Immer mehr Frauen hadern mit der Kinderfrage, insbesondere, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben. Natürlich gibt es auch genügend Männer, die sich in punkto Elternfrage zwiegespalten fühlen.
Die gesellschaftliche Debatte zum Thema Familiengründung wird aber nach wie vor überwiegend auf dem Rücken der Frauen geführt – Stichwort "Mutterglück".
Die soziologische Forschung hierzulande zeigt: Die Zahl der kinderlosen Paare steigt in Österreich kontinuierlich. Auch der Anteil jener Menschen, die sagen, dass Kinder zu einem "erfüllten Leben" gehören,ist stark gesunken – das gilt für Männer, aber ganz besonders für Frauen.
Madeleine Maßmann unterstützt als Life Coach und psychologische Beraterin Frauen und Paare bei der Entscheidung, ob sie Kinder möchten oder nicht.
Die Idee für dieses spezielle Beratungsangebot entstand aus ihren eigenen Erfahrungen, aus dem jahrelangen Wälzen der Frage, ob sie selbst Mutter werden möchte. "Es war eine der schwierigsten Entscheidungen in meinem Leben, ich habe mich bestimmt zehn Jahre lang damit beschäftigt."
Wie sie diese Frage letztlich für sich beantwortet hat, will Maßmann im Gespräch mit dem KURIER absichtlich nicht verraten. "Die Erfahrung zeigt, dass es die Klientinnen unterbewusst beeinflusst, sobald ich mich in der Kinderfrage klar positioniere." Erst, wenn der Coaching-Prozess und somit die Entscheidung der Klientin quasi vor dem Finale steht, weiht Maßmann auf Wunsch über ihre persönliche Entscheidung ein.
Wie genau ihr Coaching aufgebaut ist, was die größten Sorgen der Frauen sind, die auf sie zukommen und warum es überhaupt nicht okay ist, jemandem die Kinderfrage salopp zu stellen, erklärt die psychologische Beraterin im Interview.
KURIER: Sie unterstützen Frauen in der Frage, ob sie Kinder möchten oder nicht. Wie kam die Idee auf?
Madeleine Maßmann: Ich habe selbst gemerkt, dass es dringend Angebote dazu braucht. Ich konnte über Jahre keine Entscheidung für mich treffen, hatte täglich quälende Gedanken dazu – und habe mich auch sehr alleine gelassen gefühlt, ohne wertfreie Unterstützung. Wenn ich da an ein paar Aussagen denke, die ich damals zu hören bekommen habe ...
Welche zum Beispiel?
Mein damaliger Frauenarzt wollte einmal von mir wissen, ob ich als kleines Mädchen gerne mit Puppen gespielt und mich gerne um sie gekümmert hätte. Als ich das bejaht habe, meinte er: "Das ist doch der beste Beweis dafür, dass Sie Kinder wollen."
Und eine Therapeutin wiederum meinte damals zu mir: "Sie sind wie ein Heißluftballon, der durch die Gegend fliegt. Sie wissen einfach nicht, wo Sie landen sollen. Wenn Sie ein Kind hätten, wären Sie zur Landung gezwungen – das wäre doch gut!" (lacht) Solche Aussagen von Fachpersonal sind noch immer gang und gäbe. Es ist daher kein Wunder, dass viele Frauen sich damit völlig alleingelassen fühlen.
Zwischen 2009 und 2023 ging der erhobene Kinderwunsch von 2,1 auf 1,68 Kinder pro Frau zurück. Zu diesem Befund kam der Generations and Gender Survey, der von der Universität Wien in Kooperation mit dem Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Salzburg durchgeführt wurde.
Die Forscherinnen und Forscher haben dazu über 8.000 Teilnehmende zwischen 18 und 59 Jahren im Zeitraum Oktober 2022 bis März 2023 befragen lassen. Dabei zeigte sich:
Die Zahl jener Frauen, die sich überhaupt kein Kind wünschen, hat sich mehr als verdreifacht. Dem gegenüber ist auch die Zahl der Frauen, die sich genau 1 Kind wünschen, gefallen.
Die Anzahl an Frauen mit höherem Kinderwunsch ist noch deutlicher gesunken.
"Laut vorläufigen Schätzungen wird die Kinderlosigkeit für die in den 1990er-Jahren Geborenen 23 bis 24 Prozent betragen", so Tomáš Sobotka von der ÖAW.
Die "eigene Stimme" finden, ohne Druck von außen
Bekommen Sie viele Anfragen?
Durchaus, und es nimmt zu. Immer mehr Frauen hinterfragen für sich, ob Mutterschaft und Familiengründung tatsächlich der einzige Weg zur Erfüllung ist. Denn es ist nach wie vor in aller Munde, dass man nur dann ein "erfülltes Leben" haben kann, wenn man auch Kinder hat. Mein Eindruck ist, dass sich immer mehr bewusst mit dieser gesellschaftlichen Annahme auseinandersetzen.
Auf welche Weise unterstützen Sie die Frauen dabei?
Ich möchte in meinen Coachings einen Raum schaffen, wo sie ihre Gefühle und Gedanken ohne Druck und Erwartungen von außen selbst erkunden, aus diesem Hin- und Her aussteigen und eine ganz eigene Entscheidung treffen können.
Ich unterstütze sie auch bei der Frage, ob man ein zweites Kind möchte. Insbesondere Frauen, für die die erste Geburt vielleicht traumatisch war, oder jene, die ein Schrei-Baby hatten und sich fragen, ob sie das noch einmal stemmen können oder wollen.
Wie sind Ihre Coachings aufgebaut?
Es beruht auf einem sehr individuellen Ansatz, tiefenpsychologische und praktische Methoden fließen ebenfalls mit ein. Zu Beginn erarbeiten wir die grundlegenden Werte und Bedürfnisse der Klientin. Im weiteren Verlauf helfen gezielte Fragestellungen und Übungen dabei, Konflikte zu klären. Das Wichtigste ist, die eigene, innere Stimme zu finden. Dabei ergründen wir auch, woher bestimmte persönliche Überzeugungen überhaupt kommen – und ob es tatsächlich die eigenen sind, oder vielleicht doch Prägungen, die von der Familie mitgegeben wurden. Das kann natürlich manchmal schmerzhaft sein, aber auch sehr heilend.
Was sind die größten Sorgen der Frauen, die auf Sie zukommen?
An erster Stelle würde ich die Angst vor der Reue nennen – sowohl die Sorge, es später zu bereuen, kein Kind bekommen zu haben, als auch die Angst, sich für ein Kind zu entscheiden und diese Wahl später zu hinterfragen. Dann kommt die Sorge vor gesellschaftlicher Stigmatisierung, Ängste vor der körperlichen Veränderung, vor der Geburt, vor dem Verlust sozialer Kontakte, finanzielle Ängste ... auch die Angst davor, überhaupt keine Muttergefühle zu entwickeln, wird oft erwähnt.
Die meisten meiner Klientinnen liegen altersmäßig bei Mitte 30 und aufwärts, also wo die Frage wirklich akut wird. Es heißt, dass Frauen ab 35 zur Gruppe der Risikoschwangerschaften gehören. Daher höre ich auch viel von der Angst, überhaupt ein gesundes Kind zur Welt bringen zu können – oder wie sie damit umgehen, falls das Kind vielleicht nicht gesund ist.
Kinderfrage: "Männer werden weniger bewertet"
Sie sprechen hauptsächlich von Frauen. Kommen auch Männer zu Ihnen zur Beratung?
Bisher haben Männer stets als Partner an den Coachings teilgenommen. Ich überlege aber bereits, ein eigenes Angebot nur für Männer zu erstellen.
Welche Rolle spielt der Partner – und wie gehen Sie auf ihn im Rahmen Ihres Coachings ein?
Der Partner spielt eine wesentliche Rolle, da er entweder eine unterstützende Kraft sein kann, oder aber eine Quelle von Druck und Unsicherheit. Daher wird die Beziehung auf Wunsch auf jeden Fall mit einbezogen, um einen ehrlichen Dialog zu fördern. Manchmal zeigt sich im Coaching, dass Paare unterschiedliche Vorstellungen über ihre Zukunft haben, was bei wichtigen Lebensentscheidungen wie der Kinderfrage herausfordernd sein kann.
Wo verorten Sie Männer generell in der "kinderfrei"-Debatte?
Ich denke, Männer sind genauso betroffen, aber einfach weniger adressiert und fühlen sich daher weniger ermutigt, über ihren Wunsch zu sprechen, kinderfrei zu bleiben. Und ich glaube, dass Männer nach wie vor mit weniger Bewertung konfrontiert sind. Wenn ein Mann sich dafür ausspricht, keine Kinder haben zu wollen, wird das schlichtweg weniger negativ kommentiert, als wenn eine Frau das sagt.
Ein aktuelles Beispiel wäre der US-Wahlkampf und die umstrittenen Äußerungen des republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance, der die Demokratin Kamala Harris als "Childless Cat Lady" bezeichnet hat.
Genau! Zu einem Mann hätte er das wohl nie gesagt.
Erhebungen zeigen: Der Kinderwunsch geht zurück, vor allem bei Frauen. Liegt das an den veränderten Rahmenbedingungen, oder spielt da noch mehr mit?
Frauen suchen immer mehr nach anderen Formen des Glücks, die einfach besser zu ihren individuellen Lebensentwürfen passen. Und es gibt heute viel mehr Diskurs darüber, dass die Entscheidung für oder gegen Kinder frei und komplett persönlich sein sollte. Früher hat man das einfach nicht hinterfragt – schließlich hat es ja jeder so gemacht.
"Und, wann ist es bei euch soweit?": Diese saloppe Frage hört man als Paar immer wieder, auch heute noch.
Früher dominierte das gesellschaftliche Bild, dass alle Paare einmal Kinder bekommen, daher hat man sich nicht viel dabei gedacht. Es fehlt leider nach wie vor an Bewusstsein dafür, dass das komplett intim, privat und diese Frage daher völlig unangemessen ist. Nicht zu vergessen jene Paare, die keine Kinder bekommen können, es vielleicht schon jahrelang erfolglos versuchen. Natürlich ist es dann wahnsinnig schmerzhaft, wenn man so darauf angesprochen wird. In den meisten Fällen geht es bei dieser Frage nur darum, die eigene Neugier zu befriedigen.
Gerade junge Frauen bekommen oft den gut gemeinten Rat: "Der Kinderwunsch kommt noch, wenn du älter bist" – warum scheint diese Annahme noch so gefestigt in unserer Gesellschaft?
Auch diese Aussage entspringt gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, die schlichtweg veraltet sind – also dem Glauben, dass Mutterschaft die "natürliche Bestimmung" oder die "Aufgabe" der Frauen ist und sie sonst irgendwann anfangen, ihre biologische Uhr ticken zu hören. Ein früherer Partner meinte tatsächlich einmal zu mir: "Du hast doch eine Gebärmutter – wozu hast du die denn sonst?"
Erleben Ihre Klientinnen es oft, dass Menschen auf ein bewusstes "Ich will keine Kinder" irritiert reagieren?
Total! Man erntet nach wie vor erstaunte Blicke bis hin zu ablehnenden Reaktionen. Das Thema Kinderfreiheit ist voll mit gesellschaftlichen Erwartungen und Werthaltungen, die mit diesem Satz kollidieren. Meiner Meinung nach gibt es weiterhin zu wenig Raum für alternative Lebensentscheidungen. Daher hat immer noch irgendwer garantiert einen Kommentar dazu, weil es schlichtweg nicht zur eigenen Überzeugung passt.
Auch stößt man in der Debatte häufig auf das Stereotyp, Frauen ohne Kinderwunsch seien "kalt, emotions- oder lieblos, egoistisch, nur auf Karriere bedacht…". Was kann man diesem Vorurteil entgegnen?
Frauen, die keine Kinder wollen, treffen eine bewusste und sehr reflektierte Entscheidung– die nichts mit emotionaler Tiefe oder ihrer Fähigkeit zu lieben zu tun hat. Viel mehr zeugt sie von Mut, den eigenen Weg zu gehen. Und dass diese Frauen ihre Ressourcen der Zuneigung eben auf andere Bereiche lenken, sei es die Partnerschaft, oder vielleicht eine Gemeinschaft. Auch hier muss ich immer wieder erstaunt feststellen: Zu einem Mann würde man so etwas wohl nicht sagen.
Wird das Bild von "Mutterschaft" vielleicht noch immer zu sehr romantisiert?
Ich denke schon. Wobei sich immer mehr Frauen gerade via Social Media trauen, offen über ihre Ambivalenz zur Mutterschaft zu sprechen. Der Diskurs darüber sowie über die Mehrfachbelastung als Mama ist aber immer noch zu wenig vorhanden, obwohl mittlerweile jeder den Begriff "Mental Load" kennt.
Wenn es mehr realistischere Darstellungen und mehr Bewusstsein für die Facetten von Mutterschaft gäbe, würde es sicherlich auch den Druck ein bisschen herausnehmen. Denn ich glaube, dass immer noch viele Frauen diesem Druck nachgeben und Kinder bekommen, obwohl sie sich vielleicht mehr Zeit und Reflexion gewünscht hätten.
(kurier.at, beg)
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Aktualisiert am 04.10.2024, 11:42
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