Papa macht sich Sorgen, oder: Wer hat Angst vor der Ü-30-Single-Frau?
Die Frage kam aus dem Nichts.
Wir fuhren im Dunklen auf einer Schnellstraße. Auf dem Rücksitz plaudere ich über Arbeit und Verflossene, als plötzlich ein tief sozialisierter Glaube in einem kurzen Gewitter vom Vordersitz über mich entladen wurde. "Wir sind 31. Wann willst du endlich einen ordentlichen Partner haben?". Die Frage traf mich wie ein Blitz. Ein Blick auf das Ortsschild, das vor dem Fenster vorbeirauscht, zeigt, dass ich der Unterhaltung nicht so bald entfliehen kann. Ich bin im faradayschen Käfig gefangen.
Die – bezeichnen wir es einfach so – väterliche Sorge um das töchterliche Herz rührt vom internalisierten Aberglauben an ein Verfallsdatum von Frauen ab 30 Jahren.
Das Patriarchat erzählt uns allen beständig eine Grusel-Mär: Bald ab 30 verwandeln sich Frauen in eine Art bemitleidenswerte, Meerhexe-Ursula-ähnliche Schreckgestalt. Das stilisierte Monster, vor dem ich bewahrt werden soll, bin ich selbst in zehn, 20-Jahren. Alleine.
Nichts scheint so gruselig wie eine alleinstehende Ü-30-Frau. Das Gegenmittel ist ein Lebenspartner. Irgendeiner.
Also versuche ich, Angst mit Fakten zu bekämpfen:
"Wir sind nicht 31. Du bist 61 und ich bin 30. Tatsächlich ist hier niemand 31 Jahre alt."
"Aber bald", lautet die Antwort.
"Und dann? Ist mein Leben dann zu Ende? Ich hab' doch keinen Stress, oder?" , frage ich.
"Naja Diana, die Zeiten mögen sich ändern, aber sei ma' uns ehrlich, es hat noch immer nicht gezündet (gemeint ist die Liebe, Anm.:)".
Da irre er sich, entgegne ich amüsiert. "Papa, es hat schon ein paar Mal gezündet".
"Das waren Fehlstarts", lautet das väterliche Urteil über meine amouröse Vergangenheit.
Es gehe ihm um mein Herz, nicht meine Fruchtbarkeit, folgt eine Erklärung vom Vordersitz, die meine nächste Antwort schon antizipiert hat.
Wie der Glaube ans Christkind
Ich bin etwas überrascht, dieses Gespräch auch mit ihm führen zu müssen. Ich bin mit dem Idealbild der unabhängigen Frau erzogen worden, die eben keinen Mann benötigt, um Ziele zu erreichen oder zumindest sicher und glücklich leben zu können. Aber die "Illusion" scheint Frauen nur bis etwa 30 erlaubt. Dann heißt es: Das Emanzipationsspiel war lustig, aber jetzt wird's eng. Ticktack.
Es erinnert mich an die Entzauberung des Christkinds. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt lebt man in Gewissheit der magischen Welt, doch dann kommt der Moment, indem man hört: "Du weißt doch, dass es das Christkind gar nicht gibt." Oder eben: "Du weißt doch, dass du nicht mehr viel Zeit hast. Ticktack".
"Väterliche" Sorgen
Aber es sind nicht nur die leiblichen Väter, die sich aufgrund meiner fortschreitenden Lebensdauer wundern oder gar ängstigen. Beim Thema Partnerschaft und Frauen ab 30 endet die fortschrittliche, anti-sexistische Haltung in vielen Haushalten. Und so manche Personen – Männer und Frauen – entdecken die große Sorge um mein vermeintliches Seelenheil, das wohl nur durch eine*n Partner*in garantiert werden könne.
Dieses Phänomen betrifft leider viele Frauen ab etwa 30 Jahren. Es hat den zeitgeistigen Namen Single-Shaming. Dahinter steckt die fest in der Gesellschaft verankerte Annahme, das Leben einer Frau sei ohne Beziehung nicht vollkommen.
Interessanterweise sind mir dabei besonders zwei "besorgte" väterliche Typen und Zugänge begegnet. (Es mag noch deutlich mehr geben, vielleicht sogar mütterliche Typen, aber ich habe sie bisher nicht getroffen.)
Kategorie Eins: Der beschützende Daddy-Typ
Etwa die "gut gemeinten“ Ratschläge vom Bekannten, der seit Jahren die gleiche Partnerin hat. In herablassender Daddy-Manier glaubt er, weil er es in eine Langzeitbeziehung "geschafft" habe, seinerseits seine Sorge, um mein Single-Dasein zum Ausdruck bringen zu müssen. Dann heißt es: "Das ist nicht gut für dich. Du solltest einen Freund haben".
Das Leben als Single ist für diesen Typus fremd und daher gefährlich, Frau müsse davor beschützt werden. Vielleicht auch, weil meine Art zu leben, die seinige hinterfragt und ihn verunsichert? Nur ein Gedanke.
Natürlich gibt es diesen Typ auch in weiblicher oder nicht heterosexueller Ausführung. Mir sind diesbezüglich (zufällig) aber überwiegend Cis Männer begegnet.
Kategorie: Der "wäre-ich-xxx-Typ"
Der nächste Typ begegnet uns häufiger bei größeren Feiern. Die (Vor-)Weihnachtszeit ist daher für ihn Hochsaison.
Etwa wenn der väterliche Familienfreund nach dem vierten Drink und eingängiger Observation meiner Erscheinung leicht säuselnd mit den Worten: "Du bist doch fesch. Wär' ich 20-30 Jahre jünger, würd' ich's bei dir versuchen”, um Aufklärung bittet, wieso man noch keinen Mann habe. Dann stelle ich, nüchtern dem Urteil dankend, gern die Gegenfrage “Wozu?”
Diese Gattung gibt es übrigens auch in den Geschmacksrichtungen, "Wäre ich nicht vergeben" und "Wären wir nicht verwandt".
Aber wieso überhaupt diese Sorge, diese Angst?
Eine Verkettung tragischer Umstände: Selbst in vermeintlich aufgeklärten Köpfen scheint der Irrglaube verankert, eine Frau verliere genauso eilig ihre Liebenswürdigkeit wie Kollagen ab 25. Deshalb muss sie sich tummeln, um noch jemanden zu finden, der sie will. Denn wer keine*n Partner*in findet, lebt in unserer Mär unvollkommen und ist zu bemitleiden. Und Scham macht Angst. Zudem fordert es traditionelle Lebensweisen heraus - auch dabei fühlen sich viele maximal unwohl.
Unnötig zu erwähnen, dass der Glaube nicht oder kaum auf Männer appliziert wird. Meine männlichen Freunde – ich habe viele gefragt – führen im Auto mit ihren Vätern und auf Feiern andere Gespräche. Und anstatt auch nur ansatzweise so anspruchsvoll sein zu dürfen, wie ein guter gleichaltriger Freund von mir, der Frauen ablehnt, die einen komischen Dialekt sprechen, deren Gesicht zu asymmetrisch ist oder die leider keine Juristinnen sind, wird Frauen häufig geraten, "nicht so wählerisch zu sein". Denn: "Ticktack"
Also, liebes Christkind, ich wünsche mir heuer, dass sich die Besorgten vor der nächsten impulsiven Partner-Inquisition selbst fragen: Wer hat Angst vor der Ü-30-Singlefrau? Und wieso?
Ihr würdet euren "Töchtern" einen Gefallen tun.
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus.
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