"Das Phänomen Menschlein"

"Das Phänomen Menschlein"
Joseph Lorenz über seine erste Zusammenarbeit mit Ulrich Seidl für dessen Berlinale-Film.

Drehen mit Ulrich Seidl, sagt Joseph Lorenz, das ist wie ein Auto konstruieren, während man schon damit fährt. Für den renommierten Theater-, Film- und Fernsehschauspieler Lorenz eine ganz neue Erfahrung – „ohne Netz und ohne doppelten Boden“. In Ulrich Seidls neuem Film „Paradies: Hoffnung“, der als letzter Teil der „Paradies“-Trilogie auf der Berlinale am kommenden Freitag Premiere hat, spielt Lorenz einen Arzt in einem Diätcamp. Eine Patientin verliebt sich in ihn. Das Problem: Sie ist erst 14, also ungefähr vierzig Jahre jünger als er selbst.

KURIER: Herr Lorenz, in einem Film von Ulrich Seidl gibt es oft einen „Schockfaktor“. Ist es bei „Paradies: Hoffnung“ der Altersunterschied?

"Das Phänomen Menschlein"
Ulrich Seidl: Paradies: Hoffnung

Joseph Lorenz: Das glaube ich nicht. Der schockierende Faktor ist – wenn überhaupt – nur sehr subtil vorhanden. Fast Seidl-untypisch, was ich sehr spannend finde.

Ist es ein schwieriger Film für das Publikum?
Sicher.

Inwiefern?
Spröd. Ich habe Ulrich Seidl als jemanden kennen und schätzen gelernt, der einen sehr genauen, unerbittlichen, aber auch heiteren und liebevollen Blick auf das Phänomen Mensch oder Menschlein wirft. Er beleuchtet verschiedene Problematiken mit einem kalten Licht – und dann treten Farben zutage, die man sonst so nicht sieht. Vielleicht liegt es daran, dass er ohne Drehbuch arbeitet. Bei Ulrich Seidl menschelt nichts. Man sieht Menschen in ihren Abgründen, ihren schönen und grauslichen Seiten. Aber menscheln tut’s nicht.

Der Film hat Premiere auf der Berlinale, war also bisher noch nicht zu sehen. Können Sie Ihre Rolle beschreiben?
Ich spiele einen Arzt, den Leiter eines Diätcamps, in den sich eine 14-Jährige verliebt. Für ihn kommt diese Liebe nicht infrage, trotzdem wird er von diesem Mädchen berührt. Er befindet sich in einer schwierigen Situation und kämpft mit widerstreitenden Gefühlen. Für das Mädchen ist es eine keusche, unschuldige erste Liebe. Bei dem 40 Jahre älteren Mann ist nichts mehr keusch – dann fangen die Probleme an.

Das klingt nach einem potenziellen „Aufreger“...
Es geht im Kern um die Problematik von Liebe zu und mit Minderjährigen. Das ist ein Thema, das leider auch in unserer Zeit liegt. Sprengkraft ist also durchaus vorhanden – aber mehr verrate ich nicht.

Mögen Sie Ihre Figur?
Ich kann Sie nachvollziehen, ja. Aber mögen – nein.

Ihr Verhältnis zu Kindern und Jugendlichen?
Ich tu’ mir mit Kindern schwer.

Das geben die wenigsten zu ...
Ich gebe das zu. Manchmal fürchte ich mich vor ihnen, weil sie mir viel gescheiter erscheinen, als ich mich selber fühle. Manchmal kommen sie mir vor wie Dinosaurier – klein, süß, entzückend, witzig – aber Dinosaurier. Vielleicht fürchte ich mich auch, weil ich selber noch nicht wirklich erwachsen geworden bin (lacht). Jugendliche sind schon mehr in meiner Welt, aber Kinder – das ist eine andere Galaxie.

Sie sind ein Schauspieler mit klassischer Ausbildung – also eigentlich das Gegenteil eines typischen Seidl-Schauspielers.
In dieser Hinsicht war ich sehr neugierig auf mich selbst. Ich weiß das ja von mir: Ich bin der Fliesenleger. Da ist das Textbuch, da ist das Drehbuch, und jetzt fangen wir an. Die Arbeit mit Seidl war völliges Neuland für mich, weil es da eben kein Drehbuch gab. Man musste sich ihm einfach anvertrauen – ohne Netz und ohne doppelten Boden.

Muss man bei dieser Form der Zusammenarbeit mehr von sich hergeben als bei anderen Produktionen?
Das fordert Seidl sowieso ein. Und auch der Kamera muss man nichts zeigen, die nimmt sich gnadenlos das, was da ist. Auf der Bühne kann man sich mehr verstecken. Aber die Kamera ist in ihrem Blick viel härter als das Publikum und nicht zu täuschen.

Haben Sie etwas von sich hergezeigt, das Sie sonst nicht hergezeigt haben?
Das hoffe ich. Wenn der Film heraußen ist, dann werden wir sehen, ob ich Schichten von mir freigelegt habe, oder ob es nur Theater war.

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