Murathan Muslu: "Rappen ist nicht wie Fahrrad fahren"
„Ich habe einfach Glück“, spielt Murathan Muslu im KURIER-Interview die ständig steigende Nachfrage nach seiner Person herunter.
Dass der 37-Jährige nicht nur Glück, sondern auch das nötige Talent hat, lässt sich anhand seiner jüngsten Auftragslage bestätigen: Er ist gerade in der neuen Staffel „Vorstadtweiber“ zu sehen, taucht hin und wieder am „Tatort“ und bei den „CopStories“ auf.
Zuletzt war Murathan Muslu bei David Schalkos „M“ sowie Stefan Ruzowitzkys „8 Tage“ dabei. Und im Herbst kommen zwei Filme mit ihm ins Kino: „Pelikanblut“ und „7500“. Kurzum: Der in Wien-Ottakring aufgewachsene Sohn türkischer Eltern ist kaum noch aus der deutschsprachigen Film- und Fernsehwelt wegzudenken.
Auch Netflix-Abonnenten kommen nicht mehr an Muslu vorbei, denn seit Freitag ist er in der Serie „Skylines“ als rappender Musiklabel-Chef zu sehen, eine Rolle, mit der ihn persönlich das eine oder andere verbindet.
KURIER: Sie waren vor zehn Jahren Teil der Wiener Rap-Formation Sua Kaan, die in Österreich durchaus erfolgreich war.
Murathan Muslu: Wir waren nie so richtig erfolgreich. Wir haben am Erfolg gekratzt, aber es wäre mehr gegangen, hätten wir uns nicht aufgelöst. Wir hatten Talent, aber wir sind leider nicht drangeblieben.
Wie ist es Ihnen bei „Skylines“ mit dem Rappen gegangen. Waren Sie sofort wieder drinnen?
Es war schwierig für mich. Ich stand zehn Jahre nicht mehr in der Booth (Aufnahmekabine, Anm. der Red.) Rappen ist nicht wie Fahrrad fahren: Wenn man nicht in Übung bleibt, verlernt man es auch wieder. Heutzutage ist die Rap-Szene in Deutschland qualitativ zehnmal besser. Es gibt so viele Künstler, die über Jahre konsequent drangeblieben sind und nun sehr gut von ihrer Musik leben können. Das freut mich sehr.
Der Film spielt in der Deutsch-Rap-Szene von heute. Verfolgen Sie die aktuelle Szene?
Nein, wenn ich ehrlich bin. Seitdem ich in die Filmbranche eingestiegen bin, ist das verpufft. Jetzt für die Vorbereitung habe ich mich schon ins Zeug gelegt, damit ich gegenüber den jungen Talenten von heute nicht ganz versage. Die Profis sind einfach hundertmal besser als ich. Ich habe mir zum Üben sogar ein eigenes Interface und ein Mikrofon gekauft. Das hat mir zwar geholfen aber trotzdem bin ich nicht zu 100 Prozent happy mit meiner Rap-Leistung in Skyline. Den Profis kann man nun mal schwer das Wasser reichen.
Aber bei Ihrer Figur geht es auch nicht hauptsächlich um das Rappen. Sie sind der Label-Boss, der es nicht mehr nötig hat, zu rappen. So kommt es zumindest in der Serie rüber.
Ich habe die Rolle auch so angelegt, dass die Figur von der Monotonie seines Erfolges lethargisch geworden ist und daher auch keine Euphorie mehr empfindet. In Absprache mit den Produzenten und Regisseuren haben wir das so angelegt, dass er auch den Draht zu seinen Kindern verloren hat. Klar, er liebt sie noch, aber da fehlt etwas. Nachdem ich das Drehbuch gelesen habe, war für mich auch klar, dass die Polizistin (gespielt von Peri Baumeister), ihm ein bisschen Leben einhaucht. Parallel wird mein Charakter auch immer wieder vom Bruder runtergezogen. Das ist schon eine tragische Figur. Der hat alles, kann alles und ist trotzdem nicht glücklich.
Gedreht wurde in Frankfurt, einer Stadt, die durchaus als hartes Pflaster gilt. War das ein guter Platz, um so eine Geschichte zu erzählen?
Das kann ich nicht sagen, denn ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich nicht viel von Frankfurt gesehen habe, da Dreharbeiten im Fokus standen.
„Skylines“ war der Abschluss einer intensiven Phase, in der Sie viel unterwegs waren. Hatten Sie das Gefühl auszubrennen?
Ich habe jetzt zwei Jahre durchgehend gearbeitet und merke nun, dass es an meinen Kräften zehrt. Deswegen habe ich nach meinem letzten Projekt beschlossen, eine viermonatige Ruhephase einzulegen. Am Anfang nimmt man fast alles an, um im Business zu bleiben, aber auch Geld zu verdienen. Doch dann kommt man an einen Punkt, an dem man merkt, dass die Qualität darunter leiden könnte. Da sollte man sofort die Notbremse ziehen und eine Pause machen.
Vor ein paar Jahren haben Sie in einem Interview gesagt, dass Sie jedes Mal erstaunt darüber sind, wenn Ihnen jemand eine Rolle gibt. Sind Sie immer noch erstaunt?
Ja, bin ich. Ich hatte das Glück, dass ich in der kurzen Zeit, in der ich das mache, so viele Jobs bekommen habe und dadurch auch viel Erfahrung sammeln konnte. Für mich funktioniert dieser Beruf nur mit „learning by doing“. Noch sehe ich mich nicht als richtigen Schauspieler, denn ich habe noch keinen Film gedreht, in dem ich richtig brilliere, mit dem ich, für mich selbst, richtig zufrieden bin. Ich bin davon überzeugt, dass ich persönlich meinen Zenit noch nicht erreicht habe. Mein Ziel ist es, mir eines Tages nach einer Premiere selber auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: „Das habe ich von Anfang bis Ende genial gemacht.“ Erst dann kann ich akzeptieren, dass man mich einen Schauspieler nennt. Bis dahin bin ich nur ein neugieriger Autodidakt in der Welt des Films.
Gehen Sie noch viel ins Kino?
Nein, das bin ich auch früher nie. Ich bin viel lieber in die Videothek gegangen, um dann zu Hause in aller Ruhe einen Film zu sehen. Aber davon gibt es ja kaum noch welche oder besser gesagt gar keine mehr. Mittlerweile sterben auch DVDs so wie damals die VHS Kassetten aus. Das finde ich ganz schade.
Sie würden also noch gerne in die Videothek gehen und sich einen Film ausborgen?
Ja, schon sehr gerne. Das hat aber auch mit meiner Kindheit zu tun. Es gab früher in einem Film einen Jungen, der in eine Bücherei kommt, die sich in ein Wunderland verwandelt. So habe ich das auch als Teenager gesehen, nachdem ich eine Videothek betreten habe. Ich habe dort Stunden verbracht.
Sie hatten als Jugendlicher wenigsten eine Videothek, die gab es bei mir am Land nicht. Und von einem funktionierenden Internet-Anschluss war man in den 90er-Jahren auch noch weit entfernt.
Das ist lustig, dass wir darüber reden, denn ich schreibe gerade an einem Drehbuch, dass in dieser Zeit spielt.
Sie schreiben ein Drehbuch?
Ja mit zwei Freunden gemeinsam. Ich habe schon einmal ein Drehbuch geschrieben, mit einem anderen Kumpel, da haben wir sogar Förderung bekommen. Ich will aber, dass alles Hand und Fuß hat, und ich bin damit noch unzufrieden. Deswegen steht das in der Warteschlange. Wir schreiben jetzt etwas anders. Ich will unbedingt ein gut konzipiertes Drehbuch in der Hand haben, und das bei den Leuten, die ich über die Jahre kennengelernt habe, abliefern und deren Meinung dazu hören. Mich würde die Resonanz sehr interessieren, ob das für mich überhaupt etwas wäre. Das meiste, was ich mache, ist aus dem Bauchgefühl heraus, und ich glaube, ich habe eine gute Hand für so etwas.
Schreiben macht Ihnen also Spaß?
Ich habe ja auch geschrieben, als ich Musik gemacht habe. Das Schreiben an einem Songtext war immer eine Art Therapie für mich, um mich selbst kennenzulernen, und meine eigene Meinung zu Dingen zu verstehen. Das habe ich glaube ich gemacht, seit ich 16 bin. Vielleicht liegt mir das, aber ich glaube, dass ich noch jemanden brauche, der mir das in die richtige Form bringt, um es den anderen „gschmackig“ zu machen. Das interessante am Schreiben sind für mich die Jahre, die vergehen. Wenn ich heute meine Texte aus den 90er-Jahren hervorhole und lese, ist es eine andere Sicht auf einige Dinge im Leben. Das finde ich sehr interessant, lustig und nachdenklich zu gleich.
Würde Sie Regie auch interessieren?
Ja, aber das ist Zukunftsmusik, das sind alles noch kleine Träumereien. Jetzt schreibe ich erstmals das Drehbuch fertig sobald ich im Dezember wieder dazu komme.
Wie gehen Sie mit Kritik um?
Wenn ich von drei, vier Seiten die gleiche Kritik bekomme, weiß ich, dass es an etwas hapert. Dann versuche ich, daran zu arbeiten. Schauspielerei ist ein lebenslanger Prozess.
Wo stecken Sie gerade in diesem Prozess?
Momentan befinde ich mich in einer Phase, wo mich das Schauspielen mehr irritiert als zu meinen Anfangszeiten, wo ich mir noch nicht so viele Gedanken gemacht habe. Aber ich denke, das ist normal. Zurzeit versuche ich, Englisch zu lernen, da mich die Arbeit an internationalen Filmen interessiert.
Sie sind zurzeit in der neuen Staffel von „Vorstadtweiber“ zu sehen. Sie spielen den Krankenpfleger Milo. Wie geht es mit der Figur weiter?
Ich kann nur so viel verraten, dass in meinem Familienumfeld jemand auftaucht, der für die Fans sehr überraschend sein wird. Die Dame sorgt für echt viel Stress und Tohuwabohu.
Haben Sie danach noch Lust auf die „Vorstadtweiber“?
Klar. Die Rolle ist wichtig für mich. Ich konnte in der neuen Staffel neue schauspielerische Sachen ausprobieren, und das hat mir Spaß gemacht. Für die fünfte Staffel, die wir gerade drehen, mussten wir aber einen Kompromiss finden, damit ich genügend Vorbereitungszeit für den neuen Film von Stefan Ruzowitzky habe.
Um was geht es?
Der Titel des Projekts ist „Hinterland“ und es geht um einen Soldaten, der im Ersten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft gerät und 1918 zurück nach Wien kommt. Wir drehen komplett vor dem Bluescreen, damit wir das Wien von damals nachbauen können. Das ist für alle sehr herausfordernd.
Wie oft werden Ihnen Rollen angeboten, die alle Migrationshintergrund-Klischees erfüllen?
Schon länger nicht mehr. Zum Glück. Denn kürzlich habe ich mir einen Österreichischen Film angesehen. Nach 40 Minuten habe ich lustlos den Kinosaal verlassen, weil da nur realitätsferne konzeptionslose Klischees aufgewärmt werden. Ich finde das echt schade, weil einige Menschen diese Klischees in ihre Denkmuster übernehmen und sich auch dadurch bestätigt fühlen, dass das Ganze dann auch wirklich so ist. Das ist nicht gut. Ich finde solche klischeeüberzogenen Migranten-Filme die nicht gut ausgearbeitet wurden dann – egal ob die in Österreich, Deutschland, USA oder in Frankreich spielen – mit äußerster Vorsicht zu genießen. Dennoch bleibt ein Film ein Film.
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