Corona-Dating: Flirten mit Abstand
„Ich liebe die Art, wie du die Welt siehst“: Theodore, der unter der Trennung von seiner Freundin leidet, installiert ein Computer-Betriebssystem mit intelligenter Sprachfunktion und fühlt sich plötzlich nicht mehr einsam. „Samantha“ hat sich das System mit der sexy Computerstimme selbst getauft, es wird zu Theodores ständiger Begleiterin, bald zum Objekt seiner Sehnsucht.
„Es ist ein gutes Gefühl, sein Leben mit jemandem zu teilen“, wird er irgendwann zu Samantha sagen und sie, die Computerstimme, wird antworten: „Wie teilt man sein Leben mit jemandem?“
Regisseur Spike Jonze beschrieb 2013 in dem Film „Her“ eine futuristische Liebesbeziehung. Was damals wie Science-Fiction wirkte, ist mittlerweile von der Realität überholt. Replika heißt der letzte Dating-Schrei. Replika ist eine Online-Plattform, bei der man sein virtuelles Gegenüber vollständig selbst kreiert. „Der Begleiter, der sich um dich kümmert. Immer da, wenn du jemanden zum Zuhören und Reden brauchst. Immer an deiner Seite“, heißt es auf der Startseite des 2017 gegründeten Unternehmens.
Noch ist Replika ein Minderheitenprogramm. Noch wollen wir, wenn wir potenzielle Partner kennenlernen, es lieber mit echten Menschen zu tun haben. Doch woher nehmen, wenn weder Arbeitsplatz noch Drink an der Bar als Partnerbörse zur Verfügung stehen?
Aus Fleisch und Blut
Online-Dating ist längst Alltag. Im Corona-Zeitalter wird das Virtuelle immer wichtiger. Dating-Portale weltweit berichten von steigender Nachfrage nach Videochats, wo man es zwar mit einem Gegenüber aus Fleisch und Blut zu tun hat, dieses aber nicht treffen muss. Und wer nicht chattet, der swiped, also wischt. Nach rechts bedeutet Daumen hoch, links ist eine Abfuhr für den Kandidaten. Doch kein „Love-Interest“.
Die mobile Dating-App Tinder verzeichnete im ersten Lockdown eine Rekordzahl von über drei Milliarden Swipes. Auch OkCupid, eine der ältesten Kontaktbörsen im Internet, berichtet von einem massiven Anstieg an Gesprächen. Wurden die versendeten Nachrichten in den Wochen der Isolation mehr, war ihr Inhalt oft wenig romantisch. Anfangs war der Mangel an Toilettenpapier Thema beim Flirt via App, später ging’s um Masken: „Wer beim Joggen Maske trägt, den möchte ich nicht daten.“
Die Ansichten zum Thema Maske könnten zum ultimativen Kompatibilitätstest des Jahres 2020 werden. Und sind auch bei tatsächlichen Begegnungen Thema. Und wie sehen diese in Corona-Zeiten aus?
Der unsichtbare Dritte
Der 25-jährige Sam erzählt, dass Covid auch beim Kennenlernen immer dabei ist, gleichsam als unsichtbarer Dritter: „Man fragt man sich immer, ob der andere vielleicht krank ist. Aber man kann ja schlecht beim Date nach einem Corona-Test fragen. Man muss davon ausgehen, dass der andere verantwortungsbewusst genug ist.“
Marlene Kainz ist 36 und alleinerziehende Mutter einer neunjährigen Tochter. Online-Dating war schon in den vergangenen Jahren ihr Mittel der Wahl, um jemanden kennenzulernen, weil sie „nicht die Zeit hat, wahllos Männer zu treffen“. Zuletzt gingen jedem Treffen lange Konversationen voraus. Auch, was das Virus selbst betrifft.
Kainz fragt immer vorab, ob Kontakt zu Kranken besteht, ob getestet wurde und wie man zur Pandemie generell eingestellt sei. „Ich habe ein Problem damit, wenn das jemand locker sieht.“ Auch die Treffen selbst seien anders als früher, da jetzt klar sei: Wenn es nicht die große Liebe wird – der sonst vielleicht auch ganz nette One-Night-Stand fällt diesmal wohl eher aus.
Petra H. ist Ende 40 und kann kaum fassen, wie achtlos manche Männer ihr in Sachen Corona gegenübertreten. Mit anderen wiederum chattet sie nun seit Monaten, ohne sie getroffen zu haben. „Die Einsamkeit zu Hause hat viele Singles online zueinander geführt. Man hatte plötzlich dieses große Gemeinsame: Alleine auf der Couch zu sitzen und niemanden treffen zu können. Da haben sich wunderbare Freundschaften entwickelt, ich hätte das nicht für möglich gehalten.“ Einer hätte sich als besonders sympathisch herausgestellt, es werde sicher ein Treffen geben.
Sabine M., 51, sieht es etwas lockerer. „Ich habe kürzlich ein Date mit einem sehr netten Mann gehabt und es hat geknistert. Wir sind uns näher gekommen. Ich habe in diesem Moment überhaupt nicht an die Pandemie gedacht, im Gegenteil. Es war wunderschön, all das für diesen Abend zu vergessen.“ Beide waren gesund und im näheren Umfeld hätte es keine Verdachtsfälle gegeben, sagt Frau M. „Ich verlange bei einer Erkältung doch auch keine Bescheinigung, dass es nicht die Influenza ist.“
Auch für über 65-Jährige ist Online-Dating ein Weg, der Einsamkeit zu entkommen. Ein Drittel von ihnen lebt in Österreich alleine, oft bedingt durch Scheidung oder Todesfall. Eine von ihnen ist Hilde Winkler aus Wien. Nach dem Tod ihres Mannes vor fünf Jahren, hat sie sich – mithilfe ihrer Enkelin, die ihr ein Profil angelegt hat – auf den digitalen Datingmarkt getraut. Auf einer Plattform, die auf die Bedürfnisse von Senioren und Seniorinnen zugeschnitten ist, fühlt sie sich gut aufgehoben.
Die 75-Jährige ist immer noch äußerst fit, aktiv und hat sich in den vergangenen drei Jahren „mit mehr als 70 Herren z’amgsetzt“, wie sie es formuliert. 2019 hat Hilde Winkler das erste Mal in ihrem Leben Senioren-Speeddating ausprobiert. „Das war sehr lustig. Aber der Richtige war nicht dabei.“ Selbst wenn es bei Hilde Winkler nicht wirklich gefunkt hat, „so hatte ich doch sehr viel Spaß. Und das ist ja nicht das Schlechteste im Leben.“
Nur mit Abstand
Mit einer derart positiven Lebenseinstellung ist Frau Winkler auch hoch motiviert ins neue Jahr gestartet. „Dann hat mich meine Enkelin angerufen und mir gesagt, dass sie mich besser eine Weile nicht mehr besucht.“ Corona hat das Leben ziemlich eingeschränkt, was sich natürlich auch im Datingverhalten widerspiegelt. „Wenn zwei Hochrisikogruppen aufeinandertreffen, überlegt man es sich schon gut, ob man das Rendez-vous unbedingt braucht.“
Daher hat sie nur die besten Matches getroffen. Im Freien, mit Abstand. „Und viele Gespräche verlagere ich nun auf das Telefon. Das Gute daran ist, dass man sich so einige Reinfälle erspart“, sagt Hilde Winkler und zeigt Whatsapp-Verläufe, die endlos lang scheinen. Videochats sind nicht so ihre Sache, „ich kann mich besser auf das Gespräch konzentrieren, wenn weniger Technik involviert ist.“
Sich zu verlieben ist, wie es im Film „Her“ heißt, eine Art „gesellschaftsfähige Geisteskrankheit“. Da passt es gut, dass Partnerbörsen auch eigene Psychologen haben. Caroline Erb ist für die Partnervermittlung Parship tätig und erzählt von ihren Erfahrungen im Corona-Jahr: „Vor allem junge Singles haben gelitten. Kein Ausgehen, keine Freunde, fehlende Perspektiven. Ihnen wurde mehr genommen als Älteren. Wir sehen bei unseren Umfragen, dass sich Jüngere auch tatsächlich einsamer fühlen.“
Das Thema Einsamkeit war schon vor Corona sehr präsent. Jetzt ist es in den Vordergrund gerückt: „Der Lockdown ist für viele Singles eine Grenzerfahrung. Was macht es mit uns, ohne Berührungen und Umarmungen zu leben? Man wurde zwanghaft mit sich selbst konfrontiert, auf lange Zeit.“ Auch deshalb habe man bereits im ersten Lockdown eine verbesserte Videochat-Funktion eingeführt, „weil uns bewusst war, dass man nun Mimik und Gestik mehr denn je braucht.“
Seit März hat man bei Parship einen starken Anstieg an Registrierungen wahrgenommen. Zudem würden sich die Menschen nun bewusster Zeit nehmen, um jemanden kennenzulernen, sagt Erb. „Viele haben den ersten Lockdown genützt, um sich neu zu orientieren und zu fragen, wo stehe ich im Leben? Wo will ich hin und wer soll da an meiner Seite sein? Man hat schneller Nägel mit Köpfen gemacht, eine Krise schweißt auch zusammen. Es gab einen schnelleren Austausch über das, was wichtig erscheint. Das Oberflächliche des Kennenlernens – Auto, Kleidung – fiel weg. Es wurde puristischer. Werte und Persönlichkeit stehen mehr im Vordergrund.“
Und natürlich die Frage: Wie vertrauenswürdig ist das Gegenüber? „Vielleicht stellt man sich jetzt beim Kennenlernen andere Fragen als zu Beginn des Jahres. Wie ernst nimmt das Gegenüber die Pandemie? Man schaut, ob man da gleich tickt. “
Hält man's bis zum Frühstück aus?
Und es könnte sein, dass die ersten Dates, ob virtuell oder von Angesicht zu Angesicht, nun öfter gleich aufs Ganze gehen: Julia R. aus Wien erzählt von ihren Tinder-Erfahrungen: „Einer hat mich gefragt, ob ich seine Lockdown-Partnerin sein möchte. Er hat vorgeschlagen, dass ich bei ihm einziehe und so lange bleibe, bis der Spuk vorbei ist.“ Aber woher weiß man, ob man es so lange miteinander aushält? Zumindest so viel sei klar, analysiert der Niederösterreicher Tobias Riemer nüchtern: „Wenn man sich jetzt um 17 Uhr trifft, dann weiß man bis 20 Uhr, ob man es bis zum Frühstück miteinander aushält.“
Zu diesem Zeitpunkt wusste Riemer allerdings noch nicht, dass eine weitere Verschärfung der Maßnahmen bevorsteht.
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