Wiens skurrilste Straßennamen: Julius Ficker und das Rotlicht

Wiens skurrilste Straßennamen: Julius Ficker und das Rotlicht
Die Straßen Wiens sind Orte der Begegnung und ihre Namen sind oft ein Politikum. Sie können aber auch mehr sein. Was, das weiß Historiker Peter Autengruber.

von Adrian Zerlauth

Tagtäglich werden sie übersehen. Nur Postboten schenken Straßennamen die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Oder Historiker. Und ein solcher ist Peter Autengruber. Vergangene Woche erschien die neue  Auflage seines „Lexikon der Wiener Straßennamen“.

Der KURIER sprach mit dem 62-jährigen Dozenten  für Zeitgeschichte über die skurrilsten und problematischsten Wiener Straßennamen  – und welche Funktion diese haben.

KURIER: Soeben ist die 11. Auflage Ihres Lexikons der Wiener Straßennamen erschienen. Was hat sich seit der vorhergehenden Auflage getan?

Peter Autengruber: Die Benennung von Straßen ist ein lebendiger Prozess. Es kommen ständig neue Verkehrsflächen in Wien dazu – zum Beispiel in den großen Stadterweiterungsgebieten wie der Seestadt.

In der neuen Auflage sind prominente Namensgeber vertreten: unter anderem die Autorin Christine Nöstlinger oder  der ehemalige ÖVP-Politiker und Vizekanzler Alois Mock. Die 10. Auflage wurde  erst vergangenes Jahr veröffentlicht. In der kurzen Zwischenzeit sind  27 neue Straßennamen dazugekommen.

Informationen für 11 Lexika zu recherchieren, frisst sicher einiges an Zeit.

Ja, das ist sehr aufwendig. Insbesondere die individuelle Beschreibung der einzelnen Straßennamen ist am zeitintensivsten. Früher gab es kein Internet und kein Handy, da war die Recherche noch aufwendiger. Man musste sich durch unzählige Archive und Vorgängerwerke wühlen.

Ich lege großen Wert darauf, herauszuarbeiten, warum ein bestimmter Straßenname für einen bestimmten Ort ausgesucht wurde. Außerdem ist es interessant zu untersuchen, wer den Namen beantragt hat – welche Person, welche Lobby. Das herauszufinden, erfordert die eine oder andere Stunde.

Wie schwer fällt es Ihnen als Historiker, einen großen geschichtlichen Kontext  auf eine kurze Beschreibung in einem Lexikon zu beschränken?

Johann Wolfgang von Goethe,  von dem die Goethestraße in Liesing ihren Namen hat, kennt jeder. Da muss ich keinen Roman dazuschreiben. Man muss abwägen, wo ausführlichere Informationen  nötig sind –  und wo nicht.

Ist Ihr Werk  ein Nachschlagewerk oder ein Geschichtsbuch?

Es ist eine Mischung. Ich habe versucht, Querverweise zwischen den Straßennamen herzustellen und die Verbindungen zwischen ihnen zu erklären. Neben kürzeren Beschreibungen befinden sich auch viele ausführlichere geschichtliche Erklärungen im Buch.  

Das Lexikon

Peter Autengruber:„Lexikon der Wiener Straßennamen“, Wundergarten, 11. (überarbeitete) Auflage, 350 Seiten, 21,90 Euro

Benennung von Straßen

Für die Benennung von Straßen gibt es bestimmte Kriterien. Dazu gehören: Erkennbarkeit, Unterscheidbarkeit, Prägnanz, Kürze und ein Wien-Bezug. Soll eine Straße nach einer Person benannt werden, gelten zusätzliche Kriterien: So muss der Namensgeber bereits ein Jahr tot sein und objektivierbare Verdienste geleistet haben. Weitere Voraussetzungen: Gendergerechtigkeit und die Widerspiegelung von Wiens  gesellschaftlicher Diversität

Wonach sind die meisten Wiener Straßen eigentlich benannt?

In Wien gibt es 6.777 Verkehrsflächen. Die Namen von 4.439 dieser Flächen sind auf Personen bezogen, das sind rund 65 Prozent. Wenn man sich die vergangenen 20 Jahre anschaut, dann kann man erkennen, dass geschätzte 90 Prozent der neu dazugekommenen Verkehrsflächen nach Personen benannt wurden.

Das kann man  auch durchaus kritisch sehen: Es würde ja noch viele andere Möglichkeiten für Namen geben.  Gerade bei zentralen, prominenten Verkehrsflächen, deren Namen auch immer wieder in Diskussion geraten, stelle ich mir die Frage: Wäre  es nicht besser, diese personenunabhängig zu benennen?

Welche zum Beispiel?

Etwa den Ring. Hier ist es besser, die Namen der Abschnitte nach lokalen Markierungen zu wählen – wie etwa  beim Opernring. 

Beim Karl-Lueger-Ring wurde das letztlich ja so gemacht: Er heißt nun Universitätsring.
 
Wie wichtig sind Straßennamen für das geschichtliche Bewusstsein?

Natürlich sind Straßennamen in erster Linie Orientierungshilfen. Aber sie spiegeln auch gewisse Wertehaltungen wider. Der Symbolgehalt von Straßennamen offenbart sich immer wieder in den emotionalen Diskussionen rund um Umbenennungen.

Straßen mit problematischen Namen umzutaufen, ist grundsätzlich wichtig. Doch man darf Geschichte auch nicht gänzlich aus dem Stadtbild löschen. Jedenfalls sollte man sehr genau auf den Kontext hinweisen. Das ist zum Beispiel mit künstlerischen Interventionen möglich.  

Reicht das?

Vielfach schon. Viele Straßennamen sind nämlich Grauzonen.  Dort, wo der Name klar negativ und problematisch ist, reicht eine künstlerische Intervention nicht. Da muss man natürlich umbenennen.

Kommt es auch heute noch vor, dass Straßen einen fragwürdigen Namen bekommen? Oder gibt es in diesem Zusammenhang bereits ausreichend kritisches Bewusstsein?

Es kann immer sein, dass etwas durchrutscht. Im Jahr 2006 wurde beispielsweise eine Gasse in Floridsdorf Margret-Dietrich-Gasse getauft. Margret Dietrich gehörte zu den Gründern des Wiener Instituts für Theater.

Wiens skurrilste Straßennamen: Julius Ficker und das Rotlicht

Peter Autengruber mit einer älteren Ausgabe des Lexikons.

Zwei Jahre nach der Namensgebung wurde publik, dass Margret Dietrich Mitglied der NSDAP war. Daraufhin wurde die Straße wieder umbenannt: Heute heißt sie Helene-Richter-Gasse.

Gibt es neben diesen problematischen Straßennamen auch lustige und skurrile?

Straßennamen sind ja auch Kulturgut. Es gibt bestimmte Straßennamen, die heute ganz anders konnotiert sind als früher. Der arme Rechtshistoriker Julius Ficker zum Beispiel kann nichts für seinen Namen.  Vor einigen Jahren hat sich in der Julius-Ficker-Straße in Floridsdorf allerdings das Rotlicht-Milieu niedergelassen – was natürlich für das eine oder andere Schmunzeln gesorgt hat.

Man kann sich aber auch über die Hirnbrecherstiege im 19. Bezirk amüsieren.

Und dann gibt es noch Straßennamen, die oft missverstanden werden: zum Beispiel die Ostmarkgasse in Floridsdorf oder die Anschlußgasse in Penzing. Beide haben nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun, sondern sind unabhängig vom NS-Regime zu ihren Namen gekommen.

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