„Gewalt ist ein Männerthema“: Gleichstellung wirkt dagegen

„Gewalt ist ein Männerthema“: Gleichstellung wirkt dagegen
Frauenhäuser sind voll, Gewalt gegen Frauen nimmt zu; Expertinnen nennen Gleichstellung als Schlüssel zu Gewaltfreiheit

Neben ihrem Kopf knallt der Teller an die Wand und zerspringt in viele Teile. Er stößt sie durchs Zimmer und brüllt: „Wenn du die Polizei rufst, schlage ich dich!“. Angst ist in jeder Ecke spürbar. So ähnliche oder noch viel krassere Szenen spielen sich täglich hinter geschlossenen Haus- und Wohnungstüren ab.

Bewusstsein schaffen

29 Femizide wurden 2021 in Österreich begangen, der aktuelle Stand für 2022 ist 28. Eine Verbesserung der Situation ist also nicht in Sicht. Diese Woche startete die weltweite Kampagne „16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen“, eine Aktion, die Bewusstsein schaffen, Anlauf- und Beratungsstellen in akuten Krisen aufzeigen soll.

„Gewalt kommt in allen Teilen der Gesellschaft und allen Bevölkerungsschichten vor. Die Opfer häuslicher Gewalt sind meist weiblich“, fasst es die Linzer Frauenstadträtin Eva Schobesberger zusammen, und: „Die Gewalt gegen Frauen wird derzeit leider nicht nur häufiger, sondern auch intensiver. Man muss es klar benennen: Gewalt ist eindeutig ein Männerthema.“

Und der beste Hebel gegen Gewalt sei, so Schobesberger, die Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen. Eva Schuh, Leiterin des Gewaltschutzzentrums OÖ, stimmt zu: „Gleichstellung ist der Schlüssel zur Gewaltfreiheit.“ Bis dahin sei es aber noch weiter Weg und deswegen sei etwa zu begrüßen, dass es seit Jahresbeginn in jeder Polizeidienststelle des Landes eine Person geben muss, die auf Prävention und den richtigen Umgang mit Gewaltopfern geschult ist.

Beratung ist ein Muss

„Neu ist außerdem, dass Männer nach einem Wegweisungs- und Annäherungsverbot verpflichtend sechs Beratungsstunden in Anspruch nehmen müssen. Das ist für manche viel zu wenig, bei anderen bewirkt das bereits etwas“, sagt Eva Schuh. Die Expertinnen und Experten des Gewaltschutzzentrums nehmen nach einer Wegweisung mit den betroffenen Frauen Kontakt auf, fragen, ob sich diese zu Hause sicher fühlen, bieten Beratung und weitere Hilfe an.

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Eva Schuh leitet das Gewaltschutzzentrum OÖ

Alarmierendes berichtet Margit Schönbauer vom Autonomen Frauenzentrum in Linz: „Wir bemerken, dass bereits sehr junge Mädchen unangenehme Erfahrungen, etwa in der Straßenbahn oder in der Schule machen, sei es, weil sie belästigt, begrapscht oder mit K.-o.-Tropfen in einen wehrlosen Zustand versetzt werden. Wir versuchen, das Selbstbewusstsein der Mädchen zu stärken und ihnen hilfreiche Strategien für diese Situationen zu lernen.“

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Wenn es akut wird, gibt es das Frauenhaus: „Wir betreuen 150 bis 170 Personen, also Frauen mit ihren Kindern, pro Jahr. Derzeit ist es für die Frauen extrem schwierig, nach ihrer Zeit bei uns wieder Fuß zu fassen: Die steigenden Kosten machen ein eigenständiges Leben beinahe unmöglich“, sagt Margarethe Rakl, Leiterin des Linzer Frauenhauses.

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Im soeben erschienenen Buch „Heimat bist du toter Töchter“ versucht KURIER-Redakteurin Yvonne Widler Fragen rund um Femizide und den Gewaltschutz für Frauen in Österreich zu beantworten. Der Blick auf akute Problemfelder zeigt, dass es mehr Ressourcen für den Schutz der Frauen braucht – und mehr Fokus auf intensive Täterarbeit, denn dort beginnt das Problem.

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Sensibilisierung muss bei Buben früh beginnen

Es beginnt alles schon früh – in den Familien. Bei tradierten Rollenbildern und geschlechterspezifischen Zuschreibungen wie „Buben sind stark und weinen nicht“ oder „Mädchen sind hübsch und hilfsbereit“.
Buben, die später zu Männern werden, müssen früh lernen, dass Mädchen, die später zu Frauen werden, nicht ihr Besitz und Eigentum sind. Dass ein friedliches Zusammenleben nur funktioniert, wenn Arbeiten fair verteilt werden, wenn Gespräche auf Augenhöhe geführt werden und es Strategien zum Umgang mit Aggression gibt. Hier schließt sich der Kreis zur Gleichberechtigung der Geschlechter auf allen Ebenen. Eine neue, europäische Studie („Men in Care“, September 2022) zeigt unter anderem, dass Männer, die Care-Arbeit übernehmen, gleichzeitig weniger Gewalt ausüben.

Das Zentrum für Familientherapie und Männerberatung bietet Workshops zum Thema in Schulen mit dem Ziel, die Verhaltensmöglichkeiten  im Hinblick auf Geschlechterrollen, Männlichkeit, Identität, Aggression, Gewalt, Rassismus, Konfliktlösungsstrategien und Sexualität zu schärfen und zu erweitern. Außerdem bietet das Zentrum auch Beratung für Männer, die bereits gewalttätig geworden sind oder spüren, dass sie kaum mehr Kontrolle über ihre Aggressionen haben. Wer mag, kann sich in Männergruppen austauschen, Rat holen oder auch einfach nur zuhören (Infos auf www.zentrum-fm.at).

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Hier gibt es sofort Hilfe

Viele Frauen und Betroffene von Gewalt sind in der Situation oft überfordert und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Hier folgt eine Liste wichtiger Anlaufstellen:

  • Frauenhelpline gegen Gewalt 0800 / 222 555, anonym, kostenlos, rund um die Uhr, erreichbar, auch Weitervermittlung an andere Institutionen, www.frauenhelpline.at
  • Frauenhaus Linz bei Notfällen rund um die Uhr unter 0732/606 700
  • Gewaltschutzzentrum OÖ Beratung, Prozessbegleitung, Hilfe beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, u. v. m. Termine: 0732/607760,  www.frauenberatung-ooe.at
  • Autonomes Frauenzentrum Linz Beratungen bei Beziehungsproblemen, Trennung, Scheidung, bei (sexueller)  Gewalt; kostenfrei, auf Wunsch anonym oder per Onlineberatung. Mädchen und Frauen werden auf Wunsch auch im Strafverfahren begleitet (Prozessbegleitung), www.frauenzentrum.at
  • In den Spitälern In den Krankenhäusern des Landes gibt es Opferschutzgruppen, die Gewaltopfer nach medizinischer Versorgung weiterbetreuen und unterstützen

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