Gewalt an Frauen: "Schick mir das Geld oder ich bring dich um"
Wenn das Handy vibriert und mehrere Nachrichten hintereinander kommen, steigt die bekannte Angst über die Brust in den Hals. Der Blick schnellt auf den Handy-Bildschirm.
"Schick mir das Geld oder ich bringe dich um", stand in den vielen Nachrichten, die Eva (Name von der Redaktion geändert. Anm.) über Jahre bekommen hat. Immer dann, wenn er sein gesamtes Gehalt und die Familienbeihilfe, die sie für die beiden gemeinsamen Kinder brauchten, innerhalb weniger Stunden verspielt hatte. Er war spielsüchtig – und wenn er verlor, wurde er wütend. Dann wollte er ihr Gehalt.
Er, das ist ihr damaliger Ehemann und Vater ihrer zwei Kinder. Sie hatte Angst vor ihm, hat ihm geglaubt, dass er sie umbringen könnte. Tat sie es dennoch nicht, wurde er noch wütender. Demütigte sie, schrie, bedrohte sie, schlug sie. Wenn sie mit ihm gestritten hat, weil er ihr Geld verloren hat, wurde er wütend. Er schrie wieder. Schlug sie wieder. "Ich dachte dann, dass er recht hat. Ich hätte nicht mit ihm schimpfen dürfen", erzählt Eva wie aus einem anderen Leben.
Er hat sie isoliert, hat ihr nicht erlaubt, ohne ihn ins Ausland zu fahren. Die Angst vor ihm und seiner Gewalt machte sie krank. "Ich hatte so viele Schmerzen und wusste nicht, woher sie kommen". Viel zu lange ahnte sie nicht, dass der Schwindel, das Taubheitsgefühl, die Übelkeit und die Schmerzen von einer schweren Depression durch Angst und Gewalt kamen. Eva musste öfter mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht werden, weil die Schmerzen nicht zu ertragen waren.
Bei einem dieser Krankenhausaufenthalte sollte sich für Eva und ihre Familie alles ändern.
Während sie im Krankenhaus behalten wurde, sollte Er, wie ihn Eva in unseren Gesprächen nur bezeichnet, auf die Kinder aufpassen. Doch er ging wieder ins Spielcasino und verlor - wieder. Er wurde erneut wütend, kam ins Krankenhaus, um seinen Frust über sein Unglück im Spiel an ihr auszulassen. Da trifft sie eine Entscheidung: Sobald es ihr besser geht, wird sie die Kinder nehmen und ihn endlich verlassen. Sie muss nun auf sich schauen.
In ihrem Reich hat er keine Macht
Heute trifft sie der KURIER in einer Wohnsiedlung inmitten der typischen österreichischen Kulisse – Wiesenblumen, Felder, Berggipfel am Horizont. Zwischen Plattenbau und Badeteich hat Eva ihre menschliche Integrität wieder gefunden. In der Wohnung, die sie mit ihren Kindern endlich beziehen konnte, fehlt noch der Herd. Das macht nichts. Ihr Glück könnte nicht perfekter sein, denn sie ist frei, unabhängig und er kann ihr nichts mehr tun.
"Mein Leben ist in einem Idealzustand, meine Kinder sind jetzt glücklich", sagt Eva und nimmt sich eine Erdbeere aus ihrer eigenen Obstschale, die auf ihrem eignen Esstisch steht. Ihr Reich, in dem der Ex-Mann nur auf Besuch kommen darf, wenn sie es erlaubt. Der Ort, an dem er keine Macht mehr über Eva hat.
Diese Wohnung ist ein Zuhause. Doch Zuflucht fand sie schon zuvor.
Flucht braucht Präzision und Geheimhaltung
Szenewechsel: Es ist ein Freitag im Winter 2022 und Eva hat eine Tasche gepackt. Darin: Alle wichtigen Dokumente und Medikamente für sie und ihre zwei Kinder, sowie Kleidung für alle drei in einem Ausmaß, dass es für einen zweiwöchigen Urlaub reichen würde - ganz so, wie es die Frauenhäuser empfehlen. Nach 17 Jahren wird sie an diesem Tag die Tradition der Gewalt, wie sie es selbst nennt, unterbrechen.
Ihr Mann ist bis abends in der Arbeit, sie holt die Kinder wie üblich zu Mittag von der Schule ab, doch sie geht nicht mit ihnen nach Hause. Heute ruft sie ein Taxi und flieht vor ihrem Mann ins Frauenhaus.
Fortan leben sie fast ein Jahr hier. An diesem Ort, von dem niemand Außenstehendes wissen darf, wo er ist, aber jede wissen sollte, dass es ihn gibt. Die Adresse - so wie die jedes Frauenhauses - muss zur Sicherheit der Frauen und Kinder, die hier Zuflucht suchen, geheim bleiben.
Wohnen hinter Sicherheitstoren
Nach einigen Monaten der Psychotherapie, nach der Scheidung, findet sie ihre Autonomie, ihre Hoffnung und begibt sich auf die Wohnungssuche. Das Frauenhaus und mehrere Vereine unterstützen Frauen bei der Suche nach passenden Wohnungen für ein Leben danach.
Im Frauenhaus noch aber hatten Eva und ihre Kinder ein gemeinsames Zimmer, es gibt eine voll ausgestattete Küche, einen Essbereich, Badezimmer, Wohn- und Aufenthaltszimmer, Spielsachen. Je nach Größe des Hauses sind die Unterkünfte mehr oder weniger intim, fühlt es sich mehr oder weniger nach Wohngemeinschaft an. Es wird auf größtmögliche Gemütlichkeit gesetzt. In diesem Haus sitzt beim KURIER-Besuch ein kleines Kind auf dem Teppich im Wohnzimmer und spielt mit Bauklötzen, über den Fernseher flimmern Cartoons. Auf dem Sofa liegen Kuscheltiere. Alles ganz normal.
Doch es gibt einige Accessoires an und in diesem Haus, die zeigen, dass es kein gewöhnliches Wohnhaus ist. Im Eingang zum verschlossenen Wohnbereich hängt ein Schild: "Frauen- und Kinderraum. Kein Zutritt für Männer" steht darauf. Außerdem gibt es Tore oder Mauern, Zäune, Schleusen, Sicherheitstüren und Überwachungskameras.
Manche wenige Gewalttäter, meist die Partner von Frauen, die hierher geflohen sind, finden die geheimen Adressen dennoch heraus. Deswegen gibt es weitere Sicherheitsvorkehrungen.
Auch die Namen der Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen und Juristinnen, die hier arbeiten, bleiben geheim. Denn auch ihnen droht Gefahr durch die Gewalttäter, denen "die Frauen weggelaufen sind". Auch sie müssen in ihrem täglichen (Arbeits-)Leben vorsichtig sein. Es komme vor, dass sie verfolgt werden, um die Adresse des Frauenhauses herauszugeben. "Die Polizei ist in diesen seltenen Fällen aber immer schnell und zuverlässig", wird dem KURIER berichtet. Man stehe in guter und regelmäßiger Beziehung zu den zuständigen Behörden, heißt es im Frauenhaus.
Für Notfälle gibt es immer Platz
Wie aber funktioniert der Ausweg aus einem von Gewalt- und Kontrolle geprägten Lebens? Evas Flucht, die mit dem Entschluss im Spitalsbett begonnen hat, ist präzise geplant. Es dauert mehrere Wochen, bis das Zimmer im nächsten Frauenhaus frei wird. Für Notfälle gibt es immer Platz, besteht jedoch keine Gefahr für Leib und Leben, kann es einige Wochen dauern. Einmal in der Woche sollen Frauen anrufen, ob ein Zimmer frei ist. In dieser Zeit hat sie Geld gespart, sie hat heimlich gepackt, damit ihr Mann nichts merkt und sie jederzeit bereit sein kann. So empfehlen es die Frauenhäuser.
Gewalt an Frauen ist in Österreich ein ernstes Problem. Jede dritte Frau hat in Österreich seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und sexuelle Gewalt erfahren. Rund 37 Prozent haben Erfahrungen mit psychischer Gewalt in Beziehungen gemacht, das ergab eine Erhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2022.
Bis dato gab es allein heuer (Stand 11.2024) bereits 10 Femizide und 25 Mordversuche beziehungsweise Fälle von schwerer Gewalt. Im Jahr 2023 waren es laut der Autonomen Frauenhäuser (AFÖ) etwa 26 Femizide.
In Österreich gibt es 31 Frauenhäuser. Hinzu kommen Übergangswohnungen in einigen Bundesländern. Es gibt (Stand 2023) 375 Plätze für Frauen, 447 Plätze für Kinder in ganz Österreich. Die Frauen können ihre Kinder mitnehmen.
Die Nachfrage nach Zimmern in einem der 31 Frauenhäuser ist hoch. Vor allem, wenn in Medien über einen weiteren Femizid berichtet wird, steigt die Nachfrage von Gewalt betroffener Frauen, denn sie fürchten: "Ich könnte die Nächste sein". Das berichten uns auch Sozialarbeiterinnen aus Frauenhäusern.
Die Furcht kann leider berechtigt sein. Nicht jede kann sich rechtzeitig retten, nicht jede weiß von der Möglichkeit, in ein Frauenhaus zu gehen, nicht jede schätzt die Gefahr durch den Partner richtig ein und nicht jede traut sich, vor ihrem Gewalttäter, der häufig auch Partner ist oder war, zu fliehen, wissen die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern.
Auch dieser Tage musste unter anderem auch im KURIER wieder über einen Mord an einer jungen Frau in Wien berichtet werden.
Der Mord an einer Frau ist aber nur das Fatalste. Das klingt zynisch, aber viele Frauen ertragen ein jahrelanges Martyrium, bis ihnen ein Ausweg gelingt. Und der gelingt oft nur über Umwege.
"Viele nehmen zuerst Kontakt mit der Frauenberatung auf. Oft noch gar nicht wegen des Themas Gewalt in der Familie. Sie suchen sich irgendein anderes Thema, weil Gewaltopfer in Angst, Scham und Scheu leben. Viele fühlen sich für ihre Situation schuldig und schämen sich dafür entsetzlich", berichtet eine Sozialarbeiterin aus einem Frauenhaus beim KURIER-Besuch.
Erst im Laufe der Zeit stelle sich heraus, dass es hier Gewalt gibt. Vielen sei nicht bewusst, dass Gewalt nicht nur körperliche Gewalt ist, sondern immer auch psychische Gewalt. Demütigungen, Drohungen, Isolierung von der Außenwelt, ökonomische Gewalt: Insofern, als der Gewalttäter zu wenig Geld zur Verfügung stelle oder kein eigenes Konto erlaube. Viele halten an einem falschen Glauben fest - vor allem, wenn Kinder im Spiel sind, erzählt die Sozialarbeiterin. "Sie denken, sie würden den Kindern den Vater wegnehmen - dabei verhält sich der Vater doch so, dass er den Kindern nicht zumutbar ist", sagt die erfahrene Beraterin.
In vielen Fällen sind es Außenstehende, die auf den Missbrauch aufmerksam werden. Mitarbeiterinnen in Krankenhäusern, Schulen, ArbeitskollegInnen. "Und es ist wichtig, dass die Frauen vorsichtig angesprochen werden. Dass Auswege aufgezeigt werden, Hilfe angeboten wird", betonen die Expertinnen aus den Frauenhäusern.
→ Es kann alles sein: Gewalt sollte immer für möglich gehalten werden
→ Kind hat oft Bauchschmerz? Dann sollte man eine Checkliste arbeiten: Was hat das Kind gegessen? Gibt es eine Schulaufgabe/Test/Schularbeit? → Kann es Gewalt sein?
→ Hat das Kind ein gestörtes Nähe-Distanz-Verhalten?
→ Blickkontakt wird nicht gehalten, das Kind tritt nicht in Beziehung
→ häufige Verletzungen mit komischen Erklärungen
→ Aufmerksam: Wo sind die Verletzungen? Alle Verletzungen am Oberkörper sind verdächtig. Schrammen am Knie sind wenig überraschend. Eine Verletzung am Ohr könnte von Ohrfeigen kommen. Vor allem, wenn das linke Ohr betroffen ist, denn die meisten Menschen sind Rechtshänder.
→ Isoliertes Verhalten
→ Lächeln, wenn sie von schlimmen Dingen erzählen: "Wenn eine Frau lächelnd erzählt, dass ihr Partner sie geschubst hat oder lächelnd von Abwertungen durch den Partner erzählt, ist das Alarmstufe Gelb"
→ Alarmsatz für finanzielle Gewalt und Isolation: “Das ist ja sein Geld”
→ Verletzungen mit komischen "Erklärungen"
Gewalt lebt von Isolation.
Falsche Gründe zu bleiben
Wer und wieso macht man das mit? An einen gewalttätigen Partner zu geraten, kann jedem und jeder passieren. "Um schwierige Situationen zu ertragen, neigt der Mensch dazu, nicht genau hinzusehen". Oft fassen Frauen erst den Entschluss, den Gewalttäter zu verlassen, wenn Kinder im Spiel sind, das Kindeswohl gefährdet ist. Oder wenn das Kind in der Schule oder dem Kindergarten auffällig wird.
Und dennoch: Manche Frauen kommen nur für eine kurze Zeit, andere kehren auch nach längerer Zeit wieder zu ihrem gewalttätigen Partner zurück, wird dem KURIER gesagt. Warum? "Jede Frau, die vom Partner misshandelt wird, ist ambivalent. Denn wenn es keine Zwangsehe ist, hat man sich den Partner mal ausgesucht. Einige Frauen wollen den Gewalttäter auch nur abwarnen und zeigen, dass sie Alternativen haben", erklärt die Sozialarbeiterin. Andere haben keine Hoffnung, sagt etwa Eva.
Wer bleibt, wird in minutiöse Millimeterarbeit wieder zur Selbstständigkeit aufgebaut, so Eva. Sie selbst sei viel zu lange in ihrer Beziehung geblieben. "Er war nicht immer durchgehend gewalttätig, manchmal hat er versprochen, sich zu ändern und es war für ein paar Wochen Ruhe", erzählt Eva. Ihr Mann habe ihr häufig Besserung versprochen, "aber das hat nie lange gehalten", erzählt sie. "Irgendwann war mir bewusst, dass ich ihn nicht brauche".
Keine Angst mehr
Am Anfang sei die Trennung schwierig gewesen, er habe wieder gedroht, sie oder sich selbst umzubringen. Die Drohung habe sie bei der Polizei angezeigt, ein Schritt, den er ihr nicht zugetraut habe. Es wurde ein Annäherungsverbot ausgesprochen und "jetzt hat er es akzeptiert. Ich hatte Angst vor ihm und er dachte, ich würde ihn niemals verlassen", sagt Eva. Heute ist sie fast froh, dass sie krank geworden ist. "Gewalt zerstört Frauen", sagt sie. Aber die Krankheit war ihr Erweckungsmoment.
Heute bekommt Eva diese Nachrichten nicht mehr und muss auch keine Angst mehr vor ihrem Peiniger und nun Ex-Mann haben. Sie konnte sich befreien - aber die ständige und über Jahre andauernde Gewalt hat Spuren hinterlassen. Das Handy-Vibrieren pumpt ihr immer noch Adrenalin durch die Adern. "Aber jetzt geht alles bergauf. Ich habe keine Angst mehr."
- Frauenhelpline: 0800 222 555 (rund um die Uhr erreichbar)
- Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen: https://netzwerk-frauenberatung.at (in fast jedem Bezirk in Österreich)
- Verein Autonome österreichische Frauenhäuser (AÖF): www.aoef.at (Frauenhäuser sind rund um die Uhr erreichbar)
- Dachverband Gewaltschutzzentren Ö: https://www.gewaltschutzzentrum.at/
- Dachverband Kinderschutzzentren Ö: http://www.oe-kinderschutzzentren.at/
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