Ein Herzstich für alle Fälle
Der Weg über den nächtlichen Friedhof beginnt. Der Wind rauscht laut in den Baumkronen, als Saeidi neben dem heutigen Bestattungsmuseum von den Anfängen des Zentralfriedhofs erzählt. Damals war das Museum übrigens, weniger einladend als heute, eine Halle für infektiöse Leichen.
Drei Millionen Tote liegen hier, sagt Saeidi, was dann doch kurz für Gänsehaut sorgt. Saeidi erzählt auch von Wiedergängern. Aber nicht von Zombies, sondern von Vampiren. Vorbeugend fesselte man damals die Toten mit geweihten Rosenkränzen, köpfte oder pfählte sie. Passenderweise ziehen da gerade Wolken über den Nachthimmel und schieben sich vor den Mond. Aber – keine Angst – noch unter Kaiserin Maria Theresia wurde Österreich offiziell für vampirfrei erklärt.
Umgekehrt war aber auch die Angst sehr groß, scheintot ins Grab und unter die Erde zu kommen. Johann Nestroy etwa habe deshalb verfügt, dass man ihm nach seinem Tod sicherheitshalber mit einem Stilett ins Herz stechen solle, erzählt Saeidi bei seinem Grab, während es hinter ihr im Gebüsch beunruhigend laut raschelt.
Hier ruht World Music Franz
Weiter geht es, in Richtung der Arkaden, deren Denkmäler im Schein der Taschenlampen gespenstische Schatten werfen. „Was steht hier?“, fragt Saeidi und richtet den Lichtkegel ihrer Taschenlampe auf die verschnörkelte, altdeutsche Inschrift auf einem Grabmal. „World Music Franz“, sagt eine Frau. Es ist fast richtig. Die Gruft bietet Platz für „World Music Fans“, genauer gesagt, für 300 ihrer Urnen. So können sie, so die Idee des findigen japanischen Geschäftsmannes, der das Nutzungsrecht für die Gruft für die nächsten 100 Jahre erworben hat, ihren Idolen auch nach dem Tod nahe sein.
Phönix aus der Asche
„Ist das da links die Kirche?“, fragt eine Besucherin Saeidi, als die Gruppe gerade an der Kirche vorbeigeht. „Äh, ja.“
Da ist man dann auch schon bei der Präsidentengruft angekommen. Saeidi leuchtet am Boden auf die Namen der österreichischen Bundespräsidenten, die hier bereits begraben sind. „Wo ist denn der Waldheim?“, fragt einer. „Jössas, ich steh drauf“, sagt eine Dame.
Beim Denkmal für die Opfer des Ringtheaterbrandes aus dem Jahr 1881 gibt es einen weiteren Stop. 380 Tote konnten damals identifiziert werden. Darunter Ladislaus Vetsera, der Bruder Mary Vetsera, deren Liebschaft mit Kronprinz Rudolf sie das Leben kostete. Oben auf dem Denkmal sitzt die trauernde Vindobona, ihr zu Füßen ein kleiner Vogel. „Das ist ein Phönix“, erklärt Saeidi. „Er erhebt sich aus der Asche.“
Nach zwei Stunden ist die Führung zu Ende und die Gruppe steht wieder vor Tor 2. Und die schweigenden drei Millionen Einwohner haben ihren Friedhof wieder ganz für sich.
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