30, kinderlos, Versagerin?

30, kinderlos, Versagerin?
Wieso ich mit meinem Lebenswandel ein Affront für andere bin und Frauen erst angekommen sind, wenn sie Babys haben.
Diana Dauer

Diana Dauer

Ich sitze in desolatem Zustand auf einer Kinder-Geburtstagsfeier, wo ich mit den anderen kinderlosen FreundInnen der Eltern am Tisch platziert werde (damit ich weiß, wo ich hingehöre). Es ist ein Vormittag am Wochenende und ich weiß mit jeder Faser meines müden Körpers, dass ich gestern früher hätte nach Hause gehen sollen. 

Stattdessen werde ich in meinem Kater zum Bußgang gezerrt: "Diana, wann wirst du erwachsen?". In anderen Worten: "In deinem Alter solltest du schon angekommener sein."

30, kinderlos, Versagerin

Der Satz "Du solltest angekommener sein" fiel tatsächlich. Allerdings nicht mir gegenüber, sondern wurde zu einem Gleichaltrigen mit einem ähnlichen Steckbrief gesagt: 30, ledig, kinderlos und - meistens- nicht traurig darüber. 

Egozentrisch, wie ich bin, beziehe ich den Satz auch auf mich. Wälze ihn in meinem Kopf und teste, ob die Zuschreibung passt. Passt erschreckend gut. Obwohl mich die Bedeutung irritiert.

Wo soll ich in meinem Alter angekommen sein? 

Ist das Erwachsensein eine Art Remise, in der ich nach Rundfahrten und etlichen Stopps, in denen Trauma und Erfahrungen zusteigen, "endlich" halte? Welche Stationen müssen abgefahren sein, welche Attribute zugestiegen sein? 

Ich habe die Bedeutung vom "angekommen sein" nie verstanden - nicht, dass mir das je attestiert wurde. Und warum soll ich eigentlich wo ankommen? Stillhalten? Mich nicht mehr weiter entwickeln? Das dürfte das Ziel sein, vor dem ich offenbar eher weglaufe, als darauf zu. Was muss ich denn vorzeigen, um in die Gruppe der Angekommenen zu gehören? Eine feste Beziehung, ein Kind, einen Finanzplan?

Es scheint für viele - auch in meinem Umfeld - geradezu ein persönlicher Wunsch zu sein, dass ich meinen Wohnraum mit einem Partner/einer Partnerin teile, an einer "gemeinsamen" Zukunft arbeite, meinen Körper einer derartigen Extremsituation aussetze, dass er sich womöglich nie wieder davon erholt (die Rede ist von einer Geburt, Anm.) und meine Arbeit/Karriere hinten anstelle.  

Werde ich einsam sterben?

Manchmal schlägt das Mitleid der mich nicht Verstehenden in Wut um. Nämlich dann, wenn ich nicht verstehen will, warum ich 30-jährige, kinderlose, ledige FRAU bemitleidenswert sein soll. Dann heißt es nicht mehr aufmunternd: "Du wirst schon noch einen finden, der dir bleibt und dir ein Baby macht". (Danke für deinen Glauben an mich, Oma)

Sondern: "Du bist egoistisch, unreif und kurzsichtig, wenn du dir jetzt keine Kinder anschaffst. Ihr (was auch immer das heißen soll) wollt alle zuerst das Studieren, das Reisen, die Karriere und dann irgendwann erst das Familienleben. Aber naive Diana, was, wenn dann der Mann nicht da ist?", wurde ich nicht nur einmal gewarnt. 

"Ja, was ist dann?", frage ich dieses verbitterte Orakel. "Dann wirst du mit 50 Jahren traurig und kinderlos sein. Und im Alter wird sich niemand um dich kümmern und keiner wird dich im Heim besuchen", zeichnet die Person meine Prophezeiung zu Ende. Ich frage mich, ob Männern in meinem Alter auch so eine Zukunft vorhergesagt wird. 

Aber was ist daran egoistisch, als 30-jährige Frau (das Frausein scheint hier wichtig zu sein) noch keine Kinder zu haben und - Achtung, Trigger!- vielleicht auch gar keine bekommen zu wollen?

Flasche statt Fläschchen

Wem tue ich weh damit, dass ich am Samstagmorgen nicht stillend am Frühstückstisch sitze, sondern selbst die bin, die bis vor Kurzem noch an einer Flasche genuckelt hat?

Wir, die wir für unser Alter nicht angekommen genug sein sollen, erfüllen ja grundsätzlich die Eckdaten des Erwachsenseins. Aber irgendwie scheinen wir in das vorgelebte One-Size-Modell "Erwachsensein" nicht ganz hineinwachsen zu wollen, während das Modell "Jugendlichkeit" schon zu lange an der Hüfte spannt, unter den Armen zwickt und ausrangiert gehört. 

Was ist falsch mit uns?

Ich lebe in der Konfektions-Zwischengröße nicht alleine. Das Gros meiner Blase aus privilegiertem, städtischen Bildungsbürgertum wabert in dieser Zwischenwelt. Hier ist der "Traum" vom Haus mit Garten und einem Kombi voller Kinder entweder weit entfernte Zukunftsmusik oder löst Herzrasen und eine erhöhte Cortisol-Ausschüttung aus. (Obwohl ich nicht Nein sagen würde zu einem Wochenend-Häuschen.)

Also was ist denn bloß falsch mit uns? Dieser Lebenswandel, so verbreitet er mittlerweile in meiner Generation ist, scheint Außenstehende in ihren Grundfesten noch immer zu erschüttern, scheint ein Affront gegen ihre gelebte Biografie - als wäre meine Selbstbestimmtheit als Frau im Alleingang verantwortlich für den vermeintlichen Untergang des "Abendlandes". (wie viele Eizellen ich schon unbefruchtet verschwendet habe? Entschuldigung, Österreich...)

Dabei lebe ich doch genau diese erkämpfte Freiheit, die aktuell so sehr beschützt werden will. Die Freiheit der Wahl, die nach wie vor nur den privilegiertesten Frauen - zu denen ich als autochthone Österreicherin zweifelsfrei zähle - auf dieser Welt gegeben ist. 

Vielleicht brauche ich als Frau kein Kind, um angekommen zu sein. Vielleicht bin ich in meinem Selbstverständnis angekommen, weil ich weiß, was ich heute will. Vielleicht will ich morgen ein Kind - vielleicht nicht. 

Vielleicht bleibt das ein Dauerzustand. 

"Dauerzustand" ist meine neue Kolumne. Ich schreibe, frage mich und ärger mich hier für Frauen (und gerne auch Männer und nicht-binäre Personen) über unsere Lebenswelt, über Schablonen, die wir ausfüllen sollen, über Erwartungen und Dinge, die ich vielleicht nicht mehr oder noch nicht verstehe. Jedes Wochenende auf Kurier.at. 

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