Serrano-Schinken und sexistischer Selbsthass
Wie ich erkannte, dass ich eine sexistische Heuchlerin bin und warum es meine Beine nicht verdient haben, so gehasst zu werden.
Ich muss es mir eingestehen. Ich bin eine Heuchlerin. Und noch schlimmer: ich bin eine sexistische Heuchlerin.
Das ist eine harte Erkenntnis. Vor allem für jemanden wie mich, die sich Feminismus und das Aufzeigen von Sexismus so selbstgerecht und laut auf die - mit Anti-Falten-Serum eingeklopfte - Stirn schreibt. Aber es stimmt leider.
Also liebe Leser*innen, putzt eure Brillen, wenn ihr eine habt, jetzt wird es unangenehm und ein wenig eklig.
Ich erzähle euch heute eine wahre Geschichte. Sie handelt von Dellen, Körperfett und Serrano-Schinken; von den obsessiven Gedanken an die verhassten Oberschenkel, die wie ätzender, triefender Schleim meine Gehirnwindungen okkupieren. Und von einer Heuchlerin (Spoiler: mir), die die große Kunde des Feminismus betet und doch hörige Dienerin des patriarchalen Körperkults ist.
Dünne Beine, weiche Haut, haarlose Körper
Ja, wir alle leben immer noch im Patriarchat. Wir lernen, dass der scheinbare Wert von Frauen und weiblich gelesenen Personen durch männliches Begehren definiert wird. Und dieses vom männlichen Verlangen durchdrungene Gesellschaftssystem schreibt vor, dass Frauen dünne Beine, weiche Haut und - außer dem Kopf - haarlose Körper haben sollen.
Das problematisiere ich oft, laut und verschnupft. Etwa, wenn mir mein enger Freund von der neuen Frau seiner Begierde berichtet und als besonders anziehendes Attribut ihren "zierlichen Körper und ihre dünnen Beinchen" hervorhebt. “Beschreibst du gerade ein Kind?”, frage ich ihn dann scharf. “Hey, ich kann nichts dafür, was ich attraktiv finde”.
Stimmt sogar, auch Männer sind nämlich Opfer vom patriarchalen System.
“Hinterfrag mal deine Schönheitsideale”, quittiere ich das Gespräch. Der Begriff “dünne Beinchen” hat sich in mein Hirn gebrannt.
Meine armen Oberschenkel
Und hier beginnt auch schon meine Heuchelei: Denn - mehr oder weniger- insgeheim ist mein Leben zu weiten Teilen dominiert vom Streben, genau diesem Bild unbedingt zu entsprechen. Höhepunkt dieses Schleudertraumas aus äußerer feministischer Belehrung und innerer Selbstabwertung ist der daraus resultierende inbrünstige Hass auf meine Oberschenkel.
Fast könnten sie mir leidtun, meine Schenkel, die dem Ideal der “dünnen Beinchen” einfach nicht entsprechen wollen. Sie können schließlich nichts dafür, dass sie von mir so gehasst werden. Im Selbstschutz und um die Scham über meine eigene Abwertung humoristisch zu brechen, bezeichne ich meine “Problemzone Beine” selbst als Serrano-Schinken (wir haben die Schinken-Keule wohl alle im Kopf). Sehr zur Erheiterung einer Vertrauten, die mich seither liebevoll Serranochen nennt.
Diese Abwertung meiner Schenkel, die nie gut genug sein können, ist so laut in mir, dass sie viele Aspekte meines Alltags modelliert. Dabei spüre ich fast leibhaftig, wie der dunkle Schleim der misogynen Obsession sich um meine Gedanken legt und alles andere erstickt: Der Gedanke an Abendessen mit Freund*innen wird zum Gedanken auf Verzicht. Wenn ich überlege, was ich anziehe, denke ich darüber nach, wie ich meine Schenkel verstecken kann. Ich bezeichne mich als Feministin und plane meine Woche nach Jogging-Einheiten, Pilates und Yoga-Stunden. Damit will ich nicht sagen, dass Sport unfeministisch sei. Aber ich muss mir klarmachen, dass ich ihn zu gewissen Teilen auch betreibe, damit meine Schenkel sich endlich so formen, wie ich sie oder der male gaze sie haben will. Lang und dünn.
Ich beschwere mich am Telefon bei einem Bekannten darüber, wie rückschrittlich seine Aussage ist, dass die Frau, mit der er auf einem Date war, so schön war, weil sie fast keine Haare auf den Armen hatte. Nur um dann mit einem Maßband den Umfang meiner Beine abzumessen.
Und endlich ist mir diese Absurdität, diese Heuchelei bewusst geworden.
Wohlfühlzone Selbsthass
Was klingt wie eine Störung des Selbstbilds, ist ritualisierter Ausdruck einer Gruppenzugehörigkeit: Schicksalsgemeinschaft "Aufgewachsen mit dem Schönheitsideal des Patriarchats". Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, der nicht "xxx" genug ist, gibt fast gesellschaftliche Sicherheit. Denn der Hass auf den weiblichen Körper ist schließlich kollektiv. Die Schablone weiblicher Körper ist unsere Wohlfühlzone, wir kennen ihre Regeln und ihre Grenzen. Solange wir danach streben, gehören wir zur Gruppe. Subversiv ist, wer sich nicht selbst hasst.
Wer sich mit der Thematik befasst, kennt die These schon lange. Aber in einer arroganten und doppel-moralischen Herablassung habe ich lange versucht zu verdrängen, dass ich bei meinem Hass auf meine Oberschenkel auf mich selbst herabblicke und mich abwerte.
Und jetzt wird aus Serrano-Schinken, Ekel:
Unserer vom Fokus auf männliches Begehren durchdrungene Gesellschaft hat uns schon so einiges Unerfreuliches beigebracht. Das Verständnis von Schönheit des weiblichen Körpers ist aber eine besonders perfide Lektion. Und diese lernen wir unsichtbar und sehr früh.
Ich erinnere mich an Treffen unter Freund*innen an unserem üblichen Ort. Wir müssen 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein. Dabei wurde mir von zwei mir bekannten und wunderschönen Mädchen gesagt, sie würden mich um meine dünnen Beine beneiden, denn ihre hielten sie für zu fett.
Jetzt denken sich einige vielleicht: “Ja, wein doch, Diana. In deiner Teenagerzeit warst du normschön. Mimimi” Nur wieso war das so? Weil ich eine Spätentwicklerin war. Meine 15 (!)-jährigen Zeitgenossinnen beneideten meinen damals noch mageren, hageren Kinderkörper. Ein Brett auf zwei langen dünnen Stangen.
Und heute, 15 Jahre später, hechele auch ich in einem fast obszönen Fanatismus meinen Kinderbeinchen hinterher.
Tausche Lebenszeit gegen Idealfigur
Das Ideal, dünne Kinderbeinchen haben zu wollen, haben sich die zwei 15-Jährigen Mädchen nicht ausgedacht, es ist internalisiert. Das (unerreichbare) Ziel ist: dünne, lange Beine, flacher Bauch, jugendliches Gesicht und keine Körperhaare. Das Ideal erinnert doch insgesamt sehr an Kinderkörper, oder?
Der Fakt für sich ist schon widerwärtig. Unsere Schönheitsideale setzen alle enorm unter Druck (Ja, auch Männer leiden unter dem Patriarchat - aber eben vorwiegend Frauen). Eine globale Studie des Hautpflegeprodukt-Herstellers Dove, bei der 33.000 Menschen befragt wurden, hat ergeben, dass zwei von fünf Frauen ein Jahr ihres Lebens hergeben würden, um ihre Schönheitsideale zu erreichen. Ein Jahr ihres Lebens.
Das muss sich nun ändern. Nicht nur mein Kumpel, auch ich muss meine Schönheitsideale hinterfragen und meine Serrano-Schenkel Schenkel sein lassen. Wie viel Zeit ich nun haben werde, mir Gedanken über die Bekämpfung des Patriarchats zu machen, statt über die Formungen meiner Beine.
Guter Vorsatz: Reueloses Kekse essen und das Patriarchat stürzen?
Frohe Feiertage
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus.
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