Theater im Theater
„Der nackte Wahnsinn“ ist klassisches Theater im Theater. Wir sehen einer Schauspielertruppe dabei zu, wie sie sich mit dem Boulevardstück „Nackte Tatsachen“ („Nothing On“) herumschlägt.
Der erste Akt zeigt die letzte Probe, in der Nacht vor der Premiere. Geprobt wird eine typisch englische Tür-auf-Tür-zu-Komödie, wobei immer kunstvoll verklemmt nach der richtigen Türe zum Schlafzimmer gesucht wird, ab und zu jemand seiner Hosen verlustig geht und diverse Teller mit Sardinen eine Hauptrolle spielen.
All das erfordert höchste Präzision, die zum Leidwesen des Regisseurs aber ständig in Gefahr ist – durch heikle zwischenmenschliche Beziehungen, durch Alkohol, durch Schwerhörigkeit, durch Vergesslichkeit, durch Begriffsstutzigkeit.
Der zweite Akt dreht dann die Perspektive um. Wir erleben eine Tourneevorstellung, aber von der Hinterbühne aus. Beziehungskonflikte sind inzwischen eskaliert, eine Flasche Whisky wandert von Hand zu Hand, Blumensträuße werden gekauft, versteckt und von der falschen Person gefunden. Eifersucht führt dazu, dass einander die Darsteller an die Gurgeln gehen.
Während sich hinter der Bühne der Wahnsinn allmählich ausbreitet, fühlen sich die Schauspieler immer noch der Kunst verpflichtet – und versuchen irgendwie, nebenbei die Vorstellung am Leben zu halten.
Katastrophenkunst
Im dritten Akt sehen wir schließlich die allerletzte Vorstellung. Von der ursprünglichen Inszenierung ist kaum etwas übrig geblieben, Eigensinnigkeiten der Darsteller, der Requisiten und des Zufalls haben sie überwuchert.
Was bei dieser Derniere geboten wird, ist eine strahlende Katastrophe, die in ihrem Irrsinn ein ganz neues Kunstwerk darstellt, das hell aufglüht wie eine Sternschnuppe – bevor der Schlussvorhang im wahrsten Wortsinn fällt (und beinahe alle erschlägt).
Der neue Burgtheaterdirektor Martin Kušej hat seine Inszenierung aus München mitgebracht und als Silvesterpremiere angesetzt. Eine großartige Idee – das Stück ist ideal, um zum Jahreswechsel über das Leben nachzudenken und darüber zu lachen bzw. umgekehrt.
Die Inszenierung ist perfekt, rasant und komisch, sie versucht aber nie, klüger zu sein als der Text (ein Fehler, den große Theater oft begehen, wenn sie Komödie spielen) – und bringt gerade dadurch auch seine tragischen Qualitäten zum Strahlen.
Die Slapstick-Szenen sind mit beeindruckender Präzision gespielt – oft weiß man gar nicht, wo man hinschauen soll, soviel Großartiges passiert gleichzeitig.
Dauernasenbluten
Das Ensemble agiert fantastisch. Till Firit spielt einen hinreißenden Eifersüchtigen, Thomas Loibl ist als traurige Gestalt mit Dauernasenbluten herrlich, Norman Hacker glänzt als Regisseur zwischen amourösen und künstlerischen Neigungen. Arthur Klemt ist der Inspizient, der davon träumt, Einspringer sein zu dürfen. Genija Rykova als Bühnenschönheit und Deleila Piasko als Regieassistentin kämpfen um den Regisseur. Paul Wolff-Plotegg ist ständig auf der Suche nach Alkohol, Sophie von Kessel wird des Wahnsinns fette Beute, und Katharina Pichler ist die gute Seele der Truppe.
Zurecht großer Jubel vom Premierenpublikum.
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