Kralicek geht essen: Der letzte Einkehrschwung

Skihütten haben aus guten Gründen einen schlechten Ruf: zu laut, zu primitiv, zu wenig Niveau und zu viele Promille. Aber das gilt zum Glück nicht für alle Skihütten
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Unlängst hat sich gezeigt, dass das Coronavirus nicht nur für Menschen lebensgefährlich sein kann, sondern auch für Skigebiete: In Lackenhof am Ötscher wurde der Liftbetrieb für immer eingestellt. Ja, es gab Vorerkrankungen (Besucherfrequenz, Schneemangel, Infrastruktur), aber als akute Todesursache wurden die coronabedingten Umsatzeinbußen angeführt. 55 Jahre hatte das Skigebiet auf dem Buckel. Ist doch kein Alter! Die Hinterbliebenen sind in diesem Fall jene Skifahrer und Skifahrerinnen, die eine lange schwarze Abfahrt wie die am Großen Ötscher in den niederösterreichischen Alpen nun vergeblich suchen werden. Die Abfahrt befand sich in dem Teil des Skigebiets, in dem es keine künstliche Beschneiung gab, und war wegen aperer Stellen oft nicht oder nicht zur Gänze befahrbar. So etwas geht heute natürlich gar nicht mehr: Alles muss jederzeit und überall verfügbar sein. Lackenhof hingegen war Skifahren wie früher – und da konnte es eben auch mitten im Winter einmal vorkommen, dass nicht genug Schnee da ist zum Skifahren. Als ich im vergangenen Februar das letzte Mal in Lackenhof war, schien auf den ersten Blick alles wie immer:

Die kleine Ortschaft lag idyllisch im Tal, der Ötscher ragte majestätisch empor, die Pisten waren fein – nur der unterste Teil der Abfahrt vom Großen Ötscher war wegen aperer Stellen leider gesperrt. Die Pandemie ließ sich aber dann doch nicht ganz verleugnen: Die Liftkarte musste vorab online gebucht werden (was nicht so recht zum zumindest teilweise noch recht analogen Lackenhof passte), vor allem aber waren die Skihütten geschlossen. Und davon gab es auch in einem relativ überschaubaren Skigebiet wie Lackenhof erstaunlich viele, nämlich fünf. Das kulinarische Angebot reichte von der modernen Alpin-Mensa bei der Talstation bis zum riesigen Ötscher-Schutzhaus (80 Betten!), von der urigen alten „Eibenhütte“ bis zur gleich daneben gelegenen Bar für das kleine Bier zwischendurch oder den Verdauungsschnaps.

Skihütten haben aus guten Gründen einen schlechten Ruf: zu laut, zu primitiv, zu wenig Niveau und zu viele Promille. Aber das gilt zum Glück nicht für alle Skihütten, denn dass Skifahren und Einkehren zusammen gehören, ist schon auch klar.

Wintersport macht nicht nur hungrig und durstig, er findet logischerweise meist im Winter statt, und da kann einem auch verdammt kalt werden. Selten vermittelt das Betreten einer Gaststube ein so wohliges Gefühl wie nach ein paar Stunden Skifahren bei Schneefall und Minusgraden. Nirgends schmeckt der Germknödel oder die Gulaschsuppe besser. Kein Wunder, dass den sogenannten Einkehrschwung jedes Kind beherrscht, obwohl der in keiner Skischule auf dem Lehrplan steht – die Betonung liegt hier ja auch nicht auf Schwung, sondern auf Einkehr.

Eine Skihütte hat etwas von einer Höhle, sie vermittelt Schutz und Sicherheit. Das gilt allerdings leider nur, wenn nicht gerade eine Pandemie im Gang ist. Für die Virologie sind Orte, an denen sich dampfende Menschen vor dem Kachelofen versammeln, das Gegenteil von sicher. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Skihütten auch in diesem Winter geschlossen bleiben werden. Wir sollten uns deshalb nicht vom Skifahren abhalten lassen. Aber der Einkehrschwung wird fehlen.

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