Und was bedeutet es?
Es war aufregend in mehrfachem Sinn. So etwas erzeugt ungeheuren Stress. Aber es war auch spannend zu beobachten, wie so etwas ein System verändert.
Haben Sie positive Systemveränderungen im Krankenhaus festgestellt?
Ja, nur! Ein Spital coronatauglich zu machen bedeutet, zentrale Strukturen umzubauen. Man widmet Räume um, verändert Wege, greift in Abteilungsstrukturen ein. Die Leute müssen plötzlich eine Flexibilität aufbringen, die davor nie gefordert war. Etwa die Frage: Was gebe ich an Personal und Räumen von meiner Abteilung her, wie viel Veränderung im Aufgabenprofil der Mitarbeiter ist denkbar, wie werden die dadurch belastet, wie weit ist das auch eine Challenge im positiven Sinn? Das war eine durchwegs positive Erfahrung. Die Leute haben eine Flexibilität und Lust an der Zusammenarbeit aufgebracht, die mir sehr gut gefallen hat.
Was wird davon bleiben?
Wir sind einander näher gekommen. Man hat den anderen kennengelernt, wie es sonst nicht möglich war. Im Stress, ohne Panzer, in einer Offenheit und Verwundbarkeit, die man sonst nicht gesehen hätte. Das ist in einem großen Haus, wie dem, in dem ich arbeite, mit 1000 Mitarbeitern, spannend.
Wie haben Sie die Kinder und Jugendlichen, mit denen Sie arbeiten, im Umgang mit der neuen Situation erlebt?
Vielfältig. Es gab natürlich Ängste. Weniger die eigene Gesundheit betreffend. Es gab Kinder, die sich davor gefürchtet haben, dass ihre Angehörigen krank werden. Mit einiger Verzögerung haben wir dann Kinder gesehen, auf die sich vor allem die Maßnahmen im Umgang mit der Pandemie ausgewirkt haben. Die Einschränkungen des Schulbesuchs, die Isolation zu Hause. Die Reaktionen darauf waren teilweise deutlicher als die Angst vor Corona selbst.
Sorge um die Familie haben wohl Kinder allgemein?
Ja. Kinder sind einerseits Rationalisten, andererseits verantwortungsbewusste junge Menschen und fürchten nun einmal um das Leben ihrer Angehörigen.
Der Gesundheitsminister hat vor einigen Tage getwittert, unter den positiv getesteten Reiserückkehrern seien besonders viele sehr junge Männer. Wenn Kinder so verantwortungsbewusst sind: In welchem Alter beginnt dann die große Sorglosigkeit?
Die bewusste und teilweise provokante Sorglosigkeit beginnt dort, wo die Loslösung von den Eltern notwendig wird, also im Teenageralter.
Hat der Minister also recht, wenn er bei jungen Männern ein gewisses Risikopotenzial ortet?
Ja, ab der Adoleszenz ist das vorhanden. Da hat er sicher recht. Es gibt übrigens auch sorglose junge Frauen. Dieses Gefühl der Unverwundbarkeit gehört zum Jungsein dazu. Es ist auch eine gewisse Rationalität, denn die jungen Leute wissen, dass, wenn sie erkranken, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs gering ist.
Und das Risiko der Weiterverbreitung ...
... macht ihnen in dieser Entwicklungsphase weniger Sorgen als Kindern.
Zu Beginn der Ausbreitung des Virus war vielen Menschen nicht klar, um welche Ausmaße es geht. War Ihnen das gleich klar?
Nein. Wann hat man jemals über eine Pandemie nachgedacht? Also ich nie. Ich habe den lieben Augustin gelernt und weil ich mich für Kunst interessiere, habe ich mich gefragt, woran Egon Schiele gestorben ist. Dinge, über die viele Menschen schon nachgedacht haben. Aber davon, was die Spanische Grippe oder die Pest eigentlich war, hatten wir keine Vorstellung. Und so ist es wohl allen gegangen, die nicht Virologen oder Seuchenmediziner waren. Man dachte, das ist wie eine Grippewelle, das wird ein, zwei Monate da sein und dann wird es wieder verschwinden.
Auch Virologen waren und sind sich nicht immer einig.
Wie auch? Dafür fehlte die Erfahrung. Man denkt über Dinge, die nicht im eigenen Erfahrungsschatz liegen, nicht nach.
Hat uns diese Erfahrung verändert?
Ja, das hat auch mit der Verfassung der westlichen Welt zu tun. Wir sind es in unserer selbstgesteuerten Welt nicht mehr gewohnt, in Kategorien von Natur und Schicksal zu denken, ohne dass wir Zugriff darauf haben.
Unsere fehlende Routine mit Schicksalhaftem hat auch zu einem Aufflackern von Verschwörungstheorien geführt.
In psychiatrischer Terminologie spricht man von paranoiden Zugängen. Auf die Frage: „Woher kommt das eigentlich?“ hätte man früher gesagt, das ist eine Strafe Gottes. So ähnlich hört man das heute höchstens von Umweltschützern. Dass sich die Erde nun „zur Wehr setze“.
Nehmen wir an, es wird bald eine Impfung geben. Werden wir in unser altes Leben zurückkehren?
Großteils ja, aber es wird ein Rest von Veränderung in uns bleiben. Bewusstsein für unsere Verletzlichkeit und auch ein Stück Erstaunen über unsere Bravheit. Dass es so wenig manifeste Aufregung gibt. Wenn man so etwas sagt, kommt man gleich in den Verdacht, dass man es gern anders hätte. Das gilt aber nicht für mich.
Die Bravheit wurde anfangs belächelt ...
Ja, das hat sich verändert und die Leute sind auch deshalb so adaptionsbereit, weil sie merken, dass die Tertiäreffekte rund um sie herum gravierend sind. Einkommensverluste, Arbeitslosigkeit.
Nicht zuletzt Kulturschaffende sind davon sehr betroffen. Es war viel davon die Rede, ob der Kulturbetrieb systemrelevant sei. Braucht man jetzt Theater und Oper?
Kunst ist für mich lebensnotwendig. Man braucht jetzt Theater und Oper genauso, wie man sonst Theater und Oper und Literatur und Musik und Malerei auch braucht. Aber wir müssen es wohl irgendwie verändern und an die Situation anpassen.
Können Sie Corona eine künstlerische Inspiration abgewinnen?
(lacht) Schreib ich den 275. Corona-Roman? Nein. Dazu fällt mir literarisch nichts ein.
Ihr Kollege Daniel Kehlmann hat schon angekündigt, dass er über „Furcht und Elend des Virus“ schreibt.
Tatsächlich? Er wird schon wissen, was er macht. Mich interessiert das einfach nicht.
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