Ich hör' auf zu rauchen: Mir bleibt nur das Stark bleiben und Weiteratmen

Ich hör' auf zu rauchen: Mir bleibt nur das Stark bleiben und Weiteratmen
Vier Monate rauchfrei sind überstanden. Was ich gelernt habe, ob ich es geschafft habe und wo der Schein trügt.

Vier Monate sind eine Ewigkeit. In dieser Zeit kann viel passieren, ganze Leben können sich drehen, Perspektiven und Bedürfnisse können sich verändern. Ein vermeintlich elementarer Bestandteil meines Lebens hat sich vaporisiert. Oder bilde ich mir das nur ein? 

Es ist erschreckend und erleichternd, wie aus etwas, das immer da war, ein raumeinnehmendes und andauerndes Gefühl des Verlustes wird. Und von diesen täglichen Manifestationen in meinem Gedankenkarussell dann doch schleichend, immer seltener werdend, scheinbar nichts bleibt. Weg aus den Gedanken, dem Organismus, dem Alltag. Fast Vergessen.

Die Rede ist, wie könnte es an dieser Stelle anders sein, von der Zigarette. 15 Jahre lang habe ich geraucht. Und dann von einem Tag auf den anderen aufgehört. Knapp vier Monate ist das her und ich habe jede Phase des Entzuges - sowohl körperlich als auch sozial -  fast pervertierend zelebriert und ausgeschlachtet. Jedes Gefühl des Verlangens obsessiv dokumentiert, analysiert und in Zeilen für Diana hört auf gegossen.  

Ein kurzes Resümee zeigt Verbesserungen: Ich laufe schneller, länger. Ich habe mehr Energie, meine Haut hat seine aschfahle Blässe verloren. Ich habe rund 200 Euro gespart. Ich schlafe tiefer - meistens.

Meine Rauchfrei-App listetet mir die gesundheitlichen Verbesserungen auf: Kreislauf 100% wieder hergestellt, gleiches gilt für: Helligkeit der Zähne, Durchblutung von Gaumen und Zahnfleisch, Sauerstoffgehalt im Blut, Lungenfunktion, Puls, Geruchs- und Geschmackssinn.

Aber: Erst in rund 8 Monaten wird mein Risiko für eine Herz-Krankheit auf das einer Nichtraucherin gesunken sein, 

Erst in rund 9,5 Jahren wird mein Risiko für Lungenkrebs um die Hälfte auf das einer Noch-Raucherin gesunken sein. 

Erst in knapp 15 Jahren des Nichtrauchens wird mein Herzinfarkt-Risiko auf das einer Nichtraucherin gesunken sein. 

Aber auch eine emotionale und soziale Komponente darf ich hier nicht vergessen. Die vergangene vier Monate waren eine intensivere Auseinandersetzung mit mir selbst. Und der Kampf gegen die Sucht hat mich einigen Menschen näher gebracht. 

Mein Abnabelungsprozess von der Zigarette zum Nachlesen

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So auch vor wenigen Tagen wieder beobachtet. Im Rahmen eines seltenen Zusammentreffens bestimmter mir Blutsverwandter und einer angeheirateten Bezugsperson wurde unser von jahrelangem gemeinsamen Rauchens geprägtem Beisammensein auf die Probe gestellt, aber auch neue Gemeinsamkeiten betont.  

Denn zwei der vier Verwandten haben kürzlich mit dem Rauchen aufgehört. Eine Dritte raucht in unserer Nähe nur heimlich und entwickelt dabei neuerlich Verhaltensmuster, wie in Teenagertagen, als die Zigarette verstohlen hinter dem Haus geraucht wurde. Die Vierte hat nie geraucht.

Rohe Eier und Totschweigen

Wie bei anderen schmerzhafteren Verlusten geht auch jede Raucherin, jeder Raucher anders mit der Entwöhnung um. Während Blutsverwandter A durch einen gesundheitlichen Einschnitt unfreiwillig zum Rauch-Stopp und durch die bloße Nicht-Verfügbarkeit von Tabak zum kalten Entzug gezwungen wurde, habe ich es mir ausgesucht. Er hatte den Kontrollverlust, ich die Kontrolle. Zudem bin ich von Anfang an mit der Versuchung konfrontiert worden und habe gelernt, damit umzugehen. 

Blutsverwandter A allerdings ist seit dem Rauch-Stopp quasi von der Versuchung isoliert - außer seine teilweise rauchenden Nachfahren sind auf Besuch. So liegt sein Rückfall irgendwie in unseren Händen. Auch weil er und ich eine Abmachung haben: Rauche ich nicht, raucht er nicht. Leider hofft er daher sogar auf meinen Rückfall.

Kurz bevor sich alle zu erwartenden Blutsverwandten für das familiäre Stelldichein in die Züge begeben haben, erhielt ich einen Anruf: 

"Diana? Rauchst du immer noch nicht?" 

"Nein, natürlich nicht", war meine Antwort.

Aber statt einem stolzen verbalen Schulterklopfen, kam ein frustriertes "Ach Scheiße" durch den Lautsprecher meines Handys. 

Wenigstens scheint er sich an unsere Abmachung zu halten. Ein Grund mehr für mich wirklich nicht rückfällig zu werden. 

Bloß nicht über Zigaretten reden

Und so wurden die gemeinsamen Tage auch ein Tänzeln auf rohen Eiern. Denn bei all jenen bekannten Situationen, in denen zuvor gemeinsam geraucht worden war, waren alle Anwesenden auf maximale Ablenkung bedacht.

Die Zigarette stand als Elefant im Raum. Man sprach so wenig wie möglich darüber, um keinen alten Wunden aufzureißen. Die Wunde ist bei Blutsverwandtem A noch da, während ich den rauchigen Geruch von der noch rauchenden Blutsverwandten, die sich spätnachts wieder ins Haus schleicht, hauptsächlich irritierend finde. 

"Du bist scheinheilig"

Ich erhebe mich arrogant über meine noch rauchende Blutsverwandte. "Jetzt tu nicht so, als sei das so schwer. Schau mich an, wie gut es mir damit geht", sage ich zu ihr, während sie sich die langersehnte Zigarette weit weg vom Haus anzündet. "Das ist so scheinheilig von dir. Das ist bei dir sicher nur eine Phase", wird mir entgegnet. Und ich begebe mich hochnäsig Richtung Bahnhof - wo eine Odyssee beginnt, die meine Selbstherrlichkeit als Nichtraucherin zerbröselt. 

Ich werde 13 Stunden zwischen Tür und Klo auf dem Boden sitzend unterwegs sein für eine Strecke, die an guten Tagen 7:30 Stunden dauert. 

Es ist Ausnahmezustand durch Unwetter. Und während mir die Sitzknochen zunehmend wehtun, das rechte Bein zum vierten Mal einschläft und mir das Trinkwasser ausgeht, bemerke ich: Anstelle des anfänglichen Ekels gegenüber dem älteren Herrn, der sich erdreistet bei jedem Stopp direkt vor der offenen Türe (vor der ich auf dem Boden hocken muss) zu rauchen, stellt sich von jedem außerplanmäßigen Halt zum Nächsten mehr Neid bei mir ein. Neid auf seine Zigarette, die dem unnötigen Zeitverplempern zumindest den Anschein eines Sinnes verleiht. 

Das Rauchen hat für mich tatsächlich hauptsächlich an Anziehung verloren. Aber ich vermisse eine Art Lebensgefühl, die ich mit der Zigarette verbinde. Die Zigarette stand oder steht in schwachen Momenten für sinnliche Nonchalance und einer eskapistischen Arroganz gegenüber der Vergänglichkeit. 

Ich bin scheinheilig 

Natürlich hat meine rauchende Verwandte recht. Ich bin ich scheinheilig. Denn ich verurteile sie laut und beneide sie leise. Das Nichtrauchen fällt mir heute leichter. 

Mit diesen Zeilen verabschiede ich mich von diesem Tagebuch, das mir so geholfen hat,  - aber werde ich stark bleiben oder mich beim nächsten erschütternden Erlebnis in den Eskapismus durch die Zigarette flüchten? Das bleibt offen... 

Stark bleiben. 

Weiteratmen.

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