15 Frauenmorde in einem halben Jahr: Jetzt reagiert die Regierung

15 Frauenmorde in einem halben Jahr: Jetzt reagiert die Regierung
15 Frauen wurden heuer umgebracht. Oft wurden die Männer zu Mördern, weil sich die Frauen trennen wollten. Eine Studie des Instituts für Konfliktforschung gibt nun neue Einblicke in das Leben und die Motive von Tätern.

Der Mord an einer 28-jährigen Syrerin in Wien-Ottakring verleiht der Pressekonferenz zum Thema Gewaltschutz, anberaumt von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić sowie Frauen-, Familien- und Integrationsministerin Susanne Raab, eine traurige aktuelle Relevanz. Dringend tatverdächtig ist in diesem Fall der 35-jährige Ehemann der jungen Frau.

Mit einem Messer dürfte er in der gemeinsamen Wohnung auf seine Frau losgegangen sein, die dort am Montag ihren schweren Verletzungen erlegen ist. 

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Kein Einzelfall, wie ein Blick in die Statistik zeigt: Heuer wurden bereits 15 Frauen von Männern umgebracht. Zum Vergleich: In den vergangenen elf Jahren wurden 793 Frauen Opfer von Morden oder Mordversuchen. Das ergab eine Studie des Instituts für Konfliktforschung. Die Untersuchung ermittelte 767 Tatverdächtige, ein Täter brachte demnach mehrere Frauen um.

Femizide von 2016 bis 2020 in Österreich

"42 Prozent der Fälle waren vollendete Morde, in 58 Prozent handelte es sich um Mordversuche", sagte Viktoria Eberhardt, eine der Studienautorinnen. Für die Untersuchung wurden zudem Gerichtsakte über eine Zeitspanne von 2016 bis 2020 analysiert.

"Die meisten Morde standen in Zusammenhang mit Eifersucht und Kontrollverlust", sagte Eberhardt. Besitzanspruchsdenken würde vor allem in Situationen der Trennung oder Scheidung bei Tatverdächtigen ausgelöst. Laut Kriminalstatistik fanden 60 Prozent der Morde im familiären Bereich statt, 44 Prozent der Frauen lebten mit dem späteren Täter zusammen.

Gewalt-Vorgeschichte bei 30 Prozent

"Bei Femiziden durch den Partner oder Expartner war in rund 30 Prozent der Fälle Trennung Anlass für die Tötung, in ebenfalls 30 Prozent war eine Gewaltgeschichte aktenkundig", sagt Brigitte Temel, zweite Studienautorin. Aufgrund der Analyse der Gerichtsakten sei es auch möglich gewesen, Täterprofile zu erarbeiten. 

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Was das Alter betrifft, führte bei den Täter die Gruppe der 30- bis 39-Jährigen, bei den Opfern waren vor allem über 70-Jährige Frauen signifikant. "Auffällig war außerdem, dass die Hälfte der Männer an einer psychischen Erkrankung gelitten hat, darunter fällt vor allem paranoide Schizophrenie und Persönlichkeitsstörungen", ergänzt Temel.

Das sind die Täter

Drei Viertel aller Täter haben eine österreichische Staatsbürgerschaft, 15 Prozent davon mit Migrationshintergrund, fünf Prozent stammen aus EU-Mitgliedstaaten, knapp 20 Prozent aus Drittstaaten.

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„Der häufigste Tatort ist die Wohnung, die häufigste Tötungsmethode Erstechen und Erwürgen“, sagte Viktoria Eberhardt, die zweite Studienautorin.

Fünf Tätertypen

Aufgrund der Gerichtsakten kategorisierten die Studienautorinnen die Täter in fünf Gruppen: „Typus 1 hat eine jahrelange Gewalt-Vorgeschichte. Typus 2 übt grundsätzlich Gewalt gegen alle Frauen in seinem Leben aus“, schildert Temel. Typus 3 wendet Gewalt gegen die gesamte Familie an.

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In 16 Fällen gab es keine Gewalt-Vorgeschichte, auffällig sei jedoch das hohe Alter der Todesopfer in dieser Kategorie gewesen. „Viele dieser Opfer waren über 70 Jahre alt. In diesen Fällen könnte die Überforderung mit der Pflege der bedürftigen Frau ein Motiv gewesen sein“, ergänzte Eberhardt. Und in acht Fällen war eine dysfunktionale Familie Auslöser der Gewalttat.

Nur in sehr wenigen Fällen wandten sich die späteren Opfer an Unterstützungseinrichtungen, je zwei Mal wurden ein Gewaltschutzzentrum beziehungsweise ein Frauenhaus aufgesucht. "Die Angst ist bei Betroffenen vor den Konsequenzen ist nach wie vor sehr hoch, wenn sie sich an Dritte wenden oder Hilfe holen wollen", sagt Justizministerin Zadić.

Geringe Verurteilungsrate

Auch die Verurteilungsrate sei verhältnismäßig gering: Nur 61 Täter landeten laut den Akten, die für die Studie herangezogen wurden, auch tatsächlich vor Gericht. In 31 Fällen wurde das Verfahren eingestellt, ein Fall wurde abgebrochen.

Aus aktuellem Anlass und wegen der hohen Zahl an Opfern, die die Forscherinnen des Instituts für Konfliktforschung präsentierten, will auch die Regierung stärkere Maßnahmen setzen, um Femizide einzudämmen.

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Eine Maßnahme betrifft die Etablierung von Gewaltambulanzen. Mit Gewaltambulanzen will die Regierung die Hemmschwelle von Frauen senken, sich Hilfe zu suchen. „Das Konzept dafür wird derzeit ausgearbeitet und im Herbst präsentiert“, sagt Zadić.

In Gewaltambulanzen werden Verletzungen nach Gewalt dokumentiert, sodass sie vor Gericht als Beweise verwendet werden können – falls die Frau zum Tatzeitpunkt noch keine Anzeige erstatten will. „Durch diese Maßnahme hoffen wir, dass die Verurteilungsrate erhöht wird“, sagt Raab.

Forderung nach mehr Fallkonferenzen

Eine weitere wichtige Rolle spielen laut Innenminister Karner die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen. Fallkonferenzen werden von der Sicherheitsbehörde einberufen und bringen alle an einem Fall beteiligten Institutionen an einen Tisch. In diesem Rahmen werden gemeinsam Schutzmaßnahmen für gefährdete Personen abgestimmt, speziell im Bereich von häuslicher Gewalt.

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"Heuer fanden bereits 100 Fallkonferenzen statt. Diese wollen wir weiter ausbauen, weil es für die Analyse von Täter- und Opferstrukturen wichtig ist. Zudem haben wir die Zahl der Präventionsbediensteten im Gewaltschutz von 500 auf 1.200 Personen erhöht", sagt Karner. Bis zum 30. Juni seien zudem 7.650 Betretungsverbote ausgesprochen worden, 500 mehr als im Vorjahr. 

Eine neue Kampagne sei zudem in Ausarbeitung, die sich konkret an das Umfeld von Gewaltbetroffenen richten soll. "Es ist einerseits gut, dass wir so ein breites Sicherheitsnetz für Gewaltbetroffene haben, andererseits müssen wir diese Angebote noch viel niederschwelliger präsentieren", sagt Zadić.

"Jedes Opfer ist eines zuviel"

Ähnlich sieht das Frauen-, Familien- und Integrationsministerin Susanne Raab. "Auch wenn es Jahre gab, in denen die Zahl an Femiziden höher war, muss ganz klar gesagt werden, dass jedes Opfer eines zu viel ist. Viele Frauen hinterlassen zudem auch noch Kinder", sagt Raab.

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Durch die Studie habe man wichtige Erkenntnisse zur Prävention solcher Taten gewonnen. "Die Untersuchung gibt vor allem Einblick in die Risikofaktoren, die Personen zu Täter machen können. Je mehr Informationen es zu diesen Faktoren gibt, desto früher kann eine mögliche Gefahr erkannt und unterbunden werden", betont Raab.

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