt, aber das Thema Kränkung wird nicht so konzentriert behandelt. Wir haben dadurch nochmal ein eigenes Element, mit dem wir bewusst spielen und dem Ganzen eine zusätzliche Ebene geben können.“
Das Buch von Haller hat der Wiener Regisseur vor dem Dreh übrigens nicht gelesen. Er sei erst spät zu dem Projekt dazugekommen und hätte ohnehin keine gröberen Änderungen mehr vornehmen können. „Deswegen wollte ich mich nicht davon beeinflussen lassen, sodass ich dann vielleicht denke: Okay, Mist, bei Reinhard Haller steht das aber ein bisschen anders als bei uns. Das hätte meinen Sinn und den Fokus getrübt, den ich haben muss, um den Drehbüchern gerecht zu werden.“ Die Lektüre werde er nach Abschluss des Projekts nachholen, Haller wird er demnächst treffen – der Psychiater hat auch einen Auftritt in der Serie.
Bis Ende April ist Dağ noch mit dem Schnitt beschäftigt, was danach kommt, ist noch nicht fixiert. „Wichtig ist mir immer, dass ich mich in einem Projekt wiederfinden kann, dass ich eine Vision dafür habe und auch die Vision der Autoren realisieren kann“, so Dağ. Idealerweise sei es so, „dass man etwas liest und sich denkt: Wow, ich weiß ganz genau, was die meinen, ich traue mir zu, das erfüllen zu können. Noch besser ist es aber eigentlich zu sagen: Ich traue es mir nicht zu, aber ich würde es gerne machen. Dann spürt man so ein positives Kribbeln, eine Herausforderung. Das war auch bei diesem Projekt so. Die Drehbücher haben so eine enorme Qualität, dass ich großen Respekt hatte, um nicht fast zu sagen Angst“, erzählt der Regisseur.
„Ich durfte in den letzten Jahren viel Fernsehen machen. Da muss man dann aufpassen, von meiner Warte aus gesprochen, dass man nicht in einen Trott gerät. Meine Hoffnung bei neuen Projekten ist daher stets, dass ich gefordert werde und aus meiner Komfortzone raus muss. Ich habe lange und hart dafür gearbeitet, diesen Beruf überhaupt ausüben zu dürfen. Daher wäre schlimm, wenn ich das Gefühl hätte, in einem Hamsterrad zu sitzen.“
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