Elfriede Jelineks Ibiza-Stück: Eine "Bloßstellung von Lächerlichkeit"
Der Soundtrack zur Ibiza-Affäre war gleich da, nachdem das Strache-Video die heimische Innenpolitik auf den Kopf gestellt hatte: Die Venga Boys hatten schon 1999 „We Are Going To Ibiza“ gesungen. Und dank Strache, Gudenus, einer falschen Oligarchin und allerlei dunkler Machenschaften bekam dieses durchaus vergessenswerte Liedchen einen zweiten Frühling geschenkt.
Aber das Thema – Imponiergehabe im Unterleiberl, Politikversprechen für den Bestbietenden, Intrige und Innenarchitektur und nicht zuletzt der Griff nach der Medien-Wahrheit – gibt natürlich weit mehr her als einen Reggae-Disco-Stampfer mit ungelenken Reimen.
Was die breite Öffentlichkeit aus der Finca zu sehen bekam, ist wie der Trailer einer mehrstündigen Königsdramen-Farce, irgendwo zwischen Shakespeare und Nestroy und den Simpsons.
Parodistisch
Nun also kommt die erste Auseinandersetzung mit diesen Ruinen der Innenpolitik auf die Bühne. Sie verspricht, sich auf der literarischen Höhe der Untiefen, des Lachhaften und Parodistischen, das in dem Video auch zu sehen war, zu bewegen
.„Schwarzwasser“ von Elfriede Jelinek erlebt am Donnerstag mit Felix Kammerer, Christoph Luser, Caroline Peters und Martin Wuttke im Akademietheater die Uraufführung.
Der Regisseur, Robert Borgmann, will anhand der Jelinek’schen Textfläche österreichische Opferrolle und antikes Drama, die deutsche Terrorgruppe NSU, Ibiza, Sündenböcke und Schuld herausarbeiten – und das Ganze in einen aktuellen Kontext bringen.
Denn die Zeiten haben sich verändert: „Jeder Auftritt von Donald Trump beweist aufs Neue: Der Schwachsinn ist die Norm geworden“, sagt er.
Wie anders die Zeiten sind, zeigt auch die bisherige Ruhe um die Uraufführung. Man braucht nicht bis zum „Heldenplatz“-Aufreger zurückgreifen. Allein die Erinnerung an das Getöse um den Nobelpreis an Jelinek (2004) zeigt: In der allgemeinen Aufregungskultur wird heute die Kultur schon mal durchgewunken.
Auch dort, wo einst besonders besorgte Bürger (Jelinek und die FPÖ haben eine lange Geschichte) präventiv Schaum vor dem Mund gehabt hätten.Ist man, wegen des allzukurzen Weges von „Die is’ schoaf“ zum DAÖ, einfach lieber still?
Das Video
„Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlichen am 17.5. 2019 Sequenzen eines Videos mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus.
Die Rücktritte
Strache tritt am 18.5. 2019 als FPÖ-Chef u. Vizekanzler zurück, Gudenus legt alle Ämter nieder. Kanzler Sebastian Kurz kündigt die Koalition. Strache wird von der FPÖ suspendiert, am 13.12.2019 ausgeschlossen. Zuvor wird „Die Allianz für Österreich“ gegründet, die bei der Wien-Wahl mit Strache antreten will.
Die Übergangsregierung
Nach der Entlassung der FPÖ-Minister muss auch die eingesetzte Übergangsregierung gehen. Am 30.5. 2019 wird Brigitte Bierlein als erste Kanzlerin mit den Regierungsgeschäften betraut, am 29.9. 2019 gibt es Neuwahlen.
Die Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft (StA) Wien ermittelt gegen die Hintermänner des Ibiza-Videos. Drei Verdächtige werden am 22.11.2019 in Untersuchungshaft genommen, zwei sind laut StA noch in U-Haft. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt seit Juni 2019 gegen Strache, Gudenus und den FPÖ-Politiker Markus Tschank wegen des Verdachts der Untreue in Zusammenhang mit dem Ibiza-Video.
Man könnte sich jedenfalls über die Chance freuen, dieses Stück in Ruhe konsumieren und bewerten zu können; würden nicht Ersatzdiskussionen heute an jedem nichtigeren Kultur-Anlass („Oma ist eine Umweltsau“) angehängt werden, der sich nur finden lässt.
Nächster Halt: Schalko
Aber es ist natürlich noch nicht aus mit Ibiza und der Kultur.
Im November sind der deutsche Satiriker Jan Böhmermann und der österreichische Regisseur David Schalko ihre gemeinsame Verfilmung der Affäre angegangen. „Ibiza ist eine irre Parabel auf Politik in Zeiten des politischen Verfalls“, sagt Böhmermann. Und man weiß: So kunstvoll wie Böhmermann zieht kein anderer die Online-Fäden, an denen die Aufregung hängt. An dem Film wird man in Österreich nicht vorbeikommen.
Werkanalyse: Ibiza als Parodie eines kultischen Festes
Im Kosmos Theater diskutierten kürzlich, zum Schreien komisch, vier Germanisten, alle in Bergschuhen, über das Werk von Elfriede Jelinek – als Intro einer Inszenierung des Stücks „Das Werk“, in dem es um das Seilbahnunglück von Kaprun geht. Kopfnickend war man sich einig: Da passiert etwas – und schon hat die Literaturnobelpreisträgerin einen Theatertext darüber geschrieben.
So war es zuletzt auch nach dem Sieg von Donald Trump. Auf das Ibiza-Video allerdings reagierte Jelinek nicht sofort. Weil ja, wie sie in einem Beitrag für das Burgtheater-Magazin schreibt, „alles klar und eindeutig war“. Einhellige Ablehnung des Gezeigten: „Das war’s für mich auch schon.“
Die beste Komödie wäre, „das Ganze einfach so aufzuführen, wie es gesagt worden ist. Eins zu eins sozusagen.“ Man könne das ja nicht übertreffen, nicht einmal parodieren oder lächerlich machen. Aber dann (animiert vielleicht von Burgtheaterdirektor Martin Kušej?) wurde Jelinek doch gepackt. Denn im Ibiza-Video spricht einer tatsächlich die Wahrheit. Die Autorin bass erstaunt: „Nicht einmal in einer Wahlrede vor seinen glühendsten Anhängern hätte Strache solche Ungeheuerlichkeiten von sich gegeben.“
In „Schwarzwasser“ versucht Jelinek natürlich schon, die Parodie des größenwahnsinnigen Kleinganovenpolitikers zu parodieren. Und zugleich „das auf Ibiza angeberisch Gesagte auf eine andre Ebene zu hieven“: Sie schrieb, schreibt Jelinek, „eine Art Satyrspiel“ zu den „Bakchen“ von Euripides, mit denen Kušej seine erste Saison eröffnen ließ.
Die Bakchen (Bacchantinnen) verehren, befallen von einem Wahn, den Gott Dionysos (Bacchus) – und feiern orgiastisch mit Wein, der aus Felsen quillt. Auf Ibiza jedoch ging es armselig zu – mit Wodka Red Bull „in einem ziemlich abgewohnten, gemieteten Haus samt Frau mit schmutzigen Zehennägeln“. Da frohlockt die Autorin: „Was für ein bacchanalisches Setting, die Parodie eines kultischen Festes!“
Verscherbelter Rest
In bekannt sprachspielerischer Manier umkreist Jelinek die Ereignisse in der Finca, sie verwebt das Gesagte mit Anspielungen auf Sebastian Kurz und die Schredderei. Lang lässt sie jene jammern, die mit der versteckten Kamera gefilmt wurden: „Wir sind also im Bilde, hätten wir das nur gewusst, dass wir wenigstens einmal im Bilde waren, dass wir Opfer waren!“
Immer wieder geht es um den Verkauf des Wassers, den Ankauf der Krone – „alles falsch, was über uns gesagt wird, wir werden es bald richtig sagen, wenn die Zeitung erst uns gehört“ – und den Ausverkauf des Straßenbaus: „Der Rest wird verscherbelt. Wo früher Natur war, liegen jetzt die Scherben herum.“ Und: „Wir weisen noch einmal darauf hin, falls hier jemand mithört, dass alles im Rahmen der Gesetze stattzufinden hat, außer die Gesetze sind gegen uns gerichtet. Dann nicht.“
Mitunter wird Jelinek richtig böse, böse, böse. Etwa wenn sie, den Wahlspruch der SS abwandelnd, die Täter sagen lässt: „Treue ist der Familienname unserer Ehe, nein, Ehre.“
Jelinek sieht es aber nüchtern: „Kunst hat keine politischen Auswirkungen, das habe ich immer gewusst.“ Ihr Text reiche zudem „nur zur Bloßstellung von Lächerlichkeit“: Schaden würde so etwas den Populisten nicht, und so sei sie es, die sich lächerlich mache, indem sie „gegen diese Mechanismen“ antritt. Das sicher nicht (auch wenn vielleicht die Rechten über Jelinek ätzen). Sie macht vielmehr nachdenklich – ganz besonders mit dem allerletzten Satz. Denn die blauen Helden lässt sie kundtun: „Dass wir wiederkehren, das ist zu schaffen. Eindeutig.“
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