100. Saison im Schweizerhaus: "Es ist heuer eine Herausforderung"
Weniger Tische wegen der Abstandsregeln, Reservierung und keine freie Platzwahl: Exakt zwei Monate später als üblich sperrt am 15. Mai um 11 Uhr das Schweizerhaus unter ungewohnten Vorzeichen auf. Den Start in ihre 100. Saison wollte die „Familie Karl Kolarik“ gebührend feiern. Jetzt werde es „eine ruhige Eröffnung“, sagt Karl J. Kolarik. Zu erzählen haben er und sein Sohn Karl H. Kolarik dennoch einiges aus Gegenwart und Geschichte. Zum Beispiel, was man übers Bierzapfen wissen muss, was es mit der „Frau mit dem Affen“ auf sich hatte und warum es noch immer die Kuttelflecksuppe gibt.
KURIER: Das Coronavirus hat Ihnen die Jubiläumssaison vermiest, oder?
Karl J. Kolarik: Naja, es ist halt eine Herausforderung, aber wir werden es schaffen. Es ist halt jetzt so.
Was wird heuer anders sein im Schweizerhaus?
Karl J. Kolarik: Durch die Regelungen für die Gastronomie gehen wir davon aus, dass wir nur 60 Prozent der Tische und Sesseln benützen können. Das heißt, 500 bis 600 Sessel müssen wir einlagern. Dazu kommen viele Kleinigkeiten, die nach und nach aufgetaucht sind: Wie desinfiziert man Speisekarten, brauchen wir Zeitfenster für die Gäste und wie werden es diese aufnehmen, wenn es keine freie Platzwahl gibt?
Wer von Ihrer Familie arbeitet eigentlich mit?
Karl J. Kolarik: Als „Familie Karl Kolarik“ tätig sind meine Schwester, meine Frau, mein Sohn und ich. Unsere Tochter pausiert, weil sie ein Baby hat.
Und die Luftburg nebenan?
Karl J. Kolarik: Das ist das Geschäft meiner zweiten Schwester. Es gab einmal eine Situation, wo es um die Firmenpolitik ging und meine Schwester ist da ihren eigenen Weg gegangen. Aber zerstritten sind wir nicht.
Wie ist es, mit so viel Tradition aufzuwachsen?
Karl J. Kolarik: Wir als Familie sind jetzt 100 Jahre hier, das ist im Prater schon etwas Seltenes. Das Grundstück gehört wie der ganze Prater der Stadt Wien. Aber ja, wir werden damit verbunden.
Wie siehst du das? (wendet sich zum Sohn)
Karl H. Kolarik: Das ist natürlich eine große Verantwortung. Meine Schwester und ich wollen das Unternehmen genauso erfolgreich wie unsere Eltern führen. Es ist auch schön, wenn man von den Eltern Erfahrung mitnehmen kann, aber die eigene Sichtweise ist auch wichtig.
War klar, dass Sie beide einsteigen?
Karl H. Kolarik: Die Eltern haben mich nie gedrängt. Ich war auch in der chemischen Industrie tätig, wollte aber irgendwann doch zurück.
Karl J. Kolarik: Es ist sicher ein Thema, das man erst später erkennt, was einem wichtig ist. Ich bin ja hier in Prater aufgewachsen und hab als 12-Jähriger Stalzstangerl und Brezeln verkauft. Meine Eltern haben nie gesagt, ich muss einsteigen. Ich war viele Jahre im Getränkehandel..
Wann haben Sie Ihr erste Bier gezapft?
Karl J. Kolarik: Ich glaub, mit 12, 13.
Karl H. Kolarik: Bei mir war´s ein bisschen später, so mit 16.
Bier trinken Sie vermutlich beide gern?
Karl J. Kolarik: Zu erschmecken, wie das Bier sein muss, gehört bei uns zur Qualitätskontrolle. Es kann ja etwas mit dem Fass nicht passen, das muss man gleich am Beginn erkennen und nicht den Gästen vorsetzen.
Karl H. Kolarik: Ich bin auch Bier-Sommelier, das Budweiser schmeckt mir bis heute am besten.
Was hat das Schweizerhaus zur Wiener Institution gemacht?
Karl J. Kolarik: Sicher der zentrale Standort im Grünen und wahrscheinlich auch die Berechenbarkeit der Karte. Das Bier wird in einer Art gezapft, wie bis vor 50 Jahren überall, diese Langsamkeit macht auch was aus.
Karl H. Kolarik: Vor einigen Jahren haben wir uns mit einer Studie angeschaut, was das Schweizerhaus ausmacht. Im Wesentlichen war das drei Punkte: Der Gastgarten, das Bier und die Wiener und böhmische Küche.
Warum ist gerade die Stelze so wichtig geworden?
Karl J. Kolarik: Mein Vater war gelernter Fleischhauer, mein Großvater auch, er kam aus Südböhmen und ist in Wien hängen geblieben. Beide haben sich speziell mit Schweinefleisch befasst und die Überlegung, was man aus einer Stelze machen kann. Wir wissen aus unserem Archiv, dass immer wieder probiert wurde, die Stelze herauszubraten. In einer alten Speisekarte von 1937 steht sie schon drinnen.
Außer Stelze und Bier gibt es ja noch andere Klassiker.
Karl J. Kolarik: Erdäpfelpuffer gibt es seit Jahrzehnten. Das sind Produkte, die von hier weg in die Haushalte gegangen sind, zum Beispiel auch der geradelte Radi. Das Patent für den Schneider kommt aus dem Schweizerhaus. Der Radi wird praktisch durch die Schwerkraft, das Gewicht der Maschine, geschnitten.
Wird Kuttelflecksuppe noch bestellt?
Karl J. Kolarik: Ja, bestimmte Gäste kommen nur deswegen. Es polarisiert natürlich. Ich erinnere mich da an eine Geschichte, als ein Maturakollege von mir mit seiner Familie kam und über die Speisekarte diskutierte. Wir hatten sie damals als Prager Suppe angeschrieben. Als sie hörte, dass das Kuttelfleck ist, fand sie es grauslich. Als sie dann am WC war, hat sich der Sohn eine bestellt, die Mutter wollte kosten und es schmeckte ihr - ohne zu wissen, dass es Kuttelflecksuppe war. Als ihr Sohn sie aufklärte, wurde sie in der Sekunde kreidebleich vor Schreck. (lacht)
Wollten Sie jemals mit der Tradition brechen? Vielleicht ein anderes Bier?
Karl J. Kolarik: Wenn man überzeugt ist, dass es das Optimale ist, ist das Budweiser die letzte städtische Brauerei Tschechiens. Sie lagert das Bier ein viertel Jahr. Das bedeutet, das Bier ist danach anders als in einer modernen Brauerei, wo weniger Zeit vergeht. Das ist natürlich eine Kostenfrage, die man sich leisten wollen muss. Es ist auch mehr Arbeit durch den Naturhopfen, der verwendet wird. Wir lassen das Bier auch nochmal eine Woche stehen, wenn es geliefert wird.
Karl H. Kolarik: Neuerungen machen wir schon laufend und schauen drauf, dass es die Gäste nicht mitbekommen. Vor einigen Jahren haben wir den großen Herd ersetzt. Heuer haben wir die Terrasse umgebaut. Es passiert sehr viel, aber nicht alles bekommt man sofort mit.
Erinnern Sie sich noch an andere Anekdoten?
Karl J. Kolarik: Als ich ein Bub war, kam immer eine Frau mit einem kleinen Äffchen. Das war für mich nicht ungewöhnlich, weil im Prater gab es auch Schausteller mit Affen. „Die Frau mit dem Affen“ war halt ein Stammgast. Dann sagte einmal ein anderer Gast zu einem Kellner: „Jetzt muss ich dann zum Trinken aufhören, ich sehe schon Affen.“ Das habe ich einer Dame, die mich viele Jahre später um eine Geschichte von früher gefragt hat, erzählt. Sagt sie doch glatt drauf: „Ja, das war meine Mutter.“ Da habe ich mir gedacht, das gibts doch normal nicht.
In Erinnerung geblieben ist mir auch, als meine Frau dem Helmut Qualtinger ein Bier schlecht eingeschenkt hat. Er hat sich drüber aufgeregt, weil die Schaumhaube gefehlt hat. Er ist aber weiterhin gekommen. Meiner Frau - damals waren wir noch nicht verheiratet - war es aber sehr lange sehr unangenehm. Sie ist ja nur eingesprungen, weil alle beschäftigt waren. Aber sie hat es natürlich gelernt.
Was fällt Ihnen noch ein?
Karl J. Kolarik: Bei der Eishockey-WM kam die tschechische Mannschaft ins Semifinale. Der tschechische Botschafter wollte die Mannschaft ins Schweizerhaus einladen - aber erst ab 23 Uhr, wo wir sonst schon zumachen. Die Kellner und Köche haben das Match im Fernsehen verfolgt und als die Tschechen tatsächlich gewonnen haben, haben sie den Eingangsbereich mit Fackeln usw. Geschmückt. Dann haben wir gewartet - bis 1.30 h kam keiner. Dann kam einer alleine mit dem Pokal - der Bus kam bei den Pollen nicht durch. Aber sie schafften es doch und haben bis 8h früh gefeiert. Das war das einzige Mal, dass wir so lange offen hatten. Die Hälfte der Gruppe waren die Mütter und die Freundinnen der Mannschaft. Daher waren sie vielleicht sehr gesittet. Die Damen sind um 3h aufgebrochen, die Mannschaft hat weitergefeiert. Da war ich aber auch nicht mehr dabei. Die waren wirklich sehr nette Menschen.
Sprechen Sie noch tschechisch?
Beide nicken
Karl J. Kolarik: Meine Geschwister und ich haben die tschechische Schule in Wien besucht, das hat sich unser Vater eingebildet.
Karl H. Kolarik: Ich habe es auf der Uni gelernt, war dann noch als Erasmus-Semester in Prag.
Was macht das Schaumhauberl aus?
Karl H. Kolarik: Wir zapfen das Bier grundsätzlich in drei Schritten. Da gibt es die Vorschank, Hauptschank und Nachschank. Daraus verfestigt sich ein Teil des Bieres zur Schaumkrone. Das ist optisch auch schön anzuschauen.
Karl J. Kolarik: Ein Teil der Kohlensäure geht in die Bierhaube, dadurch ist das Bier etwas weniger kohlensäurehaltig und auch bekömmlicher.
Sie haben mehrere langjährige Kellner.
Karl J. Kolarik: Am längsten waren 45 Jahre, den haben wir vor zwei Jahren in die Pension verabschiedet. Der Jiri ist jetzt schon 30 Jahre bei uns.
Karl H. Kolarik: Für einen Saisonbetrieb haben wir eine geringe Fluktuation. Von den Kellnern kommen jedes Jahr zwei Drittel wieder. Bis zum Vorjahr hatten wir zwei Saisonen lang einen ungarischen Anwalt als Kellner. Der wollte das als Ausgleich zu seiner Tätigkeit.
Wie viele Krügerl passen auf ein Tablett?
Karl J. Kolarik: 20 Stück. 1 Krügel hat 1,20 kg. Für ein volles Tablett musst´ schon an Ärmel haben.
Die Kellner brauchen kein Fitnesscenter mehr, oder? Karl J. Kolarik: Sagen´s das nicht. Die sind eigentlich alle sehr sportlich und man hört von vielen, dass sie ins Fitnesscenter gehen. Die gehen nicht nur viele Kilometer, die tragen auch ein ordentliches Gewicht.
Schnell sein ist auch eine Anforderung bei uns.
Karl H. Kolarik: Darum haben wir die Aufgaben auch aufgeteilt. Pro Station gibts immer einen Kellner, der die Speisen übernimmt, einer die Getränke. Damit immer ein Ansprechpartner da ist. Normalerweise sind 60 Plätze pro Station. Heuer wird das ein bisschen anders sein.
Karl Kolarik
Als 19-Jähriger übernahm der Fleischermeister 1920 die „Praterhütte“, die auch als Schweizerhaus bekannt war. 1926 entdeckte er das Budweiser Bier für sein Lokal, das 1945 zerstört wurde. Ab 1960 begann die Entwicklung zum heute bekannten Schweizerhaus. Karl Kolarik starb 1993.
1766 erfolgte die erste urkundliche Erwähnung einer Gaststätte. In der „Schweizer Hütte“ verköstigten Jagdtreiber aus der Schweiz adelige Jagdgesellschaften.
Kommentare