Aber der Reihe nach: Das Jahr 2020 ist bekanntlich ein Jubiläumsjahr, gilt es doch die Wiederkehr des 250. Geburtstages Ludwig van Beethovens (1770 – 1827) zu feiern. Das geschieht auch in Wien allerorten.
Im Musikverein und im Konzerthaus wird das Schaffen des Komponisten in all seinen Facetten präsentiert.
Im Theater an der Wien gibt es ein eigenes Beethoven-Fest, sogar mit Uraufführungen. Da wollte naturgemäß auch die Staatsoper ihren Beitrag leisten und neben der inzwischen 50 Jahre alten Inszenierung von Otto Schenk (wieder ab Ende April zu sehen) einen neuen, zeitgemäßen Blick auf Beethovens einzige Oper „Fidelio“ werfen.
Doch von „namenloser Freude“ wie Beethoven sie in dem höchst problematischen Libretto von Joseph Sonnleithner propagiert, kann am Ring keine Rede sein. Denn die Regisseurin Amélie Niermeyer begeht in ihrer Interpretation dieser „Freiheitsoper“ einige Kardinalfehler.
Die Idee, eine neue Textfassung zu erstellen und Beethoven damit den Anschein alles Biedermeierlichen zu nehmen, hat Charme. Aber müssen diese Dialoge von Moritz Rinke wirklich so banal sein?
„Liebe ist ein Ort“ (E. E. Cummings), „Liebe ist groß“, „Liebe macht blind“ – so spricht Leonore. Diese wiederum ist bei Niermeyer in zwei Personen aufgespaltet. Eine Sängerin und eine Schauspielerin sind da am Werk, wobei die Schauspielerin (zu wenig präsent: Katrin Röver) ihr singendes Pendant immer wieder zu Taten ermuntert. Nicht die Liebe zu Florestan zählt, die ganze Welt muss Leonore befreien. Frei nach dem Motto: „Wir schaffen das!“
Geschafft hat Niermeyer im hässlichen Bahnhofshallen-Einheitsbühnenbild (dieses steht symbolisch für das Gefängnis) von Alexander Müller-Elmau aber nur eines:
Plattes, banales, fades Pseudo-Regietheater von vorgestern, dem jeder (Be-)Zug zur Gegenwart fehlt.
Ja, die in der Urfassung musikalisch stark aufgewertete Marzelline darf hier erkennen, dass Fidelio kein Mann ist und ihrer lesbischen Liebe freien Lauf lassen. Soll sein. Auch dass Rocco mehr Haus-, denn Kerkermeister ist (grauenhaft die Kostüme von Annelies Vanlaere) mag durchgehen. Und dass Jaquino an einen brutalen KZ-Kapo erinnert, hat auch noch irgendwie eine Logik. Dass Leonore von Pizarro (man erkennt den Bösewicht am roten Anzug) ermordet wird und sich die finale Erlösung (Achtung: hier ist dann Disco-Look angesagt) nur herbei träumt, mag auch noch angehen.
Was aber gar nicht funktioniert: Niermeyer verzichtet auf jede Form einer stringenten Personenführung, lässt dafür aber den Staatsopernchor (sehr gut, Leitung: Thomas Lang) und eine Vielzahl von Statisten permanent in sinnloser Bewegung sein.
Irgendwo zwischen Guantanamo und postmoderner Apokalypse ereignet sich dieser letztlich nur lähmende Untergang der Humanität. Und das doppelte Leonorchen bringt auch keine Zusatzerkenntnisse. Szenisches Stückwerk wohin man schaut.
Das alles wäre aber noch zu verschmerzen, hätte die musikalische Seite mehr Gewicht. Doch Dirigent Tomáš Netopil holt aus dem an sich guten Orchester viel zu wenig heraus. Rau, schroff, körnig – das geht – aber wenig differenziert klingt dieser Beethoven. Netopil dehnt die Tempi, balanciert mitunter gefährlich an der Grenze zur Langeweile und deckt zeitweise die Sänger gnadenlos zu. Einige Soli und Szenen gelingen. Zu einem großen Ganzen, zu einer echten Lesart der aufregenden Partitur findet Netopil jedoch selten.
Ein Umfeld, in dem es die Sängerinnen und Sänger extrem schwer haben. Vor allem die irische Sopranistin Jennifer Davis müht sich mit den in dieser Fassung vorgegebenen Koloraturen sehr, ist mit ihrer schweren Stimme keine ideale Leonore und schon gar keine ideale Singschauspielerin. Ganz im Gegensatz zu einem Kaliber wie Falk Struckmann, der dem Rocco in jeder Hinsicht viel vokales wie szenisches Profil verleiht.
Chen Reiss muss als stimmlich solide Marzelline nicht nur an einer absurden Hochzeitszeremonie teilnehmen, sondern auch gegen die Orchesterfluten ankämpfen. Tenor Benjamin Bruns zeigt, dass er den Florestan in anderem Ambiente durchaus mit Glanz und Strahlkraft singen könnte; Jörg Schneider agiert als Jaquino immerhin souverän. Ähnliches gilt für Samuel Hasselhorn, der als Don Fernando einen Politiker-Auftritt im Kurz-Format hinlegen darf.
Überaus bedenklich allerdings, dass die Wiener Staatsoper keinen Pizarro aufbieten kann. Denn Thomas Johannes Mayer bleibt in dieser Partie nicht nur blass, sondern schlicht unhörbar. Das allerdings passt wieder gut zur Nicht-Botschaft, die dieses Unterfangen aussendet. Beethoven ist wichtig, Beethoven ist revolutionär. Allein: Zeigen wollen wir das alles dann doch wieder nicht. Sehr schade um eine vergebene Chance und um eine Produktion, die nach wenigen Aufführungen wohl verschwinden wird.
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