Jüdischer Friedhof Rossau: Den Toten die Würde zurückgeben
Auf dem Gräberfeld im neunten Bezirk laufen seit rund 15 Jahren die Restaurierungsarbeiten. Heinz Stöffler betreut die Arbeiten – und ganz nebenbei auch ein Friedensprojekt
Es ist ein kalter, verregneter Novembertag auf dem jüdischen Friedhof in der Wiener Rossau. Heinz Stöffler bahnt sich zielstrebig seinen Weg zwischen roten und sandfarbenen Grabsteinen.
Er kennt das Gelände und seine Tücken wie kaum ein anderer – schließlich begleitet er die Instandsetzungsarbeiten seit nunmehr 15 Jahren als Projektkoordinator. „Passen S’ auf, da sind überall Löcher“, warnt er seine stolpernden Besucher.
Ein Ort und seine Geschichte
Wie ein gut gehütetes Geheimnis ist der Friedhof von der Seegasse aus nicht zu sehen. Er liegt, von einer Mauer umgeben, im Innenhof des Seniorenheims, von dessen Balustrade man direkt auf das Gräberfeld und die dahinter liegenden Innenhöfe blickt.
Zwischen 1520 und 1783 wurden hier Bestattungen durchgeführt, damit ist er der älteste rein orthodox-jüdische Friedhof Österreichs.
Die Zäsuren des jüdischen Lebens in Wien sind auf diesem rund 2.000 m² großen Grund gut sichtbar. Als die Nationalsozialisten 1942 die Auflösung des Friedhofs anordneten, wurden die rund 1.000 Grabsteine jedoch nicht komplett zerstört, sondern teils abgetragen und am Wiener Zentralfriedhof in Simmering auf Halde gelegt.
Ein Trümmerfeld
Zwar kamen in den 1980er-Jahren etwa 450 Steine zurück in die Rossau, diese wurden aber recht willkürlich über den Platz verteilt. „So war der ganze Friedhof nach wie vor im Schändungszustand“, erklärt der Experte. „Denn das im Judentum für die Ewigkeit zugewiesene Grab hat mit dem Verlust der Steine seinen Platz verloren.“
Diesen Missstand zu beheben und dem Ort und seinen Toten die Würde zurückzugeben, ist ein wesentlicher Teil der Arbeiten, die im Auftrag der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), des Bundesdenkmalamts und der MA 7 (Altstadterhaltungsfonds der Stadt Wien) stattfinden.
Stöffler koordiniert die Grabungs- und Restaurierungsarbeiten vor Ort und muss dabei religiöse Vorgaben und jene des Denkmalschutzes unter einen Hut bringen. Er ist der „Kümmerer für alles“, wie er selbst sagt.
Dreidimensionale Puzzles
„Erst 2012 haben wir beim Fundamentieren entdeckt, dass nur ein Teil der Steine nach Simmering gebracht worden ist. Viele hat man einfach umgeworfen und teils in mehreren Schichten unter der Erde versteckt“, sagt Stöffler. Sie zu finden und zu bergen ist ein Mammutprojekt.
Nur eine Woche im Jahr kann am Areal gegraben werden. Zwei Rabbiner reisen dann extra aus Israel an, um die Grabungen zu überwachen. Die gefundenen und vorhandenen Grabsteine, die großteils nur noch in Fragmenten erhalten sind, werden „wie ein dreidimensionales Puzzle“ zusammengesetzt, mit gegossenem Kunststein ergänzt und an der richtigen Stelle wieder aufgestellt.
Der richtige Stein am richtigen Ort
Dass dies möglich ist, ist auch dem Vermächtnis von Bernhard Wachstein zu verdanken – einem ehemaligen Archivar der IKG, der Anfang des 20. Jahrhunderts einen detaillierten Plan des Friedhofs gezeichnet, jeden einzelnen Stein genau beschrieben, vermessen und und teilweise sogar fotografiert hat.
Stöffler zeigt auf drei nebeneinander stehende Steine: „So können wir zum Beispiel die richtige Lage von diesen drei Steinen sicher bestimmen. Einer war schon hier, einer war in Simmering, einen haben wir ausgegraben. So geht das seit 15 Jahren.“
Lebensaufgaben
Herausforderungen birgt auch das Steinmaterial: „Der Sandstein nimmt etwa viel mehr Feuchtigkeit auf als der Kalkstein – und dann wachsen dem Spongebob Algen und Moose“, sagt er mit einer deutlichen Prise Galgenhumor.
Über die Bildhauerei kam der gebürtige Steirer zur Restaurierung. Gemeinsam mit seinem Bruder, einem Architekten, hat er schon zahlreiche Projekte betreut, darunter die Minoriten- und die Canisiuskirche aber auch jüdische Friedhöfe in Stockerau und Deutschkreuz.
Der Friedhof in der Rossau ist aber sein längstes Projekt. „Ich bin ja eigentlich schon in Pension, aber ich schau’, dass ich das noch fertigbring’“, sagt er. „Es ist ja eine wahnsinnig schöne Arbeit, jedes Jahr sieht man, was neu aus dem Boden geschossen ist.“
20 bis 30 Steine seien es im Schnitt pro Jahr, die gefunden, restauriert und wieder aufgestellt werden – in enger Zusammenarbeit mit Schriftexperten wie Shmuel Shapira: „Er ist für mich eine unendliche Quelle des Wissens, ich habe so viel gelernt über das Judentum. Ich habe einen angeheirateten Onkel, einen Kibbuznik, der ist jetzt um die 85, der sagt immer zu mir, dass ich mich schon besser auskenne als er. Mich interessiert’s halt“, sagt Stöffler.
Konfessionsübergreifender Respekt
Er selbst ist zum Islam konvertiert, als er vor 45 Jahren eine ägyptische Journalistin heiratete. „Es arbeiten überhaupt viele Moslems hier, seit 15 Jahren gräbt hier schon eine bosnisch-muslimische Baufirma, das sind super Hawara. Dazu die möglichen Agnostiker unter den Archäologen – und irgendeinen Katholiken wird’s sicher auch geben. Es sind eigentlich fast alle Weltreligionen hier vertreten“, sagt er und lacht. „Ein Vorzeige-Friedensprojekt.
Das gemeinsame Ziel und die gegenseitige Achtung verbinde alle „vom kleinsten Schaufler bis zum studierten Restaurator“.
Dieser zwischenmenschliche Respekt zeigte sich auch, als bei Arbeiten knapp außerhalb der alten Friedhofsmauer menschliche Überreste entdeckt wurden. „Bis ins 19. Jahrhundert war das hier eine Messerstechergegend, da war die Unterwelt daheim. Wahrscheinlich wurde einer umgebracht und heimlich hier verscharrt.“ Genaues ließe sich heute aber unmöglich feststellen.
Dennoch ließen die orthodoxen Rabbiner einen Grabstein aufstellen: „Hier liegt ein unbekannter Toter. Er ruhe in Frieden.“ – „Das habe ich sehr in Ordnung gefunden“, sagt Stöffler.
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