Und weil es damals weder Psychotherapeuten noch Familienaufstellungen gab, muss die Sache schlecht ausgehen. Dionysos verführt die Frauen der Stadt zu kollektivem Schlimmsein bis hin zur Raserei. Und der von ihm verblendete Pentheus, der die Rituale der Frauen beobachten will, wird von ihnen – an der Spitze seine eigene Mutter – buchstäblich zerrissen.
Diese wilde Geschichte wählte Martin Kušej zur Eröffnung seiner Ära am Wiener Burgtheater. Er inszenierte nicht selbst, sondern ließ Ulrich Rasche den Vortritt. Und der steht für das spektakulärste Theater, das derzeit im deutschsprachigen Raum zu sehen ist. Rasche setzt gern alles ein, was die „Theatermaschine“ zu bieten hat.
Rasches Inszenierung ist weniger ein Theaterstück, als eine Art Oper für Darsteller, Chor, eine Musikgruppe, eine Schlagwerkerin und drei riesige Laufbänder.
Gründe, warum man diesen 2500 Jahre alten Stoff auch heute zeigen kann und soll, brauchten Kušej und Rasche nicht lange zu suchen: Was passiert, wenn sich Individuen zu marschierenden, entfesselten Massen formieren, kann man täglich im Fernsehen verfolgen.
Die Gruppen-Szenen gelingen Rasche auch am allerbesten: In sich steigernden Marschrhythmen skandieren die Darsteller Sätze wie „Diese Stadt gehört uns!“ oder „Unsere Wut steigert sich zur Raserei!“ oder „Wir holen uns dieses Land zurück!“
In den Dialogszenen – etwa zwischen Dionysos oder Pentheus – reden die Figuren im wahrsten Sinn aneinander vorbei. Das macht diese Szenen ein wenig anstrengend, ergibt aber durchaus Sinn: Hier ist jeder in seinem Text gefangen, ein wirklicher Dialog findet nicht statt.
Die Bühne stammt von Rasche selbst und ergibt starke Bilder: Angekettet an ihre Laufbänder kommen die Darsteller nie zur Ruhe. Die Musik von Nico van Wersch erinnert an klassische Minimal Music. Unter den Darstellern ragt Franz Pätzold als höchst gefährlicher Verführer Dionysos heraus, Felix Rech (Pentheus), Katja Bürkle (Agaue), Martin Schwab (Kadmos) und Hans Dieter Knebel (Tereisias) sind ebenfalls stark.
In der letzten halben Stunde verliert die dreieinhalb Stunden lange Aufführung an Schwung, für den Schmerz der Agaue ist dem Regisseur wenig eingefallen.
Dennoch: Ein beeindruckender Theaterabend. Jubel!
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