Neue Strahlkraft in Gelbtönen

Neue Strahlkraft in Gelbtönen
Welturaufführungen von Ulrich Seidl, Anja Salomonowitz und Gustav Deutsch in Berlin.

Ich werde Sie weiterhin mit meinen Filmen belästigen“, versprach ein bestens gelaunter Ulrich Seidl in Berlin bei der Pressekonferenz zu seinem WettbewerbsbeitragParadies: Hoffnung“: „Noch danke ich nicht ab.“

Davon kann tatsächlich keine Rede sein. Nicht nur hatte der dritte Teil Seidls „Paradies“-Trilogie, „Paradies: Hoffnung“, gerade erfolgreich auf der 63. Berlinale seine Weltpremiere. Gut gelaunt klatschte das Publikum am Ende der Teenie-Tragikomödie bei jenem Song mit, der auf dem Diätcamp übergewichtige Jugendliche zum Abnehmen animieren soll: „If you’re happy and you know it, clap your fat.“

Auch sonst ist Seidl in einem abwechselnd verschneit und verschlammten Berlin sehr präsent: In einer renommierten Galerie werden gerade großformatige Standfotos seiner „Paradies“-Filme ausgestellt, am Sonntag folgt die Präsentation eines Bildbandes zu dem dreiteiligen „Paradies“-Werk des österreichischen Regisseurs.

Für diesen umfassenden internationalen Erfolg „war es höchste Zeit“, findet Seidl: „Ich bin in meiner Arbeit immer konsequent geblieben. Auch wenn ich sehr lange dafür angefeindet wurde.“

Schikanen

Neue Strahlkraft in Gelbtönen
APA6783288-2 - 07022012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - Die österreichische Regisseurin Anja Salomonowitz während eines Interviews mit der APA am Montag, 6. Februar 2012, in Wien. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Von Seidls konsequenter Arbeit habe sie viel gelernt, sagt Anja Salomonowitz beim KURIER-Interview in Berlin. Die junge österreichische Regisseurin, die für Seidl unter anderem als Regieassistentin arbeitete, zeigte am Wochenende ebenfalls einen neuen Film auf der Berlinale. Ihre schöne und strukturell dichte Doku „Die 727 Tage ohne Karamo“ startete in der Programmschiene des Forum und erzählt von der Mühsal binationaler Paare in Österreich. Die Schikanen, denen Menschen im Kampf um die Aufenthaltsbewilligung ihrer Partner ausgesetzt sind, nehmen teilweise beinahe groteske Formen an. So versucht beispielsweise ein Wiener Ehemann seiner chinesischen Frau den Bedeutungsunterschied zwischen den deutschen Wörtern „froh“ und „glücklich“ beizubringen – ein existenzielles Problem, denn wer seine laufenden Sprachprüfungen nicht besteht, verliert die Aufenthaltsgenehmigung.

„Ich wollte keinen jammernden Film machen“, sagt Anja Salomonowitz, deren letzter Spielfilm „Spanien“ 2012 auf der Berlinale lief: „Es sollte keine triste Doku werden. Vielmehr habe ich die Menschen als mutig und stark empfunden.“

Um diesem Gefühl eine ästhetische Form zu geben, taucht Salomonowitz die Welt ihrer Protagonisten, die von ihren jeweiligen Konflikten mit den Behörden erzählen, in Gelb und Gelb-verwandte Farbtöne: „Ich wollte einen knalligen, trotzigen und sonnigen Film machen“, so die Regisseurin, „und gelb ist ja auch die Farbe der Sonne. Außerdem wollte ich normale Sehgewohnheiten herausfordern, damit man auch andere Aspekte der Geschichte wahrnehmen kann.“

Das ist ihr wunderbar gelungen: „Die 727 Tage ohne Karamo“ verweben die persönlichen Erlebnisse verschiedener Paare zu einem einheitlichen Erzählstrang, bei dem sich trotz Einzelschicksale eine gemeinsame Erfahrung herauskristallisiert, die alle machen. Der unglaubliche Druck, der von den Behörden auf die Paare ausgeübt wird – von Dokumentenbeschaffung angefangen bis hin zu quälenden Einkommensnachweisen –, steigert sich und zermürbt die Menschen. Konsequent endet die Doku bei einem Paar, das schließlich vor seiner Trennung steht.

13 Gemälde

Die dritte österreichische Arbeit, die am Wochenende in Berlin gezeigt wurde, stammt von dem Avantgarde-Filmemacher Gustav Deutsch. In „Shirley – Visions of Reality“ – Deutschs erstem Spielfilm– sind die Farben ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Deutsch nahm 13 Gemälde des US-Malers Edward Hopper als Ausgangsszenario, um Momentaufnahmen aus dem Leben einer Schauspielerin zu erzählen. Hoppers kalte Farben – Flaschengrün, Senfgelb, Rostrot – überträgt Deutsch mit brillanter Genauigkeit auf die Leinwand und unterfüttert so Hoppers melancholischen Realismus mit privaten und politischen Geschichten. Gleichzeitig verleiht er den Gemälden durch seine treffliche „Animation“ eine neue Strahlkraft – mithilfe des Kinos.

Alle Interviews, Kritiken und Berichte von der 63. Berlinale auf einen Blick.

Die Wettbewerbsfilme im Überblick

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