ORF-Generaldirektor Weißmann muss sparen
Der Verfassungsgerichtshof hat dem Land eben die Gebührenpflicht fürs ORF-Streaming-Angebot ab 2024 verordnet. Seitdem hat sich der Gegenwind für den ORF verschärft. Gleichzeitig wird um eine neue Medien-Ordnung samt Digital-Novelle für den ORF gerungen. Auch wirtschaftlich sind es harte Zeiten für die neue ORF-Führung unter Roland Weißmann. Er sagt: "Die alten Parameter gelten nicht mehr - übrigens auch nicht mehr die Parameter der Gebührenerhöhung."
KURIER: Kann ein ORF-Chef mit dem Erkenntnis des VfGH zu diesem Zeitpunkt tatsächlich glücklich sein?
Roland Weißmann: Glücklich ist nicht die Kategorie, um die es da geht. Der ORF hat die Beschwerde eingebracht, dem wurde recht gegeben. Das sehen wir natürlich mit einer gewissen Genugtuung. Es ist ein richtungsweisendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes. Denn der Medienkonsum der Menschen hat sich verändert. Auch die technische Entwicklung geht weiter. Darauf hat man auf den 38 Seiten, die das Erkenntnis umfasst, reagiert. Jetzt ist der Gesetzgeber am Zug. Der ORF hat dabei nur eine beratende Position.
Was wird der ORF da einbringen?
Es gibt verschiedene Varianten, wie man dem Erkenntnis Rechnung trägt. Offensichtlich ist aber, dass eine Abo-Variante ungeeignet dafür ist.
Welche Pro-Argumente hätte aus ORF-Sicht etwa eine Haushaltsabgabe? Das käme ja einer Computer-Steuer gleich, was ziemlich aus der Zeit gefallen wirkt.
Es gibt sie in Deutschland und auch in der Schweiz und sie funktioniert. Es existieren auch noch andere Modelle in Europa. Ich will mich da aber explizit zurückhalten, eine Präferenz des ORF erkennen zu lassen.
Zwei getrennte Paar Schuhe
Ihre Mitverhandler am Tisch über eine neue Medien-Ordnung, Privatsender und Zeitungsherausgeber, fordern nicht erst jetzt nachdrücklich, kein zusätzliches Geld für den ORF, Reduzierung der Werbung und weg mit der blauen Seite orf.at in der aktuellen Form.
Letzteres wollen aber nur die Zeitungsherausgeber und das ist zur Kenntnis zu nehmen. Ich persönlich verhandle immer hinter verschlossenen Türen, andere machen das anders. Aber das sei jedem unbenommen. Das Erkenntnis des VfGH bedeutet nicht mehr Geld für den ORF, sondern vor allem eine gesicherte Finanzierung auch in der Zukunft. Das ist aber getrennt von einer ORF-Digital-Novelle zu sehen, die wir seit Monaten verhandeln. Das sind also zwei getrennte Paar Schuhe, aber natürlich kann man sie gemeinsam besprechen. Es ist jetzt eben die Zeit, in der jeder seine Positionen markiert. Das ist auch in Ordnung so. Aber die Verhandlungen sollten dann hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Die zwei getrennten Paar Schuhe passen bisher nur dem ORF.
Es betrifft ja auch in erster Linie den ORF.
Selbst die Chefredakteurinnen und Chefredakteure renommierter Printmedien in Österreich haben in einem offenen Brief vor zusätzlichen Online-Möglichkeiten des ORF gewarnt, weil damit Print weiter in Mitleidenschaft gezogen wird. Insgesamt steht der ORF in der Kritik, dass er mit Maximalforderungen in den Verhandlungen agiert. Bei der blauen Seite orf.at, das als presseähnliches Produkt gesehen wird, hört man jedenfalls von keinem Schritt zurück seitens des ORF.
Verhandlungen bringen es mit sich, dass man mit den tatsächlichen Verhandlern die Sachverhalte bespricht. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeine Chefredakteurin oder irgendein Chefredakteur im Verhandlungsteam des VÖZ sitzt.
Haben diese Vorbehalte, die nun im Zusammenhang mit der Digital-Novelle oder mit dem VfGH-Erkenntnis geäußert wurden, eine Auswirkung auf die ORF-Pläne für das weitere Vorantreiben des ORF-Players?
Natürlich hängt es damit zusammen, ob es eine ORF-Digital-Novelle gibt oder nicht. Es ist ja nichts Unanständiges, was der ORF da fordert, sondern es entspricht der Medien-Realität in ganz Europa und im Grunde der ganzen Welt. Die Möglichkeiten des ORF hinken da etwas nach. Wir fordern nichts Anderes wie die ARD, das ZDF, das Schweizer Fernsehen oder die BBC – nichts mehr und nichts weniger. Aber natürlich bestimmt in einer Verhandlung immer der Standpunkt die Perspektive. Ich verstehe den Gesetzgeber aber schon so, dass, wenn der ORF weiter nachhaltig eine Rolle spielen und sein Publikum erreichen soll, man das geänderte Nutzungsverhalten berücksichtigen muss. Die Menschen streamen vermehrt, sie informieren sich zeit- und ortsunabhängig. Darauf wollen wir im ORF reagieren können.
Aber das geht nicht über einen Alleinvertretungsanspruch.
Wir haben immer betont, wir verstehen, dass der österreichische Medienmarkt ein sehr kleiner und sehr spezieller ist und die ORF-Digital-Novelle in der Gesamtbetrachtung dieses Marktes zu sehen ist. Aber wer im Jahr 2022 glaubt, dass der Feind immer noch in Österreich lauert, der sollte doch mal die Augen öffnen. Denn die Bedrohung im Online- und Social-Media-Geschäft kommt aus den USA und aus China. Klar ist, man muss mit Bedacht diese Digital-Novelle, so es eine gibt, formuliert sein. Deshalb gehen wir auch einen neuen Weg der Kooperation statt Konkurrenz mit den weiteren Teilnehmern am Medienmarkt. Es wird am Ende einen Kompromiss zwischen ORF, Privatsender und Zeitungen brauchen, der für alle akzeptabel ist. Dafür verhandeln wir und das geschieht am besten hinter verschlossenen Türen und nicht in der Öffentlichkeit oder via Zeitungsartikel.
Programm-Feuerwerk
Was sind die nächsten Stufen, die in Sachen ORF-Player gezündet werden sollen?
Die unabhängige Medienbehörde hat die Module Sound und Topos bereits genehmigt. Beides ist durch ein Zulassungsverfahren gegangen, das durchaus lange gedauert hat. Wir reden da von dutzenden Monaten. Das Modul Sound ist die Weiterentwicklung der Radiothek und wird bereits im September starten. Topos, das Modul für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Religion, wird im vierten Quartal folgen. Anfang 2023 kommt dann „24/7“, das Live-Streaming und Time-Shift der vier ORF-TV-Kanäle. Die genaue Ausgestaltung dessen, was der ORF online bieten darf, hängt aber daran, ob die Digital-Novelle kommt oder nicht. Wir gehen an das Thema sehr sorgsam heran, weil wir keine Kosten für Konzeptionen verursachen wollen, die letztendlich doch nicht vom Gesetzgeber erlaubt werden. Wir haben deshalb in der strategischen Herangehensweise einen Richtungswechsel vorgenommen. Das heißt, wir gehen jetzt davon aus, was dem ORF derzeit gesetzlich gestattet ist. Sollte es die Novelle geben, wird der ORF-Player um weitere Module erweitert.
In zwei Monaten, am 22. September, präsentiert der Weißmann-ORF erstmals seine Programmpläne. Was darf man sich davon erwarten? Kommt bereits das Nachhaltigkeitsformat, dass Sie eingefordert haben? Wird man etwas von der „multimedialen Flottenstrategie“ merken?
Man wird bereits eine gewisse Handschrift merken. Als Teamplayer lasse ich aber hier den Programmmacherinnen und Programmmachern den Vortritt. Sie werden viele Highlights aus unseren Kernbereichen Information, Kultur, Unterhaltung und Sport präsentieren. Der ORF reagiert programmlich natürlich auf die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Umstände. Wir starten deshalb gleich am 12. September einen großen Schwerpunkt zu Teuerung, Inflation und Energie-Versorgung im ORF2-Hauptabend. Das sind Themen, die jeden betreffen. Davon wird sich auch das neue Klima-Format (ab 14. September) nicht abkoppeln und es hat das auch Auswirkungen auf Look and Feel der Sendung. Verstärkt multimedial wahrnehmbar sein wird nach dem Start des Newsrooms der ORF bei der Bundespräsidenten-Wahl (am 9. Oktober) sowie bei den Landtagswahl in Tirol im Herbst sowie im Frühjahr bei jenen in Niederösterreich, Kärnten und Salzburg.
Was ist wird aus Film und Serie zu sehen? Das Lager diesbezüglich ist ja ziemlich leer gespielt.
Freuen darf man sich auf die Krimi-Serie „Tage, die es nicht gab“, top-besetzt u. a. mit Franziska Weisz, Diana Amft, Jasmin Gerat und Franziska Hackl. Da werden wir nach den Ferien auch groß in die Promotion starten. Am Start sein wird auch die Serien-Umsetzung von Bernhard Aichners „Totenfrau“ mit Anna Maria Mühe. Und mit „Weber und Breitfuß“ holen wir „MA2412“ aus der Pension. Wir können dem Publikum vor der Fußball-WM sogar noch ein Mini-TV-Event, wie ich es nenne, bieten. Wir wollen hier das Publikum mit Kabarett und Comedy ein wenig vom Alltag ablenken. Zeitlich durchaus ungewöhnlich ist ein weiteres Sportgroßereignis im ORF-Programm zu finden - die Fußball-Weltmeisterschaft der Herren in Katar ab 21. November. Das wird also ein ziemliches Programm-Feuerwerk, das wir für unser Publikum da abbrennen werden.
Die corona-bedingte Häufung an Sportgroßereignissen heuer gibt ja Spielraum, um sich das Programm und die Abstimmung unter den TV-Sendern anzuschauen. 2022 sollte zudem „das Jahr der jungen Zielgruppen“ werden. Letzteres zielte ja auf ORF1 und FM4, die Problemsender des ORF. Geben sie uns ein paar Einblicke?
Programmmachen und Sender programmieren ist ein permanenter Prozess. Wichtig dabei ist, dass man nicht einfach radikale Wechsel ankündigt, sondern das Publikum mitnimmt bei den Veränderungen und natürlich auch die betroffenen Mitarbeiter. Wir sind also keine Ankündigungsweltmeister sondern Umsetzungsweltmeister. Der Befund jetzt sagt: ORF1 hat die besten Quoten seit zehn Jahren. Im Vorabend, der nun bereits um 17.45 Uhr startet, gab es einige Adaptionen und er wird flächig mit Eigenproduktionen bespielt, was natürlich auch einiges kostet. Dazu kommt noch das „ZiB Magazin“. Das machen wir alles ohne großes Tamtam, weil es uns wichtig ist, das Publikum nicht zu irritieren. Einen Weiterentwicklungsprozess gibt es auch bei FM4. Welchen genau, evaluieren wir zurzeit. Erfreulich ist, dass die Tagesreichweite des mehrheitlich fremdsprachigen Jugendangebots zuletzt gestiegen ist.
Wie schaut es aus mit der Quoten-Entwicklung während der Woche aus? Gibt es Problemtage?
ORF1 funktioniert die Woche hindurch gut. Am Donnerstag, an dem wir in ORF1 auch wieder die Europa League zeigen können, experimentieren wir noch ein wenig. In ORF2 gibt es da außerdem die „Rosenheim Cops“, was wiederum für die Flotte wichtig ist. Also wir gehen behutsam aber nachhaltig an die Problemstellungen heran. Wir haben außerdem 2022 ganz bewusst zum Young-Audience-Jahr erklärt. Das heißt für uns vom userzentrierten Ansatz im Internet lernen. Wir schauen uns ganz genau an, was sich die Zielgruppe erwartet und was nicht und können in der Programmherstellung sehr schnell darauf eingehen. Das heißt für den ORF auch verstärkte Marktforschung und kürzere Feedback-Schleifen, um viel schneller auf die Bedürfnisse und Vorstellungen der Zuseherinnen und Zuseher reagieren zu können. Das gilt im Großen wie im Kleinen.
Neubesetzungen für Newsroom
Die ORF-Information wird mit der inzwischen abgeschlossenen Besiedelung des multimedialen Newsrooms neu aufgestellt. Gibt es Rückmeldungen über Probleme, die über Kinderkrankheiten hinausgehen? Gibt es ausreichend Plätze und Luft?
Ich bedanke mich zunächst dafür, dass der Newsroom im Prinzip innerhalb des Zeitplans errichtet wurde und bei den Kolleginnen und Kollegen, die den Newsroom jetzt so schnell und reibungslos besiedelt und in Betrieb genommen haben. Bei einem solch großen Projekt gibt es immer wieder Dinge zu verbessern. Das versuchen wir durch kurze Wege bei den Rückmeldungen schnell zu ermöglichen. Es gibt einen regelmäßigen Jour fixe von mir mit den Chefredakteuren TV, Radio und Online. Es gibt solche auch der Mannschaft mit der Haustechnik. Das wird also Schritt für Schritt abgearbeitet. Natürlich ist das Arbeiten in diesem Newsroom eine große Veränderung, es ist aber auch eine Chance und funktioniert, so die Rückmeldungen an mich, soweit ganz gut.
Zur Person
Geboren 1968 in Linz, startete Roland Weißmann 1995 als Journalist im ORF NÖ. Dann Leitungsjobs bei Ö3, in der Radio-Info und NÖ. Ab 2010 Büroleiter Finanzdirektion, dann Chefproducer und zudem Leiter ORF-Player. Am 10. August 2021 wurde er von Stiftungsräten von ÖVP, Grüne, FPÖ sowie Unabhängigen zum ORF-Chef gekürt
Quoten
Im Juli erreicht der ORF dank Frauen EURO, Formel 1 und „Liebesg’schichten“ 32,6 Prozent Marktanteil. Das liegt unter dem Juli 2021 (EURO Herren, Olympia), aber über 2020 und 2019. Bestwert bei Jungen seit 2014
Die ersten Personalentscheidungen für den Newsroom, wo jetzt geballt die ORF-Information sitzt, sind gefallen.
Mit Barbara Stanton und Sebastian Prokop verantworten nun zwei absolute Nachrichtenprofis zwei der wesentlichen Schnittstellen im Multimedialen Newsroom. Sie wurden von den Chefredakteuren und der Redakteursvertretung vorgeschlagen. Beide verfügen über große Erfahrung in der News-Produktion und werden diese nun medienübergreifend erfolgreich gestalten. Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit.
Im Herbst steht dann die Besetzung der Leitung der multimedialen Fachressorts an. Die bisherigen Chefredakteure von TV, Radio und Online, Matthias Schrom, Hannes Aigelsreiter und Christian Staudinger, bleiben ja und leiten diesen Newsroom gemeinsam gleichberechtigt. Warum kann das bei den Fachressorts eigentlich nicht auch so sein?
Es geht einfach darum, das journalistische Knowhow in den Fachressorts über Sendergrenzen hinweg zu bündeln und zur Verfügung zu haben. Die Chefredakteure werden ja weiterhin speziell für ihre Sender zuständig bleiben. Gemeinsam verantworten sie aber auch die multimedialen Fachressorts sowie den Newsdesk, von wo Breaking-News und die Kurz-Infos für alle drei Sparten ausgeliefert werden. Das ist eine Struktur, die sich über längere Zeit und in vielen Gespräch unter Beteiligung auch der Redakteursvertretung und Betriebsrat ergeben hat. Unverändert bleiben auch die Sendungsteams. So denke ich, sind wir in der Information für die kommenden Herausforderungen gut aufgestellt.
Mehr Transparenz
Seit Alexander Wrabetz Elmar Oberhauser als Info-Direktor absetzen ließ, ist der ORF-Generaldirektor auch für die TV-Information verantwortlich. Dazu kommt nun, bedingt durch den Newsroom, auch das Radio – Weißmann allmächtig?
Keineswegs. Es gibt ein neues Redaktionsstatut – das alte stammte von 1976 -, das die Rechte der Redakteurinnen und Redakteur massiv stärkt. Das gefällt nicht jedem, da gibt es Bedenken, aber ich halte das für wichtig, dass die Journalistinnen und Journalisten des Hauses nicht nur vom Selbstverständnis her sondern auch nochmals formal festgeschrieben, so unabhängig und frei sind, wie noch nie zuvor. Das ist auch mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung verbunden. Ich mische mich jedenfalls sicher nicht ins operative Tagesgeschäft ein. Für gewisse Fälle ist auch noch ein Board zwischengeschaltet, dem jeweils eine Vertretung von TV, Radio und Online angehört. Das sind aktuell ORF2-Chef Alexander Hofer, Radio-Direktorin Ingrid Thurnher und Stefan Pollach, Digital- und Player-Chef. Dieses Board ist sozusagen eine freiwillige Selbstverpflichtung von mir für ein Mehr an Transparenz bei Entscheidungen die ORF-Information betreffend.
Apropos Transparenz: Wie lebt es sich jetzt so ohne offensiv gelebte Message Control seitens der Kanzlerpartei? Anders formuliert: Wie steht es um Interventionen?
Es gab bisher nur sehr wenige, wobei eine Intervention per se ja noch nichts Schlechtes ist. Ich bin ein Freund einer positiven Fehlerkultur, das heißt, man kann auf Fehler reagieren. Politische Interventionen hat es in den vergangenen Monaten kaum gegeben und ich habe denen auch nicht stattgegeben. Das hat sich offenbar schon durchgesprochen, dass solche Versuche wenig bringen.
Kommen wir zum Geld zurück: Bei den vergangenen Stiftungsratssitzungen wurde immer wieder von einzelnen Mitgliedern ihr „Alarmismus“ in Sachen ORF-Budget kritisiert. Ein Minus von 12 Millionen war prognostiziert. Wie schaut es nun beim anstehenden zweiten Forecast für 2022 aus? Was auch klar ist, die Gebührenerhöhung, der zwei Prozent Inflation jährlich hinterlegt war, reich bei der aktuellen Inflation nicht aus. Wie reagiert der ORF darauf?
Mit harter Arbeit. Ich habe von Anfang an gesagt, ich gehe meinen Weg und das ist ein Weg der Transparenz. Ich verspreche keine Dinge, die ich nicht halten kann. Ich halte es zudem für sehr gebührlich, das Aufsichtsgremium, also den Stiftungsrat, über einen Forecast, der negativ ausfällt, zu informieren. Was ich dabei auch immer erklärt habe ist, dass der ORF trotzdem das Jahr 2022 mit einer schwarzen Null abschließen wird. Darauf laufen alle Anstrengungen hinaus. Der nächste Forecast wird zeigen, dass sich der Überzug nahezu halbiert hat. Wir arbeiten sehr konsequent weiter daran, die schwarze Null zu erreichen und ich gehe davon aus, dass uns das gelingen wird. Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung ist für uns aber tatsächlich ein Gamechanger.
Was bedeutet das?
Die Situation hat sich völlig geändert gegenüber jenem Zeitpunkt, als ich die Geschäftsführungsperiode am 1. Jänner angetreten bin. Spätestens mit dem 24. Februar, mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der nachfolgenden rasanten Steigerung der Preise für Energie, Lebenskosten etc. ist klar, dass die alten Parameter nicht mehr gelten - übrigens auch nicht mehr die Parameter der Gebührenerhöhung. Aber das trifft uns nicht allein und wir werden damit umzugehen haben. Das heißt, wir werden die Pläne für die kommenden Jahre massiv umschreiben müssen und schauen uns innerhalb des bestehenden Finanzrahmens alles ganz genau an. Darüber werden wir auch in der Klausur der Geschäftsführung kommende Woche reden, wie wir mit der Teuerung auch der nahen Zukunft umgehen werden.
Teuerung ist auch das Stichwort für die anstehenden Gehaltsverhandlungen. Bei Arbeitnehmervertretern orte ich Irritationen, man vermisst offenbar eine konkrete Basis, worüber zu reden ist.
Ich führe die Gehaltsverhandlungen nicht über die Zeitung. Das Einzige, was ich dazu sage ist, dass die Verhandlungen früher als sonst begonnen haben, weil die Situation so fordernd ist.
Im ORF läuft nach dem 500 Millionen-Euro-Paket ja bereits ein weiteres, 200 Millionen schweres Einsparungspaket.
Ich möchte da klarstellen, das resultiert daraus, dass die Erhöhung des Programmentgelts, die ja vor meinem Antritt im Stiftungsrat beschlossen wurde, geringer ausgefallen ist, als der Bedarf des ORF war. Dieser beläuft sich auf 436 Millionen in den kommenden fünf Jahren, die acht-prozentige Valorisierung des Programmentgelts bringen in fünf Jahren 236 Millionen. Die Differenz müssen erneut wir stemmen.
Commitment zur Filmwirtschaft
Betreffen die Einsparungen auch die Vereinbarung mit der österreichischen Filmwirtschaft?
Wir wollen an unserem Commitment gegenüber der Filmwirtschaft über gut 100 Millionen weiterhin festhalten. Aber wie jede Firma in Österreich und auch jeder Haushalt müssen auch wir schauen, wie wir am besten mit der Teuerung zurande kommen. Der Unterschied zu manchen Unternehmen ist, dass der ORF die Teuerung ja nicht an seine Kunden weitergeben kann. Deshalb werden bei der Geschäftsführungsklausur nächste Woche intensiv unsere gesamten Planungen für die nächsten Jahre durchdiskutieren.
Vorbehalte gegen ihr Führungsteam hat es im Vorfeld des Starts dieser Geschäftsführungsperiode gegeben, weil niemand Vorstandserfahrung hat. Jetzt ist just dieses Team in die schwierige Situation, die ja über das Wirtschaftliche hinausgeht, geraten.
Ich bereue keinen Tag die Entscheidung für dieses mein Team, das auch vom Stiftungsrat ohne Gegenstimme gekürt wurde. Es ist richtig, es ist, nicht nur für uns, eine sehr schwierige Situation, die vielleicht vergleichbar ist mit der Weltwirtschaftskrise 2009. Gerade da ist es wichtig, dass wir als Team intensiv arbeiten. Ich bin ein Teamplayer, wir sind alle Teamplayer und deshalb bin ich auch überzeugt, dass wir diese Herausforderungen meistern werden. Es sind alle so schnell mit ihrer Funktion ins kalte Wasser gesprungen, um nicht zu sagen gestoßen worden, aber alle können das und es läuft sehr gut. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit den Landesdirektoren, die ebenfalls nächste Woche bei der Klausur dabei sein werden. Es macht trotz der äußeren Umstände viel Spaß, inmitten dieses Teams zu arbeiten.
Wenig Spaß gab es wegen eines Twitter-Postings einer ORF-Führungskraft, die Ungarns Viktor Orbán ob seines putinfreundlichen Kurses einen baldigen Abgang – auch über einen Herzinfarkt – wünschte. Müssen sie die Social-Media-Guidelines für ORF-Mitarbeiter nachschärfen?
Es hat sich dieser Mitarbeiter öffentlich entschuldigt. Auch ich habe mich entschuldigt und habe mit dem Botschafter Ungarns in Österreich dazu telefoniert - ich habe aber auch Konsequenzen gezogen: Der Mitarbeiter wurde letztmalig verwarnt und hat sich in der Folge von sich aus in den Urlaub begeben. Das Beispiel macht aber auch deutlich, es ist heute nicht mehr trennbar zwischen einer privaten Meinungsäußerung und einer beruflichen. Auf Social Media verschwimmt das völlig. Das gilt übrigens nicht nur für ORF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei uns gibt es aber klar festgelegte Grenzen und wer die überschreitet, hat mit Konsequenzen zu rechnen. Es ist nun keine weitere Verschärfung der Social-Media-Guidelines geplant. Aber wir sprechen regelmäßig auch mit der Redakteursvertretung darüber, dass wir alle ein Interesse daran haben müssen, dass das, was in den Social-Media-Guidelines festgeschrieben steht, konsequent eingehalten wird.
Selektive Wahrnehmung
Vor einem Jahr wurden sie als ORF-Generaldirektor gekürt. Haben sie sich diesen Job so vorgestellt?
Der ORF ist ein Unternehmen mit einem Umsatz von einer Milliarde Euro und mit 4000 Mitarbeitern. Dass, was die geschätzten Kolleginnen und Kollegen aus dem Medienjournalismus berichten, ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt der damit verbundenen Arbeit und betrifft natürlich vor allem das Programm. Nur das zu managen, was Teil des öffentlichen Interesses ist, wäre natürlich viel zu wenig. Und ob ich mir das vorgestellt haben? Nun, die Abstimmung im Stiftungsrat war am 10. August und natürlich reflektiert man, was in diesem Jahr passiert ist. Der Blick in den Spiegel zeigt, die Haare sind schon etwas grauer geworden. Es ist ein spannender Job, der mit großen Herausforderungen verbunden ist. Für mich ist der ORF das tollste Unternehmen und ich gehe weiterhin leidenschaftlich gern ins Büro. Wichtig für mich sind Disziplin und Konsequenz. Ganz wichtig für mich als Ausgleich ist der Sport – ich gehe zum Beispiel jeden Tag laufen -, aber auch, dass ich dann und wann über den Tellerrand blicken kann und noch ein wenig am normalen Leben teilnehme. Natürlich gibt es hin und wieder bittere Momente, wenn man die Zeitung aufschlägt, aber auch ganz tolle Momente, wie etwa die österreichischen Frauen bei der Fußball-Europameisterschaft. Da habe ich total mitgefiebert. Ich freue mich auch, wenn eine „ZIB Zack Mini“, die wir am Anfang des Kriegs in der Ukraine eingeführt haben, so gut funktioniert, wie sie es tut. Ich empfinde es als großes Privileg, an der Spitze dieses Unternehmens arbeiten zu dürfen.
Stimmt es eigentlich, dass sie entschieden haben, die Frauen-Fußball-Europameisterschaft programmlich so hochzuhängen?
Ich habe entschieden, dass möglichst alle Spiele in ORF1 gezeigt werden. Die Quoten geben dem recht. Aber auch sonst wäre ich zu dieser Entscheidung gestanden. Denn es ist das auch ein Signal der Gleichberechtigung. Mir war wichtig, dass der ORF in seiner Berichterstattung einen ähnlichen Aufwand bei den Frauen betreibt wie bei den Männern. Das ist mir ein persönliches Anliegen. Ich glaube auch, dass der ORF der einzige Sender ist, der diese EM auf einem der Hauptkanäle und nicht im Spartenkanal gezeigt hat. Und jetzt geht es um die Qualifikation für die Weltmeisterschaft und wir werden die ÖFB-Damen weiterhin so unterstützen, wie wir sie jetzt unterstützt haben.
Danke für das Gespräch.
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