Eine Frau erzählt, wie sie sich aus einer Gewaltbeziehung befreite
„Früher hab’ ich mir auch gedacht: Warum lassen Frauen sich das gefallen? Warum sind sie so schwach?“, sagt Frau M. Bis sie selbst betroffen war. Ihr langjähriger Partner war jähzornig und eifersüchtig, dann wurde er auch gewalttätig. Er bedrohte, schlug und würgte sie. Schließlich flüchtete sie mit ihren beiden Kindern in ein Frauenhaus. Frau M., eine eloquente und selbstbewusste Wienerin Mitte 30, möchte ihre Geschichte erzählen, um anderen Frauen Mut zu machen. Zu ihrem Schutz und zum Schutz ihrer Kinder bleibt sie aber anonym.
KURIER: Wie war die Beziehung zu Ihrem Ex-Freund?
Frau M.: Wir waren 14 Jahre zusammen. Er war ziemlich krankhaft eifersüchtig, er wollte zum Beispiel nicht, dass ich Mädels-Abende mache. Er wollte auch nicht, dass mich jemand im Bikini sieht oder dass ich mich stark schminke. Am Anfang ist so eine Eifersucht ja auch süß – bis es dann zu viel geworden ist. Manchmal gibt man dann auch nach, damit die Situation nicht eskaliert. Er war halt meine erste große Liebe, ich war total verknallt in diesen Menschen. Ich habe erst im Frauenhaus die Zeit gehabt, das Revue passieren zu lassen. Wie narzisstisch er war, sein Kontrollbedürfnis: Er wollte immer wissen, wo ich bin, wo ich hingehe.
Hat sich damals gezeigt, dass er gewalttätig sein kann?
Er hatte Aggressionsprobleme, zum Beispiel beim Autofahren. Wenn ihn jemand geschnitten hat, hat er ihn auch geschnitten. Dann ist er ausgestiegen und hat dem anderen Fahrer aufs Autodach gehaut. Ich habe gehofft, dass sich das ändert, wenn wir Kinder haben, und gesagt, wenn er damit nicht aufhört, fahren wir nicht mehr mit ihm mit. Er hat auch sehr stark an sich gearbeitet. Aber es wurde nicht besser.
Man hofft also immer, dass sich die Beziehung wieder verbessert?
Man hofft immer wieder auf das Gute. Wenn wir Kinder haben, wenn wir gemeinsam auf ein Haus sparen, dann muss es doch besser werden. Ich habe die Hoffnung gehabt, mit ihm alt zu werden. Aber wir haben weiter gestritten, es ist immer um Geld gegangen. Wenn mir die Streiterei zu viel geworden ist, wollte ich aus der Wohnung raus, dann hat er mich am Handgelenk gepackt und gegen die Wand gedrückt.
Wann haben Sie dann überlegt, sich zu trennen?
In Phasen, wo wir viel gestritten haben, habe ich immer wieder darüber nachgedacht. Aber wir haben zwei Kinder, ich bin Teilzeitkraft und war finanziell abhängig. Ich habe nicht gewusst, wo ich wohnen soll. Man drückt das dann irgendwie durch und hofft, Lösungen mit dem Partner zu finden. Wegen der körperlichen und psychischen Gewalt, die man erlebt hat, denkt man: Du bist nichts wert. Man zweifelt sehr an sich. Ich war dann wegen Depressionen in Therapie, da sind wir auch auf das Thema Beziehungen gekommen. Ich habe dann versucht, mit ihm zu reden, wir haben auch eine gemeinsame Therapie gemacht. Aber er hat die Probleme nicht gesehen.
Was ist passiert, als Sie dann den Schlussstrich gezogen haben?
Dann kam wieder seine extreme Eifersucht. Es gab viel Streit, er wollte mein Handy kontrollieren. Er hat mir vorgeworfen, dass ich ihn betrüge und dass ich alles wegschmeiße, weil ich ein Scheiß-Mensch mit einem Scheiß-Charakter bin. Er hat gesagt: „Jetzt ist es schon egal, jetzt bring’ ich dich um.“ Da hab’ ich gewusst: Wenn er das nächste Mal zurückkommt, kann ich mich gleich im Garten eingraben. Und das Schlagen, das Würgen ... Dass mein größeres Kind das einmal live miterlebt hat, damit komme ich gar nicht klar, da mache ich mir Vorwürfe.
Wie sind Sie auf das Frauenhaus gekommen?
Über meine Mama. Wir waren zuerst bei der Beratungsstelle im 12. Bezirk (Vivenotgasse 53, Mo-Fr, Terminvereinbarung: 01/5123839), eine Woche später bin ich ins Frauenhaus gekommen. Das war voriges Jahr im Frühjahr. Die ersten Tage ist es mir nicht gut gegangen. Ich habe mich gefragt, ob es das Richtige war – aber zurückzugehen war keine Option. Man zweifelt sehr viel. Ich war zuerst im Krankenstand und habe schauen müssen, was meine nächsten Schritte sind. Und ich habe Sorgen gehabt und habe nicht schlafen können, weil mein Sohn die Schule wechseln musste. Dabei ist es ihm dann in der neuen Schule viel besser gegangen als in der alten. Aber ich habe es genossen, dass ich mit meinen Kindern endlich tun und lassen konnte, was wir wollten. Wir haben Ausflüge gemacht und keiner hat uns mehr kontrolliert.
Wie lange waren Sie im Frauenhaus?
Drei Monate. Jetzt wohne ich in einer Wohnung, die vom Verein Wiener Frauenhäuser zur Verfügung gestellt wird. Ich suche schon eine eigene Wohnung dort in der Nähe. Dieser Bezirk ist mein neues Zuhause, wo sich auch meine Kinder wohlfühlen.
Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?
Sehr, sehr, sehr zum Positiven. Ich habe das Gefühl, wieder frei sein zu können. Ich bin von niemandem abhängig, weder finanziell noch emotional. Und ich weiß: So jemand kommt mir nicht mehr ins Haus. Man muss mich so akzeptieren, wie ich bin. Auch wenn das vielleicht komisch klingt, aber ich bin dankbar für die Zeit. Man wird stärker und reifer. Es macht einen stolz, dass man das geschafft hat, denn da gehört sehr viel Mut dazu.
Was raten Sie anderen Frauen in so einer Situation?
Sich Hilfe suchen und diese auch annehmen. Nicht an sich zweifeln. Und sofort die Polizei rufen oder zu einer Beratungsstelle gehen. Ich weiß, dass das mit viel Scham verbunden ist, weil zum Beispiel die Nachbarn mitkriegen, dass die Polizei kommt. Aber man braucht Hilfe. Und wichtig ist, dass man wieder an sich glaubt. Kein Mensch ist schuld an der Gewalt, die ihm angetan wird – schwach ist nur das Gegenüber. Heute sage ich mir: Ich hätte viel früher gehen sollen.
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