Kralicek geht essen: Der Grand Slam

Diese Gastgärten sind ganz großes Tennis. Es gibt keinen Dresscode, man muss nicht einmal reservieren, man kann dort einfach hingehen.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Und jetzt zum Sport: Besonders stark betroffen vom Corona-Lockdown war und ist das internationale Tennis. Der Wettkampfbetrieb steht seit Monaten still, sogar der „Grand Slam“ – wie die vier größten und wichtigsten Turniere genannt werden – wird in diesem Jahr unvollständig bleiben. Wimbledon ist abgesagt, Roland Garros wurde von Juni auf Ende September verschoben, und ob die US Open in New York stattfinden können, ist auch noch ungewiss. Für Tennisfans dürfte das ein harter Sommer werden. Es gibt aber auch Menschen, die sich während der warmen Jahreszeit ohnedies lieber in schattigen Gastgärten aufhalten, als im Fernsehen stundenlang Fünf-Satz-Schlachten zu verfolgen. Für diese gibt es eine gute Nachricht: Ihr Grand Slam ist auch heuer gesichert!

Die Rede ist vom Gastgarten-Grand-Slam, den der Wiener Kulturjournalist Klaus Nüchtern vor einigen Jahren ausgerufen hat. Nüchtern, der beim Falter für Freejazz, Birdwatching und Literatur zuständig ist, verbringt seine Freizeit hauptsächlich in Gastgärten, er kennt sich also aus auf dem Gebiet. Seine vier Favoriten sind: die „Luftburg“ im Wurstelprater, die „Bierinsel“ im grünen Prater, das „Klein Steiermark“ im Schweizergarten und der „Bierstadl“ im Böhmischen Prater. Die Auswahl kommt zunächst überraschend, weil diese vier Gastgärten weder kulinarisch noch atmosphärisch Außergewöhnliches zu bieten scheinen. Sie sind weder stylish gestaltet noch idyllisch gelegen, und die Küche ist von subtil ziemlich weit entfernt. Bezeichnenderweise stehen Spareribs in allen vier Lokalen auf der Speisekarte; für vegetarische Gäste werden pflichtschuldig Champignons oder Emmentalerstücke paniert. Auch beim Bier macht man hier keine Experimente, Gösser oder Budweiser müssen es auch tun (und das tun sie ja auch).

Aber was soll man sagen? Nüchtern hat vollkommen recht: Diese Gastgärten sind ganz großes Tennis. Und anders als beim echten Grand Slam ist es gerade ihre No-Nonsense-Normalität, die einen für sie einnimmt.

Es gibt keinen Dresscode, man muss nicht einmal reservieren, man kann dort einfach hingehen. Wobei man gar nicht so einfach hinkommt, denn ihre Lage ist auf jeweils ziemlich charmante Weise peripher. Die bodenständige Bierinsel liegt gleich ums Eck vom schicken Lusthaus. Die Luftburg ist die weniger legendäre, dafür aber auch weniger überlaufene Verwandte des benachbarten Schweizerhauses (tatsächlich werden beide Lokale von Mitgliedern der Familie Kolarik betrieben). Dass sich im kuriosen Schweizergarten – einem länglichen Park zwischen Hauptbahnhof, Gürtel und Arsenal – ein rustikales Lokal wie das Klein Steiermark verbirgt, muss man wissen; sonst würde man es dort nämlich eher nicht vermuten. Und für den Bierstadl spricht allein schon der Umstand, dass er mitten im Böhmischen Prater liegt, dem in vieler Hinsicht wienerischsten Ort von ganz Wien. Wer im Tennis den Grand Slam gewinnen will, muss alle vier Turniere in einem Kalenderjahr siegreich beenden. Das ist so herausfordernd, dass es seit 1988 (Steffi Graf) niemandem mehr gelungen ist. Besucherinnen und Besucher von Wiener Gastgärten haben es da bedeutend leichter. Bei ihrem Grand Slam können sie gar nicht verlieren. Vorausgesetzt, das Service lässt sie nicht im Stich.

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