Immer mehr Vergewaltigungen in Österreich angezeigt: Täter sehen sich in Opferrolle
16 Tage. Solange wird ab heute wieder auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. In dem Büro von Dietmar Berger, stellvertretender Ermittlungschef des Landeskriminalamts Wien, ist die Bekämpfung von Gewalt an Frauen Alltag. An 365 Tagen im Jahr.
Polizist Berger kennt die Hintergründe von Fällen, die öffentlich meist kurz für Entsetzen sorgen, um dann in Vergessenheit zu geraten, bis wieder etwas passiert und das Entsetzen erneut anhebt.
Es sind Fälle wie jener einer Elf- und Vierzehnjährigen, die vor zwei Wochen in einer Wohnung in Wien-Meidling vergewaltigt worden sein sollen. Oder jener der 13-jährigen Leonie, die von drei Burschen vergewaltigt, gefilmt und auf einem Grünstreifen abgelegt worden sein soll. Sprechen darf Berger darüber nicht.
Speziell geschulte Beamtinnen
Doch der Mann mit dem akkuraten Kurzhaarschnitt erzählt anderes, während er Kaffee in den blauen Tassen mit weißen Verzierungen serviert. Etwa über jene Liste, die im Landeskriminalamt aufliegt. „Darauf finden sich jene weiblichen Kriminalbeamtinnen, die sofort für die Opfer zur Verfügung stehen, wenn es zu einer Vergewaltigung kommt. Sie sind besonders geschult für die Erstbetreuung“, erklärt er. Denn kommt es in Österreich zu einer Vergewaltigung, spricht das Opfer nur mit einer weiblichen Kriminalbeamtin. So sehen es die Opferrechte in der Strafprozessordnung vor.
Wichtige Spurensicherung
Einfühlsam sei die Befragung, sagt Berger, das Opfer werde auch auf dem Weg ins Krankenhaus zur Sicherstellung der Spuren nicht alleine gelassen.
Falls es diese Spuren noch gibt. Denn es sei ein reflexartiges, nachvollziehbares Verhalten nach Sexualdelikten, dass sich die meist weiblichen Opfer waschen wollen - aus kriminaltechnischer Sicht sei es verheerend. „Die Spuren sind gerade bei Sexualdelikten enorm wichtig, weil wir es hier mit sehr flüchtigen Spuren zu tun haben“, sagt Berger und lässt die blaue Kaffeetasse mit den weißen Verzierungen auf der Untertasse rotieren, bis diese zum Stillstand kommt.
„Das Opfer soll nie das Gefühl bekommen, dass es eine Belastung ist, dass es stundenlang warten muss. Im Idealfall führen wir eine einzige Befragung durch. Die Tat selbst ist belastend und traumatisierend genug. Darum gilt es jede weitere Belastung zu vermeiden“, erklärt der 48-Jährige die Arbeit seines Ermittlungsbereichs 3, der sich mit Sexualdelikten befasst.
Tat und Prozess
Was eine Vergewaltigung für ein Opfer bedeutet? Die Antwort erhält man gut 300 Kilometer weiter, im Büro von Thomas Lehmert, Salzburger Landesleiter „Weisser Ring“.
Seit 15 Jahren begleitet Lehmert Opfer von Straftaten in Strafverfahren für die Opferschutzeinrichtung. „Bei vielen, die zu uns kommen, liegen die Taten lange zurück. Wir verdeutlichen ihnen, was auf sie im Prozess zukommt. Die meisten glauben, sie machen eine Anzeige und der Täter wird verurteilt. Aber das passiert so nicht. Kein Täter sagt: Danke, dass du mich anzeigst, sondern stellt das Opfer meist als Lügnerin hin.“ Pause. „Und wenn die Tat in der Familie passiert, kommt ein enormer Druck hinzu, warum man denn so was dem armen Opa antut.“
1.054 Vergewaltigungen im Jahr 2021
Dies belegt auch eine Gegenüberstellung der Zahl der angezeigten Vergewaltigungen mit jener der Verurteilungen. Wurden im Jahr 2021 insgesamt 1.054 Vergewaltigungen in ganz Österreich angezeigt, kam es im Vergleichszeitraum gerade einmal zu 118 Verurteilungen.
Lehmert: „Bei einer Vergewaltigung gibt es meist ein Opfer und einen Täter. Aussage gegen Aussage. Wir haben das Problem der Beweismöglichkeit und in Österreich gilt immer noch: im Zweifel für den Angeklagten.“ Dass die Zahl der Vergewaltigungen seit Jahren zeigt, erklären sich Experten mit einer Enttabuisierung des Themas.
Zur Anzeige raten die Experten immer. „Viele Opfer wollen endlich ihr Schweigen brechen. Egal, was bei der Verhandlung herauskommt, sie wollen dem Täter signalisieren, dass Schluss damit ist, dass er wissen soll, was er ihnen angetan hat.“
Täter-Opfer-Umkehr
Doch Lehmert kennt nicht nur die Seite der Opfer. Er kennt auch die Täter, mit denen er, als er noch Teil der Beratungsstelle Männerwelten war, gearbeitet hat. Täter, die eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben. „Es geht um eine Verantwortungsübernahme für die eigenen Taten. Ich habe Argumente gehört, dass Frauen zu kurze Röcke getragen haben und es deswegen ja drauf angelegt hätten. Ich habe dann zu den Tätern gesagt: Hat sie dich gebeten, dass du sie vergewaltigst? Hat sie das so gesagt? Das war deine Tat, dafür musst du die Verantwortung tragen.“
42,8 Prozent ausländische Täter
Zurück in Wien lernt Polizist Berger die Täter noch einen Schritt früher kennen. Bei den Befragungen. Die Rechtfertigungen bleiben dieselben. „Wir haben Täter aus gewissen Kulturkreisen, für die Frauen Freiwild sind. Die an das Recht des Stärkeren glauben und das ,Nein` einer Frau nicht akzeptieren.“ Wirft man einen Blick auf die Zahlen der Kriminalstatistik unter Paragraf 201, Strafgesetzbuch, findet man für das Jahr 2021 insgesamt 42,8 Prozent ausländische Täter. Türkei, Afghanistan, Syrien steht unter dem Punkt „Top Nationen“.
Wie man diese Arbeit macht, ohne selbst Schaden zu nehmen, will man von Berger wissen, als man die blaue Kaffeetasse mit den weißen Verzierungen vom Tisch räumt. „Indem man jeden Fall als Fall sieht. Und den Sachverhalt so umfassend wie möglich abklärt, damit andere Recht sprechen können.“ Und das nicht nur an 16 Tagen im Jahr.
Der 24-Stunden Frauennotruf ist rund um die Uhr erreichbar - vertraulich, kostenlos und anonym. Der 24-Stunden Frauennotruf ist eine Beratungsstelle für Frauen und Mädchen ab 14 Jahren, die von Gewalt betroffen sind. Die Schwerpunktthemen sind sexualisierte Gewalt, Beziehungsgewalt und psychische Gewalt wie z.B. Stalking.
Das Frauennotruf-Team ist täglich von 0 bis 24 Uhr erreichbar: 01/71719, frauennotruf@wien.at; www.frauennotruf.wien.at
Sowohl der 24-Stunden Frauennotruf (01/71719), als auch der Frauenhaus-Notruf des Vereins Wiener Frauenhäuser (05 77 22) sind rund um die Uhr besetzt. In Krisen und Notsituationen sind die Wiener Frauenhäuser für von Gewalt Betroffene da
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