Burgtheater: Kušejs kluge Inszenierung der „Hermannsschlacht“ begeistert nicht
Am Ende gibt es freundlichen, aber nicht übermäßig begeisterten Applaus vom Premierenpublikum, vor allem für Falk Rockstroh, den Darsteller des Varus.
(Das ist der, welcher dem Kaiser seine Legionen wiedergeben soll, haben wir einmal in der Schule oder vom Großvater gelernt.)
Als Martin Kušej die Bühne betritt, sind ein paar kräftige Buhs zu hören. Kušej blickt in Richtung der Protestierenden und macht höhnische Handbewegungen:
Das ist alles? Mehr könnt ihr nicht?
Zu wenig Unruhe
Seit Beginn dieser Spielzeit ist Kušej Direktor des Wiener Burgtheaters, die Inszenierung der „Hermannsschlacht“, seine erste neue Arbeit, war aber der eigentliche Auftakt seiner Ära. In den Herzen des Wiener Publikums ist der Kärntner – der im Vorfeld offen ankündigte, ein Unruhestifter sein zu wollen – noch nicht wirklich angekommen.
Dazu trägt die Tatsache bei, dass die „Hermannsschlacht“ bei weitem nicht seine stärkste Arbeit ist. Sie hat eine beunruhigende Aura der Gefahr, sie entwickelt einen etwas unheimlichen Sog – aber sie zieht sich auch, vor allem im ersten Teil, ein wenig müde dahin, sie glüht nicht, die fasziniert nicht. Die vielen Vorhänge und „Blacks“, meist untermalt von dröhnender Musik, bremsen die Inszenierung zusätzlich.
Kušej hat es sich ja auch denkbar schwer gemacht. Heinrich von Kleists nationalistisches Monumentaldrama – 1807 sollte es nach der Niederlage gegen Napoleon ein gemeinsames Deutschland-Gefühl anregen – gilt als kaum spielbar.
Zudem hat Claus Peymann mit seiner Inszenierung von 1982, die er von Bochum dann nach Wien mitbrachte, Legendenstatus.
Machtpolitiker
Peymann porträtierte Hermann als Freiheitskämpfer. Bei Kušej ist der Germanenführer ein eisiger, skrupelloser, kühl lächelnd lügender Populist und Machtpolitiker. Das ist ein starker und überzeugender Gedanke – solche Figuren kennen wir alle, sie dominieren immer öfter de Weltpolitik. Die nationalistischen Phrasen über das edle Deutschtum, welche schon die Nazis zu Propagandazwecken benutzten, klingen jetzt wie von einer Pegida- oder Identitären-Demo oder einer AfD-Wahlkampfveranstaltung.
In den gut 100 Minuten bis zur Pause kommt dieser Abend aber einfach nicht auf Tempo. Ein wenig verloren steht Hermann-Darsteller Markus Scheumann auf der von Martin Zehetgruber mit steinernen Panzersperren bedeckten Bühne. Erst nach der Pause erreicht die Inszenierung dann Betriebstemperatur.
„Die Hermannsschlacht“ lehnt sich an die historische Schlacht im Teuroburger Wald an, als der römische Feldherr Publius Quinctilius Varus mit drei Legionen in einen Hinterhalt des Arminius geriet. Die vollständige Niederlage bedeutete den Anfang vom Ende der römischen Versuche, Germanien zu erobern – und zählt heute zu den großen Gründungsmythen der „deutschen Nation“. Bemerkenswert ist es, dass das Stück erst Ende des 19. Jahrhunderts beim Publikum populär wurde.
Zerstückelt
Martin Kušej gelingen starke Bilder. Etwa am Ende, als die Einigung der Deutschen Stämme bei einem modernen Burschenschafter-Treffen vollzogen wird (einige kommen sogar, in Frack und mit Ottakringer-Dose in der Hand, gerade vom Akademikerball).
In ihrer kalten Grausamkeit ist aber eine andere Szene die stärkste des Abends: Ein Mädchen wurde von den Römern vergewaltigt. Sein Vater tötet es aus Scham. Hermann lässt die Leiche zerstückeln und die Teile, in Plastiksäcke verpackt, an alle germanischen Stämme schicken, um ihren Widerstandswillen zu wecken.
Ebenfalls sehr eindringlich: Als Varus dem Tod in Gestalt eines mannsgroßen Raben begegnet – dieser Moment ist packend.
Dagegen misslingt etwa die berühmte Szene, in der Hermanns Frau Thusnelda ihren Verehrer Ventidius von einer Bärin zerreißen lässt – da ist die Gefahr der unfreiwilligen Komik hoch, da wird im Publikum gekichert.
Kein Wort!
Ein anderes Mal kommt die Aufführung sogar kurz zum Stillstand. „Ich verstehe kein Wort“, muss Thusnelda sagen. Aus dem Publikum ertönt daraufhin die laute Antwort „Wir auch nicht!“ und viel Gelächter. Die Schauspieler sind einige Sekunden lang sichtlich konsterniert.
Zu den Schauspielern: Markus Scheumann trifft den Typus des gnadenlosen Politikers sehr gut, wirkt aber zu unterkühlt, als dass man ihm den Verführer glauben würde. Bibiana Beglau ist eine wilde, animalische Thusnelda, was beide aneinander bindet, bleibt unklar. Falk Rockstroh gibt dem unglücklichen Varus viel Charakter. Rainer Galke, vom Volkstheater an die Burg gekommen, ist ein herrlich bauernschlauer Marbod.
Das übrige Ensemble spielt dem Niveau des Burgtheaters angemessen, aber man hat noch nicht das Gefühl, dass es wirklich eine Einheit ist.
Fazit: Martin Kušej hat sich mit einer sehr klugen Inszenierung vorgestellt, die in ihrer Statik und Unterkühltheit aber nicht zu faszinieren weiß. Sehenswert sind diese drei Stunden und 15 Minuten dennoch.
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