Martin Kušej: Lammfrommer Musterschüler
Angesagte Revolutionen finden nicht statt. Und Hunde, die bellen, beißen nicht. Falls es noch Beweise für diese Behauptungen bräuchte: Martin Kušej hätte sie mit links geliefert. Zumindest als Direktor des Burgtheaters, das er seit einem halben Jahr leitet.
Was hatte man im Vorfeld nicht alles über ihn und seine revolutionären Ideen gehört! Schlicht „die Neuerfindung“ der Burg wurde verkündet: Es werde sich, wie im Spielzeitheft nachzulesen ist, „fortan und endgültig“ nicht mehr als „teutsches Nationaltheater“ begreifen, als das es 1776 von Joseph II. gegründet worden war. Es werde sich dem vielsprachigen Europa zuwenden, es werde neue und alte Sprachen „in neuen Tonlagen“ hörbar machen, mitunter sogar neue hervorbringen. Und: „Es wird ein Raum der Extreme sein – extrem kontrovers, extrem vielgestaltig, extrem dringend, extrem zeitgenössisch, extrem laut, extrem leise, extrem österreichisch, extrem international.“
Und Kušej, verschrieen als Herumschreier, goss Mitte September im Interview mit der Hamburger Zeit ordentlich Öl ins Feuer. Er äußerte die Befürchtung, dass man „hier“, also im intriganten Österreich, „richtig eins auf die Rübe kriegt“, wenn man sich, wie er, gegen „Tendenzen in der FPÖ“ äußert. „Dass man also konkret körperlich attackiert werden könnte.“
Er bemerke „ein deutliches Sinken der Schwelle von Gewaltbereitschaft, zur Skrupel- und Respektlosigkeit, zur Diktatur der Meinung des ,Volkes‘.“ Er fürchte, dass man in einer Situation sei „wie früher, kurz vor der Machtergreifung“.
Gut gebrüllt, könnte man sagen. Da stellt es einem alle Haare auf. Und dann las man auch noch von einer „Säuberungswelle“ im Burgtheater, von einem kompletten Umbau des Ensembles, von unschönen Szenen, von viel Härte. Gerüchteweise soll Kušej bei der Weihnachtsfeier gefehlt und den Technikmannschaften deren Raucherkammerl weggenommen haben, also lange nicht so beliebt sein wie Vorgängerin Karin Bergmann, die allen Gewerken Respekt gezollt hat.
Wer vieles bringt ...
Nach außen hin aber präsentierte sich Kušej im letzten halben Jahr als lammfrommer Musterschüler. Es gab eigentlich gar keinen Bruch, vielmehr Kontinuität. Fast scheint es, als hätte sich der „Chef“ das Zitat von Johann Wolfgang von Goethe zu Herzen genommen: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“
Er brachte zum Beispiel Ulrich Rasche mit seinem One-Trick-Pony, einem gewaltigem Chor-und-Maschinentheater. Wenn man es nicht aus München oder von den Salzburger Festspielen kennt, raubt einem „Die Bakchen“ tatsächlich den Atem. Er brachte Well-made-plays in konventionellen Inszenierungen (wie wagemutig man „Vögel“ inszenieren kann, ist gerade in Graz zu bestaunen). Er brachte Produktionen, in denen die Schauspieler glänzen dürfen („The Party“), und nervendes Regietheater („Die Hamletmaschine“), er brachte große Stoffe, gesellschaftspolitische Themen – und Brachialhumor. Einiges erwies sich als unerheblich, etwa „Dies irae“ von Kay Voges oder „Der Henker“, vieles ging auf, und wer die Wiener Festwochen besucht, wird ästhetisch nicht überrascht.
Auch wenn Kušej zunächst anderen Regisseuren den Vortritt ließ: Er dominiert längst den Spielplan – mit Neuinszenierungen („Die Hermannsschlacht“) und den Übernahmen aus München, die kein Risiko bargen. Zum Erfolg tragen aber auch ältere Produktionen aus dem Haus bei. Im Akademietheater lagen neben dem echten Renner „Vögel“ u.a. „Meister und Margarita“ (neu), „Die Stühle“ (Übernahme aus der Ära Bergmann) und „Der Weibsteufel“ (Kušej-Inszenierung aus der Ära Klaus Bachler) bei über 90 Prozent Auslastung.
Hahnenkammrennen
In der Burg rangieren „Die Hermannsschlacht“ (Kušej), „Der nackte Wahnsinn“ und „Faust“ (Kušej-Übernahmen) sowie „Mephisto“ und „Medea“ (aus der Ära Bergmann) im Ranking weit vorne. Ausführlicher will der Direktor aber nicht werden: „Das ist bei uns so eng wie die Platzierung bei der Streif und sagt wenig aus.“ Bis Ende Dezember lag die Auslastung in der Burg bei 81,5 Prozent und im Akademietheaters bei 86 Prozent. Das ist voll in Ordnung so. (Matthias Hartmann hatte die Auslastung auf 90 Prozent gejazzt – aber um den Preis eines Finanzskandals.)
Nach der wirtschaftlichen Situation gefragt, antwortet Kušej per Mail: „Sehr gut, wir liegen mit unseren Einnahmen über Plan und über den Zahlen des Vorjahres.“ Zu den Kosten der Bühnenbilder für „Dies irae“ und „Die Bakchen“ meint er lapidar: „Wir haben eine gute Planung und achten darauf, dass uns keine Löcher ins Budget gerissen werden.“
Schwachpunkt ist bloß das Kasino mit einer Auslastung von 74 Prozent. Weil bisher nicht so viel zu sehen war. Bis Mitte März läuft die interdisziplinäre Veranstaltungsreihe „Europamaschine“.
Ibiza und die Folgen
Auf die Frage, warum die Burg als Theater derart viel diskutieren lässt, sagt Kušej, der u.a. auch die Reihe „Europa im Diskurs“ weiterführt: „Wir haben den Auftrag zentraler Ort künstlerischer Kommunikation und Auseinandersetzung zu sein, und da ist es in unseren Augen sinnvoll, über die Themen, welche die künstlerische Auseinandersetzung auf der Bühne bestimmen, antreiben oder anders beeinflussen, auch in anderer Form ins Gespräch zu kommen.“ Daher sei es keine Frage gewesen, im Herbst ein Podiumsgespräch zu den Folgen des Ibiza-Videos zu veranstalten. Und nun, vier Monate später, stehe man vor der Uraufführung von Elfriede Jelineks Stück „Schwarzwasser“, das die Ereignisse rund um H. C. Strache mit den „Bakchen“ verwebt.
Dass Türkis-Blau viel Reibefläche bot, liegt auf der Hand. Gegen eine Koalition mit den Grünen kann man hingegen nicht so leicht am Donnerstag demonstrieren. Wie Kušej daher die derzeitige Situation empfindet? Das verriet er nicht. Wir werden die Frage noch einmal stellen. Demnächst im Interview.
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