Sexuelle Belästigung: Wisst ihr eigentlich, wie das ist?

Sexuelle Belästigung: Wisst ihr eigentlich, wie das ist?
Ich wurde vor fast 20 Jahren das erste Mal sexuell belästigt. Das hat mich wütend gemacht. Warum irritiert dieser Zorn soviele?
Diana Dauer

Diana Dauer

Als mich das erste Mal gegen meinen Willen ein fremder Mann zwischen den Beinen berührt hat, war ich 12 Jahre alt. 

Es waren Sommerferien, es war heiß und passierte -  Nein, Stopp! Das Wort „passieren“ ist falsch - das suggeriert eine Un-Absicht - er hat es in der U-Bahn getan. Schauplatz für viele weitere Übergriffe.

Ich spürte seine Hand, bevor mir seine physische Präsenz überhaupt bewusst war. Ich erinnere mich noch immer an alle Details der Szene: Er führt seine Hand an meinem Oberschenkel nach oben unter meinen Rock. Ich drücke mich an meine Freundin - weg von seiner Hand. Und sage … nichts. Nur, dass ich mich hinsetzen will. Ich gehe weg von ihm, von dieser großen, breiten Gefahr im braunen Anzug und seiner großen rauen Hand. 

Wir setzen uns und ich flüstere meiner Freundin, die mir jetzt gegenübersitzt, zu, was vorgefallen ist. Als ich mich wieder aufrichte, steht die Gefahr im braunen Anzug neben mir, drückt sich vorbei in unsere Vierer-Bank und setzt sich neben mich. Ich erstarre, während seine rauen Finger - inklusive Ehering - wieder nach mir greifen und an der Außenseite meines Knies streifen. Ich sage … wieder nichts. 

Mein erstes Mal vergesse ich nicht

Das ist ziemlich genau 18 Jahre her, es können noch weitere 18 Jahre vergehen - ein Mädchen vergisst doch niemals ihr erstes Mal. 

Darauf folgten bis heute unzählige ungewollte Berührungen und Belästigungen. Seitdem werde ich am Po begrapscht. Fremde Hände landen auf meinen Oberschenkeln. Halb erigierte Penes drücken sich im vollen Bus an mich. Ich werde auf dem Heimweg verfolgt, halte meinen Haustorschlüssel so fest zwischen den Fingern, dass sich die Knöchel meiner geballten Haut weiß nach außen drücken. Mir werden grölende Anfragen quer über die Straße gebrüllt, wie viel ich für eine halbe Stunde “koste” oder ob 50 Euro ein angemessener Preis für mich wären - nur verzichten die Anbote in aller Eile auf unnötigen Schnick-Schack der Förmlichkeit. In der Kürze muss ein galantes “50 Euro, Schlampe?” reichen. Etc etc. 

… weitere Aufzählungen könnten Seiten füllen - und jede Frau in eurem Umfeld kann die Liste mit eigenen Erfahrungen ins Unendliche ergänzen.

Die ungezählten Übergriffe verschwimmen zu einem ätzenden, giftigen Einheitsbrei. Aber den braunen Anzug vergesse ich nicht. 

Laut werden, Feuer schreien

Ich bin mit Warnungen vor der Gefahr durch fremde Männern aufgewachsen. Wir wurden abgetestet, bevor wir alleine ins Schwimmbad gelassen wurden: “Was machst du, wenn dich jemand angreift?” Richtige Antwortmöglichkeiten: “Laut werden, 'Feuer!' schreien. An erwachsene Frauen in der Nähe wenden. Gegen das Schienbein des Mannes treten. Weglaufen”. Dass ich trotz solcher Vorbereitung beim braunen Anzug still geblieben bin, ärgert mich bis heute - obwohl ich erst 12 Jahre alt war. 

Heute bin ich lauter, wütender. (Kein Wunder nach 18 Jahren Belästigungserfahrung, oder?). Ich habe mir eine laute Schale aufgebaut und trage Pfefferspray in meinem Cross-Body-Bag.

Ich bin nicht mehr wehrlos, habe gelernt, den Mund aufzumachen - und zwar nicht nur, wenn ich oder Menschen in meiner Umgebung körperlich belästigt werden. Sondern auch bei den unzähligen sexistischen Bemerkungen, die einem täglich um die Ohren geschlagen werden.

Die Urheber der saloppen, sexistischen Sprüchlein, die überall durch Bars, Büros, Straßen und Parks schwirren wie Gelsen nach starken Regenfällen im Hochsommer (alias omnipräsenter Psycho-Terror), weigern sich offenbar zu verstehen, dass ihre flotten Witzchen eng verwoben sind mit körperlichen sexuellen Übergriffen. Stichwort: "Ist doch alles nur Spaß."

Belästigung, Gewalt, sexistische Bemerkungen, sexistische Diskriminierung: Sie alle haben dieselbe giftige, patriarchale, strukturell sexistische Erde, aus der sie sprießen. Sie düngen einander, bieten einander perfekte Bedingungen.

Und zum Unglück der Witzbolde weise ich, die "Humor-befreite Feministin", sie auf ihren unreflektierten Sexismus hin. (Mit der richtigen Betonung, wird das Wort Feministin zum Schimpfwort)

Amüsanterweise scheine ich damit - vor allem für ältere Männer - ein Sinnbild dessen zu sein, was bei Frauen in meiner Generation falsch läuft. “Anstrengend, hysterisch, kompliziert, spaßbefreit", werde ich von den älteren Kasperln beschrieben. (Man könnte auch “artikuliert, mit eigenem Willen, eigener Stimme und Ansprüchen” sagen - muss man aber natürlich nicht.)

Sie finden mich nachvollziehbar nervig … es ist schließlich auch lästig, wenn einem eine deutlich jüngere Frau ständig sagt, was man falsch macht, ihre "Witze" nicht belächelt und nicht ruhig bleibt, wenn man ihr den Mund verbietet. 

Besonders lustig wird es aber für mich, wenn ich für meine "aufmuckende Belehrung" neue Kosenamen und Attribute zugeschrieben bekomme. “Die Dauer ist halt eine Zicke”, "Die Dauer kann nie ihre Goschn' halten", "Emanze" (warum ist der Ausdruck "emanzipiert" negativ besetzt?), "übersensibel", etc. etc. 

Aber meine Herren, bei all den Dingen, die ihr lernen müsst, lasst euch noch eines gesagt sein: Eure Wut schmückt mich. Denn es sind meine Worte, die euch in eurem bis dato unberührbaren männlichen Selbstverständnis verunsichern.  

Bevor jetzt viele schäumend in die Tasten hauen: Ja, natürlich wissen wir hysterischen Feministinnen, dass nicht alle Männer so unreflektiert oder übergriffig sind. Die Gruppe der Bewussten wird größer. Vor allem junge Männer sind deutlich reflektierter und setzen sich mit ihrem Verhalten und dem anderer auseinander. Ich setze große Hoffnung in die jungen Männer der Gen Z. 

Aber alle andere, bitte erzieht euch und eure Söhne gleich mit. Dann bleiben die Übergriffe und sexistischen "Witzchen" endlich kein Dauerzustand mehr.

"Dauerzustand" ist meine neue Kolumne. Ich schreibe, frage mich und ärger mich hier für Frauen (und gerne auch Männer und nicht-binäre Personen) über unsere Lebenswelt, über Schablonen, die wir ausfüllen sollen, über Erwartungen und Dinge, die ich vielleicht nicht mehr oder noch nicht verstehe. Jedes Wochenende auf Kurier.at. 

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