Kralicek geht essen: Das Kaffeehaus

Es ist groß und unpersönlich genug, um tun und lassen zu können, was man will, schreibt Wolfgang Kralicek über das Wiener Kaffeehaus.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Der Kaffee in den Wiener Kaffeehäusern ist besser als sein Ruf. Inzwischen ist das Gebräu, das dort angeboten wird, längst auf Augenhöhe mit dem Automatenkaffee der Asfinag-Rastplätze angekommen. Und sollte einem zu Hause gerade das Löskaffee-Pulver ausgegangen sein, stellt das Kaffeehaus heute eine echte Alternative dar. Wenn es nicht unbedingt sein muss, würde es keinem Menschen einfallen, zum Kaffeetrinken ins Kaffeehaus zu gehen.

Warum der Kaffee dort nicht besser ist, weiß niemand. Wahrscheinlich, weil’s eh wurscht ist. Die Leute gehen ja trotzdem gerne hin. Das Kaffeehaus hat andere Qualitäten, zum Beispiel Tageszeitungen. In jedem halbwegs seriösen Café liegen mehr Titel auf als in den meisten Trafiken. Wer nur einen kleinen Braunen bestellt und dazu ein paar Zeitungen – womöglich auch noch ausländische – liest, spart eine Menge Geld. Zugegeben, wir reden hier von einer Minderheit: Mit den Menschen, die täglich (!) mehrere (!!) gedruckte (!!!!!) Tageszeitungen konsumieren, gewinnt man heute keine Wahlen mehr. Im Kaffeehaus aber reicht es noch locker für die Absolute.

Eigentlich ist Kaffeehaus das falsche Wort. Fast alle Kaffeehäuser verfügen über enorm produktive Küchen und bieten in voluminösen Speisekarten klassische Gerichte an, die oft sogar in erstaunlicher Qualität zubereitet werden. Im Grunde ist das Kaffeehaus nämlich auch nur ein Wirtshaus. Der Unterschied ist, dass es hier auch vollkommen okay ist, wenn man nichts essen will. Überhaupt wird hier nicht viel Aufsehen um das Essen gemacht. An den eigentlich viel zu kleinen Kaffeehaustischchen hat auch das Verzehren eines ausgewachsenen Schnitzels etwas von einer Jause. Anders als im Restaurant wird das Essen hier nicht zelebriert, meist gibt es nicht einmal Tischtücher. Und ein leerer Teller ist im Kaffeehaus nicht zwangsläufig ein Anlass, um die Rechnung zu bitten. Man ist ja nicht zum Essen gekommen, warum also sollte man nach dem Essen gehen?

„Ins Kaffeehaus gehen Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen“, schrieb Alfred Polgar, ein sogenannter Kaffeehausliterat. Nicht alle, die heute mit ihrem Laptop im Kaffeehaus sitzen, sind Literaten. Die meisten checken nur ihre Mails. Aber auch hundert Jahre nach Altenberg und Kraus, Polgar und Friedell ist das Kaffeehaus ein idealer Ort für Schriftsteller oder Autorinnen, denen der Schreibtisch Angst macht und die zu Hause nicht allein sein können.

Wenn das Beisl der Dorfplatz unter den Lokalen ist, dann ist das Kaffeehaus die Großstadt. Es ist groß und unpersönlich genug, um tun und lassen zu können, was man will. Stammtisch gibt es keinen. Dafür kann man stundenlang allein da sitzen und lesen. Man kann mit Freunden diskutieren oder mit Geliebten schmusen.

Man kann sogar Kaffee trinken im Kaffeehaus, wenn man sich traut.

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