Femizide: "Alle zehn Tage wird eine Frau getötet"

Eine Demonstration gegen Femizide in Deutschland
Eine 19-Jährige – erschlagen mit einer Schneestange in Oberösterreich. Eine 28-Jährige – erstochen mit einem Küchenmesser in Wien-Ottakring. Die Oberösterreicherin und die Wienerin sind zwei von heuer 27 gewaltsam getöteten Frauen, die großteils durch die Hand von (Ex-)Partnern starben: 25 Femizide verzeichnet die traurige Statistik bereits in diesem Jahr. Außerdem wurden heuer bereits 38 mutmaßliche Mordversuche beziehungsweise Fälle schwerer häuslicher Gewalt bekannt.
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Erst vergangene Woche kam es zum bisher letzten Mordverdacht: Eine 57-Jährige wurde im obersteirischen Pöls getötet, als verdächtig gilt ihr Ehemann. In Erinnerung an alle Opfer lädt das Frauenservice Graz zu einem Gedenkmarsch: "Alle zehn Tage wird in Österreich eine Frau getötet. Da muss man innehalten und kann nicht zur Tagesordnung übergehen", begründet Petra Leschanz von dem Grazer Verein.
Die Veranstaltung findet am 25. November statt, dem "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen". Treffpunkt ist um 15.30 Uhr am Lendplatz, der Weg führt bis zum Kunsthaus: An dessen Fassade wird bis 10. Dezember eine Lichtinstallation jünger Künstlerinnen und Künstler an jene mehr als 80 Frauen erinnern, die innerhalb der vergangenen drei Jahre von Männern aus ihrem Verwandten- oder Bekanntenkreis ermordet wurden.
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Die meisten Opfer gab es in den vergangenen zehn Jahren 2018 und 2019 zu beklagen:
- 2019 wurden 29 Frauen ermordet
- 2018 gab es 41 weibliche Mordopfer
Doch die Servicestelle will auch an Zivilcourage erinnern – jene Zivilcourage, die es braucht, um Opfern von Gewalt rechtzeitig zu helfen. "In der Beratungsstelle werden wir täglich von gewaltbetroffenen Frauen kontaktiert“, beschreibt Leschanz. "Das sind viel mehr Frauen, als tatsächlich in Anzeigen zu finden sind. Bei uns sind die Frauen, die die große Dunkelziffer ausmachen.“
Warum viele nicht zur Polizei gehen
Zwei Drittel ihrer Klientinnen würden nämlich keine Anzeige gegen den aktuellen Partner oder Ex-Freund erstatten. "Der Ausstieg aus einer Beziehung mit Gewalt ist sehr schwierig", begründet die Expertin. "Es ist ein Drahtseilakt für die Betroffenen, der Absturz kann jeden Tag passieren.“
Doch es könne Monate oder gar Jahre dauern, bis ein Opfer den Entschluss fasst, sich zu wehren. Da brauche es dann auch ein Netzwerk an Unterstützung: "Das ist dann nicht nur eine Telefonnummer einer Einrichtung, an die sich jemand wenden kann. Da müssen mehr Elemente mitspielen“, beschreibt Leschanz: Freundinnen, die zur Seite stehen, Kolleginnen und Kollegen, die nicht wegschauen, Nachbarn, die nicht weghören, wenn in der Nebenwohnung geschrien wird.
Lernen, nicht wegzuschauen
"Wir wollen Menschen ermutigen, zum Beispiel die Polizei zu rufen. Zivilcourage ist ein ganz wichtiges Feld."
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Aus dem Grund hat der Verein im Vorjahr erstmals ein mehrwöchiges Zivilcourage-Training angeboten.
Gewalt manifestiert sich in unterschiedlichen Formen. Der Gradmesser ist für uns, wenn es ein Gefühl der Angst gegenüber dem Partner gibt. Dann ist da eine Schieflage in der Beziehung, da gehen wir davon aus, dass es Gewalt in der Beziehung gibt.
Frauenservice Graz
Dabei sei es auch wichtig, zu erkennen, dass Gewalt nicht erst mit körperlichen Übergriffen beginne, erinnert Leschanz. Betroffen sind mehr Frauen als vermutet: Laut einer Erhebung der Statistik Austria zwischen 2020 und 2021 haben rund 35 Prozent der Frauen in Österreich ab dem Alter von 15 Jahren körperliche oder sexuelle Gewalt erlitten (oder beides).
Femizid
Für Morde an Frauen, die innerhalb von (Ex-)Beziehungen oder mit Naheverhältnis zwischen mutmaßlichem Täter und Opfer wird der Begriff Femizid verwendet
27 Opfer
Heuer wurden österreichweit bereits 27 Frauen getötet, 25 dieser Fälle gelten als mutmaßliche Femizide
Gewalt
Laut Statistik aus 2021 waren 35 Prozent der Frauen in Österreich (ab 15 Jahren) von Gewalt in Beziehungen betroffen
Zudem erlebte mehr als ein Viertel der Frauen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, ein Fünftel war bereits einmal im Leben von Stalking betroffen.
Wie viele Anrufe um Hilfe kamen
2022 wurden laut Kriminalstatistik rund 14.650 Betretungs- und Annäherungsverbote für gewalttätige Männer verhängt. Die „Frauenhelpline“ der autonomen Frauenhäuser verzeichnete im Vorjahr knapp 8.500 Anrufe, 83 Prozent davon betrafen verschiedene Formen von Gewalt.
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