Seniorenclub: Tiere im Spätherbst des Lebens
Wenn es kalt ist, dann spürt Juan die Gelenke
Juan hat man ihn nach seiner Herkunft Südamerika genannt und nicht etwa, weil er mit mehren Damen zusammen wohnte. Die Damen sind vor einiger Zeit in den Zoo Herberstein übersiedelt, und Juan, der 27-jährige Brillenbär, ist eigentlich ganz froh, dass er jetzt seine Ruhe hat. Seinen Tag geht er gemächlich an, und die Äpfel, Birnen und Weintrauben, die man ihm füttert, hat er jetzt ganz für sich allein. Auch gegen den gelegentlichen Gemüsetag mit Paradeisern und Erdäpfeln hat Juan nichts einzuwenden. Beim Essen keinen Stress zu haben, das ist für einen gesetzten älteren Herrn eine wichtige Angelegenheit.
Wobei, ganz ehrlich, wirklichen Stress hat er sich noch nie gemacht. Als die Weibchen noch da waren, hat er sie für sich arbeiten lassen. Vor einigen Jahren wurde im Zuge einer Verhaltensstudie ein sogenannter Rüttelbaum hier aufgestellt. Oben kommt das Fressen rein, und damit es unten dann rauskommt, muss gerüttelt werden. Die Damen haben gleich erkannt, was sie tun müssen, um Futter zu bekommen. Schlau? Er war schlauer. Er wartete gelassen, dass die Kolleginnen das lästige Rütteln erledigt hatten, und fraß einfach. Wenn seine Pflegerin Martina Mayerhofer von Juan erzählt, dann weiß man, dass die Sache mit Beruf und Berufung manchmal mehr als eine abgedroschene Redensart ist. In der Früh, erzählt Frau Mayerhofer, geht Juan gern baden. Vormittags streift er im Gehege umher, nachmittags sucht er ein kühles Schattenplätzchen. Der Rest des Tages gehört der Schaukel, seinem Lieblingsplatz.
Martina Mayerhofer ist seit drei Jahren an Juans Seite. Sie nimmt an seinem Älterwerden teil und weiß: Er benimmt sich mittlerweile wie ein in die Jahre gekommener Bär. In der Früh braucht er länger zum Aufstehen. Wenn es feucht ist, spürt er die Gelenke. Er ist ein ruhiger, gemütlicher Zeitgenosse, der neben Obst und Gemüse hin und wieder gern ein rohes Ei genießt. Gut für das Fell, das dank regelmäßigem Bürsten nach wie vor schön glänzt. Versuchs mal mit Gemütlichkeit, antwortet Martina Mayerhofer auf die Frage, wie sie den Charakter des Bären beschreiben würde. Wenn sie in der Früh zu Juan ins Gehege kommt, wartet er bereits auf sie. Sie sieht ihn an und weiß sofort, wie er drauf ist. Sie erkennt seinen Gesichtsausdruck. Juan ist wie wir. Wenn es kalt und feucht ist, würde er am liebsten im Bett bleiben.
Die Zeit hat Spuren hinterlassen
Große Augen und lange Wimpern. Diese bezaubernden Schönheitsmerkmale bleiben einer Giraffe auch dann noch, wenn die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat.
Die erste Giraffe traf 1828 in Schönbrunn ein. Sie war ein diplomatisches Geschenk des Vizekönigs von Ägypten. Trotz seines hohen Alters ist es aber unwahrscheinlich, dass Kimbar verwandt mit dieser Pionierin ist.
Kimbar ist mit 27 Jahren Europas ältester Giraffenbulle. Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Giraffe beträgt 25 Jahre. Auch ein Laie sieht Kimbar an, dass er schon lange lebt. Im Herbst des Lebens fliegt die Zeit noch schneller als früher.
Kimbars Pflegerin Irene Greter war jetzt zwei Wochen auf Urlaub, und sie kann erkennen, wie sich der alte Herr in diesen wenigen Tagen verändert hat. Die Falten sind tiefer geworden, das Gesicht kleiner und grauer. Aber die Lust am Essen, die ist geblieben. Auch wenn längst nicht mehr gekaut, sondern gesabbert wird. Ein Treffen mit einer alten Giraffe ist eine feuchte Angelegenheit.
Kimbar lebt im Giraffen-Ausweichquartier am oberen Ende des Tiergartens. Der Umzug hierher war ein schwerwiegender Einschnitt in seinem Leben.
Er wurde notwendig, als man 2014 das Giraffengehege neu baute. Seit 2016 ist es fertig, doch für Kimbar war ein neuerlicher Transport nicht zumutbar. Er richtete sich, gemeinsam mit seinen Gefährtinnen Carla und Rita, hier häuslich ein.
Gutmütig und sanft war er immer schon. Im Alter ist er noch ruhiger geworden. Es hat nicht nur Furchen in seinem Gesicht hinterlassen, auch die Knochen sind heikel geworden, sie erlauben keine großen Sprünge mehr. Die Hufe müssen nun regelmäßig zurückgestutzt werden – bei älteren Herrschaften wird die Pflege aufwendiger. Sein Spezialfutter bekommt Kimbar jetzt in Breiform, denn er hat keine Zähne mehr. Doch nicht nur seine feuchte Aussprache ist dafür verantwortlich, dass die nähere Bekanntschaft mit Kimbar mitunter zur nassen Angelegenheit wird: Er schleckt einem gerne über das Gesicht.
Stutenbissig? Höchstens an den Ohren wird geknabbert
Dass die anmutige Gerti hier weit und breit die Älteste ist, das würde niemand vermuten. Wir verraten es jetzt. Die weiße Norikerstute wurde am 26. Februar 2001 geboren und ist somit das älteste Tier am Tirolerhof in Schönbrunn.
19 Jahre sind ein schönes Alter für ein Pferd. Aber vielleicht sagt man das lieber nicht vor einer älteren Dame. Gerti lebt seit 15 Jahren in Schönbrunn und hat mehrere Fohlen hier geboren. Eines davon, mittlerweile eine ansehnliche Stute, lebt noch auf dem Hof mit ihrer Mutter. Die neunjährige Ellie verbringt allerdings derzeit die Ferien im Nationalpark Kalkalpen. Sommerfrische, sozusagen.
Brav, ruhig, trittsicher und sehr verlässlich ist Gerti, man sagt, das sei typisch für ein Norikerpferd. Sie ist gelassen, wirkt freundlich und aufgeschlossen. Fotografiert zu werden, ist sie gewöhnt, schließlich wird hier heroben immer wieder Trachtenmode in Szene gesetzt. Auch für unser Foto scheint Gerti zu posieren.
Mit den Jahren ist Gerti ruhiger geworden, doch sie wirkt wesentlich jünger, als sie ist. Nicht zuletzt dank ihrer gepflegten, blonden Mähne. Neben und mit Gerti altert Schecki, eine 2003 geborene Stute. Die beiden sind seit jeher beste Freundinnen – von wegen Stutenbissigkeit! Höchstens an den Ohren knabbert man einander. In aller Freundschaft.
Alphamännchen, das ist lange her
Einen kurzen Revierschrei lässt er immer noch los, wenn ihm etwas nicht passt. Er ist schließlich der Chef hier. Vladimir, 55, ist ein Orang-Utan im Spätherbst seines Lebens. Als Kind wurde er in der Wildnis gefangen, seit 1991 lebt er im Tiergarten Schönbrunn.
Langsam ist er geworden, grau und träge, er spürt die Gelenke. Er geht schwer und verträgt die Hitze nicht. Man sieht es ihm an, wie er, ganz alter Grantscherm, auf seinem Ast hockt und die Besucher keines Blickes würdigt. Vom vor zwei Jahren verstorbenen Orang-Utan-Weibchen Nonja waren die Zoo-Besucher anderes gewöhnt, sie liebte die lebhafte Interaktion mit dem Publikum. Legendär waren ihre Aufforderungen an die Zoobesucher, ihre Taschen auszuräumen. Vladimir war in dieser Hinsicht immer schon zurückhaltender. Obwohl auch er, wie alle Menschenaffen, zu manchen Menschen ein durchaus inniges Verhältnis hat. Seinen Pfleger Sascha Grasinger erkennt er auch in Zivilkleidung in der Menge.
Ob Nonjas Tod so etwas wie ein Schicksalsschlag war? Schwer zu sagen. Anders als Gorillas oder Schimpansen, zeigen Orang-Utans ihre Trauer nicht. Sie wussten, dass Nonja fehlt, waren die ersten Tage irritiert von ihrer Abwesenheit, aber sie sind doch Einzelgänger. Die Beziehungen der Orang-Utans untereinander? Kompliziert. Besonders die Damen, die 24-jährige Sol und die 56-jährige Mota, haben ihre Reibereien. Affen-Seniorin Mota ist, obwohl die älteste im Gehege, wesentlich agiler als Vladimir. Sie klettert zwar langsamer als früher, aber immerhin bewegt sie sich im Gegensatz zu ihm noch. Erinnert ein bisschen an die Welt der Zweibeiner. Da sind es auch meist die Weibchen, die besser altern als die Männchen.
Mota ist auch die Umgänglichere, wobei sie immer noch ganz schön fuchtig werden kann, wenn ihr etwas nicht passt. Dafür ist Vladimir stur. So, wie alte Leute eben manchmal sind. Er geht nicht mehr gern raus und lässt sich auch mit Futter nicht bestechen. Als junger Affe war er aufbrausend, zu den Damen oft ein garstiger Grapscher – und er zeigte seine Dominanz ziemlich eindeutig. Das berühmte „Alphamännchen“, das war er. Das Alter hat ihn beruhigt. Notgedrungen. Er hat steife Zehen, geht schlecht und ist sehr grau geworden. Auch Kollegin Mota hat nur mehr drei oder vier Zähne, aber nach wie vor glänzendes rotes Fell. Bloß am Rücken schimmert eine Glatze hervor, kommt wahrscheinlich vom Herumkugeln in der Hängematte. Vladimir hatte früher auch sattes, rotes Fell. So sieht man ihn auf Jugendfotos, in der Blüte seiner Jahre. Aber was heißt das schon. Vielleicht sind seine 55 Jahre nur eine Zahl. In Berlin lebt immerhin ein 66-jähriges Gorillaweibchen.
Aus dem Leben einer glücklichen Kuh
Die Grande Dame hier heißt Bibiane. Sie ist eine 18-jährige Braunvieh-Kuh, eine typische Vorarlberger Rasse. Graubraunes Fell, das schwarze Maul weiß umsäumt, die Wimpern lang und seidig. Keck wirkt die weiße Innenohr-Behaarung, beeindruckend in all dieser Sanftheit sind die langen Hörner mit den schwarzen Spitzen. Gerold Vierbauch, er ist der Revierleiter am Schönbrunner Tirolerhof, kennt Bibiane von Kindheit an. Sie ist hier geboren und war immer schon eine gemächliche, ruhige Kuh, vielleicht sogar etwas phlegmatisch. Der Ruhepol der Gruppe. Außer, es gibt Futter. Dann wird sie auch jetzt, im fortgeschrittenen Alter, noch agil und flott. Besonders Leckerlis in Form von pelletierter Weizenkleie, Mais und Hafer interessieren sie sehr. Gerne darf's auch ein Apfel oder eine Karotte sein.
Bibiane ist wohl eine glückliche Kuh, denn ihr ist vergönnt, was bei Artgenossinnen selten geworden ist. Sie darf Tochter und Enkelin aufwachsen sehen. Sie hat, sagen die, die sie täglich erleben, eine innige Beziehung zu Bella und deren Tochter Berta. Dass das noch eine Weile so bleiben wird, dafür spricht einiges. Bibianes Mutter wurde 21.
Man kann ja nicht in Bibiane hineinschauen. Aber wer sie beobachtet, wie sie hier in der Sonne steht und döst, der könnte meinen, sie genießt das Leben.
Schurli, mit 120 Jahren im besten Alter
Schurli hat eine Kriegsverletzung. Möglicherweise eine Handgranate aus dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt niemanden mehr, der weiß, was genau passiert ist. Was die große Narbe auf Schurlis Panzer verursacht hat. Nur, dass es unglaublich geschmerzt haben muss, denn eine Schildkröte spürt es auch, wenn man ihr bloß die Hand auf den Panzer legt. Wie viele Hände sich wohl schon auf Schurlis Panzer bewegt haben? Mit seinen 120 Jahren ist Schurli der älteste Bewohner des Tiergartens. Seit 1953 lebt er hier. Über seine Herkunft weiß man so gut wie nichts. Die Aufzeichnungen damals waren spärlich, das Wenige ging mit der Zeit verloren. Sein faltiges, strenges Gesicht lässt viel Raum für Vorstellung. Ein wirklicher Senior ist Schurli übrigens mitnichten. Er ist vielmehr ein Reptil in den besten Jahren. Die älteste Schildkröte der Welt wurde 170.
Schurli liebt Streicheleinheiten. Wenn man ihm über den Hals streicht, reckt und streckt er diesen und man glaubt, ein Lächeln in diesem faltigen, kleinen Gesicht zu erkennt. Ihn mit Karotten, seiner Leibspeise, zu füttern, ist allerdings eine Sache, die man Profis überlassen sollte. Er hat kräftige Kauplatten und macht keinen Unterschied, ob sich dazwischen eine Karotte oder ein Finger befindet. Der dumme Spruch Essen ist der Sex des Alters gilt jedenfalls für 200 Kilo schwere Schildkröten. Was Schurli noch liebt? Baden. Er stellt sich gerne unter den Rasensprenger und genießt Schlammbäder. Die getrockneten Schlammreste verleihen seinem Gesicht zusätzlich Charakter. Was er hasst? Wenn man ihm auf den Panzer klopft. Ein alter Grantler ist er, sagt seine Pflegerin Inez Walter. Wenn Schurli nicht will, dann will er nicht. Er kann auch sehr böse werden. Dann schreit er und versucht zu beißen. Ganz anderes als der vergleichsweise sanfte, jüngere Revierkollege Menschik, der hier seit 1959 lebt. Er sei „verträumt“, sagt Inez Walter. Für Außenstehende nicht die naheliegendste Beschreibung einer Riesenschildkröte. Frau Walter liebt sie beide, ganz besonders aber den Schurli, denn „er hat Charakter“.
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