Warum die Politik schuld ist, dass ich keine Kinder bekomme

Warum die Politik schuld ist, dass ich keine Kinder bekomme
Politiker, die den Klimawandel leugnen oder nur träge Entscheidungen treffen, heizen Ängste an und töten meine Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft. Und: Sie nehmen mir die Entscheidung, ob ich Kinder will.
Diana Dauer

Diana Dauer

"Und was ist mit dir, Diana? Willst du bald Kinder?" Unbehaglich rutsche ich auf der Holzbank weiter weg von der Fragenden. Diese Frage versetzt mich immer wieder zurück an den klebrigen, abgegriffenen Tisch im Festsaal meiner Schule. Gefühlslage: Mündliche Mathe-Matura. Da hatte ich auch keine sichere oder richtige Antwort parat. 

Und das, obwohl ich mittlerweile fast 10 Jahre Zeit hatte, mir eine Antwort zu überlegen. Das liegt nicht nur an meinem Alter. Denn mit dieser Frage werde ich konfrontiert, seitdem sich eine Blutsverwandte meiner Generation zu reproduzieren begann und nun kleine Blutsverwandte herumlaufen und beschützt werden wollen - vor der Welt? Oder der Zukunft?

Eine negative oder ehrliche Antwort will auf die Frage nach dem Kinderwunsch - seien wir uns ehrlich - niemand hören, schon gar nicht Personen, die selbst kleine Kinder oder Enkelkinder haben. Das macht man nicht. Genauso wenig, wie man auf die nicht ernst gemeinte Frage: "Wie geht's?" mit "furchtbar schlecht" antwortet. 

Deshalb weiche ich aus. Lenke ab. Mache schlechte, peinliche und klischierte Witze über den Zustand meines Privatlebens - um nicht über den desaströsen und endlichen Zustand des Planeten zu sprechen. 

Denn während man in verliebten oder hormonell-intoxikierten Momenten der romantisierten Vorstellungen vom Familienleben in einer Kinder-Milchschnitten-Werbung schwelgt und sich überlegt, ob so ein Leben einem vielleicht doch passen könnte, sieht die Welt außerhalb des Screens doch leider anders aus. Unabhängig davon, dass das Haus mit Garten aus der Werbung nicht einmal ansatzweise in finanzieller Erreichbarkeit liegt, radiert die Realität doch allzu oft die Weichzeichner aus der eigenen Zukunftsperspektive. 

Nestbauen im Untergang

Vor die Frage, ob ich überhaupt wollen würde, drängt sich eine andere: Darf ich Kinder haben wollen? 

Dabei geht es nicht um einen Klima-aktionistischen Antinatalismus, der dafür wirbt, aus Gründen des Klimaschutzes auf eigene Kinder zu verzichten. Meine Sorge ist viel egozentrischer: Kann ich mit mir, mit meinem Gewissen, meinem Nachwuchs gegenüber, vereinbaren, eigene Kinder in eine potenziell nicht mehr lebenswerte Welt zu gebären? Ihnen eine Zukunft in der Klima-Katastrophe bieten?

Die Hoffnung stirbt immer ein wenig mehr

Der Blick in die Zukunft - und mittlerweile auch in die Gegenwart - ist düster und heiß. Das ist kein pathologischer Pessimismus, keine saisonale depressive Verstimmung. Es ist eine Beobachtung des Weltzustands, des menschengemachten Klimawandels, seiner Auswirkungen und der Prognosen zur Klimakatastrophe. Dürre und Extremwetter sind schon jetzt Realität. Auch in Europa. Alleine in den letzten Wochen gab es durch Regen und Hochwasser Zerstörung und Tote in Niederösterreich, Spanien und Bosnien.

Ja, ich gebe es zu: Es schwingt auch eine größer werdende Portion Resignation, gewürzt mit Weltschmerz mit. Was aber immer weniger wird, ist die Hoffnung auf das Kratzen der Kurve. 

Die Realitätsvernebelung der restlichen Hoffnung wird dieser Tage auch durch die Nachrichtenlage trotz oder wegen der derzeit stattfindenden 29. Weltklimakonferenz in Baku mit lautem Gebläse eliminiert: 

  • Der Austragungsstaat Aserbaidschan hat, Berichten zufolge, den Klimagipfel zur Anbahnung neuer Öl-Geschäfte benutzt.
     
  • Laut dem EU-Klimawandeldienst Copernicus könnte 2024 das heißeste Jahr der Messgeschichte werden. Die globalen Durchschnittstemperaturen werden voraussichtlich das erste Mal über 1,5 °C dem vorindustriellen Niveau liegen.
     
  • Europa war heuer und schon letztes Jahr von der Erwärmung besonders betroffen. Für Österreich bedeutete die Erwärmung nämlich im Schnitt  2024 eine Erwärmung von 4,1° C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter (Vergleichszeitraum 1881 - 1910). 
     
  • Und das alles im Nachhall der US-Wahl, die den Klimawandel-Leugner Donald Trump ins Oval Office und damit an die Schalthebel der US-Klimapolitik bugsiert. Der designierte US-Präsident will, dass die USA aus der Klimarahmenkonvention und dem Pariser Klimaabkommen (wieder) aussteigen - das hat er bereits in seiner ersten Amtsperiode getan. Joe Biden machte diese Entscheidung 2021 wieder rückgängig. Und: Trump will Öl und Erdgas fördern - und zwar "big time". Die USA sind nach China (30 Prozent) der größte Emittent von Treibhausgasen (14 Prozent).

Rosig klingt das alles nicht. Viel mehr schalten wir Menschen beim Zufahren auf die vielbeschworene Kurve, die gekratzt werden muss, einen Gang hoch und steuern weit daran vorbei. Die Welt insgesamt steuert bis Ende des Jahrhunderts auf eine Erwärmung um 3° C zu. 

Und das löst Zukunftsangst aus - bei mir, bei meinen gleichaltrigen Freund*innen, bei Kindern, die einen Begriff für die Lage bekommen. Laut einem Bericht von UNICEF aus dem Juni 2024 sind Kinder und Jugendliche am stärksten vom Klimawandel betroffen, werden aber politisch am wenigsten einkalkuliert. Ihre und unsere Ängste sind berechtigt, sagt die Wissenschaft. 

Ich wende mich an meinen Kollegen und Klimaexperten Bernhard Gaul. Die Zukunftsängste sind nicht irrational, bestätigt auch er. Zerstreuen kann er sie leider nicht. Studien zeigen zwar, dass reiche Staaten mit der Klimakrise besser umgehen können als arme. "Aber bei Regenmengen von 300l/m2 wie zuletzt in Niederösterreich oder 500+l/m2 in Spanien gibt es nichts mehr, was hilft. Keine guten Böden, die so viel Wasser aufnehmen können, keine Barrieren, nichts." 

Statt Häme und Niedertracht im Diskurs, fehle ihm der "politische Konsens, dass es da ein Problem gibt, das wir lösen können". Es ist also noch nicht zu spät? 

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Aber ich will auch seine Antwort nicht hören. "Natürlich ist alles schon zu spät beim Klimaschutz. Es geht schon lange nur mehr um Schadensbegrenzung. 2° C sind schon eine Katastrophe, 2,5° C noch ärger, 3° C fürchterlich, aber es wird eher 3,5°C plus werden, auch wenn ich das nicht mehr erlebe."

Außerdem: "Die Kipppunkte, vor allem jene beim Golfstrom, sollten uns in Panik versetzen. Dadurch droht Teilen Europas ein plötzlicher Temperatursturz von minus 8 ° C, die Westküste würde vereisen, werde jedenfalls landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar. Die Hitze geht dann in den Süden, wo alles noch mal verstärkt wird."

Hätte ich doch bloß nicht nachgefragt. 

Ich würde mich gern an einem Grashalm der Hoffnung festkrallen, um meine Kinder-Milchschnitten-Schwelgerei mit mehr Ernsthaftigkeit zu fantasieren und mir tatsächlich zu überlegen, ob ich wollte, wenn ich könnte. Aber bis der Grashalm aus politischen Entscheidungen gewachsen ist - sollte das je passieren -, beantworte ich die Frage nach dem Kinderwunsch ausweichend und, offen gesagt, auch etwas peinlich.  

"Dauerzustand "ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus. diana.dauer@kurier.at

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