Ein Besuch in der Michaelergruft: Zwischen Mumien und barocker Begräbniskultur

Ein Besuch in der Michaelergruft: Zwischen Mumien und barocker Begräbniskultur
Warum man im Untergrund besonders gut über das Leben nachdenken kann und hier rein gar nichts gruselig ist – besonders nicht die Mumien. Ein Rundgang.

Man muss aufpassen, wo man hintritt, in der Welt unter dem Michaelerplatz, genauer: in der Gruft der Michaelerkirche. Nichts ist hier eben. Kein Wunder, steht man doch auf etwa einem Meter Lehm, Knochen- und Holzresten, Überreste einer jahrhundertealten Begräbniskultur. Pater Peter van Meijl bringt das nicht aus der Balance. Der ehemalige Pfarrer der Michaelerkirche und gebürtige Niederländer war schon unzählige Male hier unten.

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„2002 hat man mich gefragt, ob ich die Leitung der Michaelerkirche übernehmen will. Ich habe zugesagt – aber von den Leichen im Keller hat man mir damals nichts gesagt“, sagt er mit einer deutlichen Portion Galgenhumor. Und diesen Leichen ging es damals alles andere als gut. Zu hohe Temperaturen, zu hohe Luftfeuchtigkeit und der eingeschleppte australische Rüsselkäfer drohten den alten Särgen den Garaus zu machen. Die Lage war dramatisch: „Experten haben gesagt, wenn man jetzt nichts tut, braucht man gar nichts mehr zu tun“. Dann wären die Gruft und ihre Bewohner unwiederbringlich verloren gewesen.

Ein Besuch in der Michaelergruft: Zwischen Mumien und barocker Begräbniskultur

Säuberlich gestapelte Knochen

Mumifizierte Wienerinnen und Wiener

Eine moderne Entfeuchtungsanlage sorgt heute dafür, dass die „einmalige unterirdische barocke Beerdigungsanlage“, wie der Pater sie nennt, noch lange erhalten bleibt. Van Meijl führt seine Gäste mit viel Enthusiasmus durch die schummrigen Gewölbe. „Achtung, Kopf einziehen!“, warnt er vor jedem Durchgang in eine neue Kammer. Die Spinnweben, die von der Decke hängen, bewegen sich leicht im Luftzug. Der ist wohl auch dafür verantwortlich, dass in einigen Särgen mumifizierte Wienerinnen und Wiener liegen – großteils jene, die am nahen Wiener Hof beschäftigt waren.

Eine elegante Dame ruht im schwarzen Rüschenkleid unter bruchsicherem Glas, ein Kreuz in den knochigen Händen. Im Schein der Taschenlampe ist sogar das Blumenmuster auf ihren Damastschuhen noch schwach erkennbar. Ein paar Särge weiter ruht eine andere auf einem Bett aus Holzspänen, auf ihrem Kleid weiße Wachsflecken von den Kerzen der vielen Besucher längst vergangener Tage. Der Kopf ist ihr, fast wie im Schlaf, auf die Brust gesunken. Sie wirkt friedlich.

Ein Besuch in der Michaelergruft: Zwischen Mumien und barocker Begräbniskultur

Pater Peter van Meijl vor dem Abgang in die Gruft.

Man versteht, dass van Meijl nichts Gruseliges oder Morbides an der verzweigten Gruft findet. „Das hier bietet doch eine einmalige Art, über den Tod und das Leben nachzudenken.“ Dass die Wiener besonders morbide seien, will er, der den Vergleich hat, so nicht stehen lassen. Aber ganz von der Hand weisen kann er es auch nicht: „Der Tod ist den Menschen hier näher, das sieht man auch an den herausgeputzten Friedhöfen. Als Niederländer habe ich da einen nüchterneren Zugang. Diese Friedhofsfrömmigkeit haben wir nicht“.

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Warum ist dieser Sarg vollständig eingemauert?

Geheimnis bewahren

Ein anderer Sarg zieht die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich. Hier liegt laut Inschrift die 1658 verstorbene Anna Polixena von Krosieg. Ihr Sarg ist im Gegensatz zu den anderen vollständig eingemauert. Wegen Infektionsgefahr? Aus Angst vor vermeintlichen Wiedergängern? Van Meijl will es gar nicht wissen: „Aus hygienischen Gründen und der Totenruhe willen sollten wir die Finger davon lassen. Es muss auch so etwas wie ein Geheimnis geben“, bevor er sich mit einem erneuten „Achtung Kopf!“ durch den nächsten Durchgang duckt. Und, wenig beruhigend, ein „Keine Panik!“ hinterher schiebt, da die nächste Kammer gar sehr finster ist. „Aber ist das nicht eine herrliche Ruhe?“, fragt er begeistert in die kleine Runde.

Was sollen Gäste von ihrem unterirdischen Besuch mitnehmen? Der Pater muss nicht lange überlegen. „Man sagt ja immer, Memento mori – Bedenke, dass du sterben musst. Aber man darf dabei auch nicht auf das Leben vergessen – Memento vivere. Wir müssen sowieso alle sterben, also lasst uns jetzt gut leben.“

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