Die ÖVP ist zurück: Blümel sieht "Sensation und Wahnsinn"
„Mehr Türkis für Wien“ wollte die ÖVP. Das hat sie geschafft.
Mit 18,7 Prozent – dem Wahlergebnis laut Hochrechnung um 18 Uhr – hat die Wiener Stadt-ÖVP ihr Wahlziel erreicht. Nämlich jenes vom stärksten Zuwachs unter allen Parteien. Bei der ÖVP beläuft sich dieser laut Hochrechnung auf 9,4 Prozentpunkte.
Bei der Wahl 2015 fiel die ÖVP unter Manfred Juraczka auf ihr historisches Tief von 9,2 Prozent. Mit diesen 18,7 Prozent laut erster Hochrechnung hätte sich die ÖVP vom vierten Platz 2015 auf den zweien Platz vorgekämpft. Damit stünden ihr künftig zwei Stadträte zu (statt bisher einem).
Gernot Blümel (ÖVP)
Die Freude in der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse war groß – der Jubel war bis auf die Straße zu hören. Und das, obwohl die ÖVP dort Corona-bedingt nur mit ganz kleiner Mannschaft vertreten war. Neben Spitzenkandidaten und Finanzminister Gernot Blümel waren auch Landesgeschäftsführerin Bernadette Arnoldner, Stadtrat Markus Wölbitsch und Bundeskanzler Sebastian Kurz dort. Und eine Handvoll Mitarbeiter.
Das Gros der Funktionärinnen und Funktionäre musste von zu Hause mitschauen. Dafür hat die ÖVP sogar einen eigenen Live-Stream in die Parteizentrale eingerichtet.
Kanzler Kurz sieht "türkisen Weg" bestätigt
Für Spitzenkandidaten Gernot Blümel ist das Wahlergebnis eine „Sensation und Wahnsinn“. Er könne es „gar nicht glauben“, sagte er in einer ersten Reaktion auf die erste Hochrechnung. Und er sendete auch gleich ein deutliches Signal an Wahlsieger Michael Ludwig (SPÖ): „Ich bin angetreten, um mitzuregieren, und stehe nun für Koalitionsverhandlungen bereit.“ Forderungen wollte er an seinen möglichen Koalitionspartner nicht stellen, allerdings ließ Blümel nicht unerwähnt, dass die ÖVP finanzpolitisch über „eine hohe Kompetenz“ verfüge.
Ludwig blieb Antwort schuldig
Eine konkrete Antwort darauf blieb Ludwig am Sonntagabend noch schuldig. Allerdings schloss er im Vorfeld der Wahl zwar eine Koalition mit FPÖ und dem Team Strache aus, eine mit der ÖVP – die ja einen Mitte-Rechts-Kurs fuhr, um enttäuschte FPÖ-Wähler zu überzeugen – allerdings nicht. „Alle anderen Koalitionsoptionen sind möglich“, sagte Ludwig zum ORF – und wies gleich darauf hin, dass die SPÖ derzeit einen „sehr guten Finanzstadtrat“ habe. Peter Hanke nämlich.
Der Weg nach oben – samt Rückenwind aus dem Bund – war für die ÖVP nicht ganz so schwierig zu beschreiten. Ein Spaziergang war der türkise Wahlkampf dennoch nicht.
Gestartet ist die „türkise Wahlkampfmaschinerie“ – wie die ÖVP das selbst nannte – relativ früh und relativ opulent. Man formierte das „Team türkis“, eine Schar an Freiwilligen, mit einer türkisen Sitzgruppe zog man für die „Grätzel-Gespräche“ mit Wienerinnen und Wienern durch die Bezirke.
Tief gestapelt
Die Umfragen gaben den Türkisen recht – sie lagen durchwegs zwischen 18 bis 22 Prozent. Die ÖVP nutzte das geschickt, und stapelte tief und schickte auch ihren Meinungsforscher Franz Sommer vor, der erklärte: 15 Prozent seien für die ÖVP drin, alles andere wäre eine Überraschung.
Ab der zweiten Hälfte des Wahlkampfs fokussierte sich die türkise Truppe auf ihre Lieblingsthemen: Integration, Migration, Sicherheit. Dafür bediente sich die ÖVP auch einer teils drastischen Sprache: Man wolle „Gettos verhindern“ und forderte ausreichend Deutschkenntnisse vor Einzug in den Gemeindebau.
Bernadette Arnoldner (ÖVP)
Gegen Ende des Wahlkampfs offenbarte sich die Schwierigkeit, mit der die ÖVP in Wien zu kämpfen hatte: Die Doppelfunktion ihres Spitzenkandidaten Gernot Blümel. Finanzminister in einer der größten Gesundheitskrisen, die Österreich je erlebt habt – und Spitzenkandidat bei einer Gemeinderatswahl, bei der der ÖVP so gute Chancen wie lange nicht mehr prognostiziert wurden.
Dazu kam, dass man Blümel nicht abnahm, dass er es ernst mit Wien meinte, dass er tatsächlich im Rathaus Politik machen möchte – und nicht im Finanzministerium.
Das Ergebnis dürfte ihm noch mehr Lust auf das Rathaus gemacht haben. Und tatsächlich sagte er noch am Abend, dass er, sollte es zu einer Rot-Türkisen Koalition kommen, ins Rathaus wechseln wolle. "Bei Rot-Türkis werde ich Vizebürgermeister", sagte Blümel. Voraussetzung sei ein "Mitte-Rechts-Kurs".
Was die Bundes-Türkisen fürchten
Drehbuch und „Wording“ der Türkisen standen, da war die erste Hochrechnung noch weit entfernt: Wir, die ÖVP, genauer: Gernot Blümel, waren in Wien die Zielscheibe von allen; dennoch haben wir den größten Zuwachs aller Parteien geschafft; und wir haben das Kunststück hinbekommen, vom vierten auf den zweiten Platz vorzurücken.
Mit diesen, von Bundes- und Stadt-Partei gleichlautend gebrachten Argumenten, begegnet man im Umfeld des Kanzlers der Kritik, Gernot Blümel habe sich in der Doppelrolle als Finanzminister und Spitzenkandidat aufgerieben und damit möglicherweise ein noch viel besseres Ergebnis verunmöglicht – immerhin ist die FPÖ in atemberaubendem Ausmaß eingebrochen.
Tatsächlich gilt es an dieser Stelle einiges festzuhalten. Zunächst: Die im Bund auch von hochrangigen Grünen gestreute These, wonach sich Sebastian Kurz und Spezi Blümel entfremdet haben, wird in der Regierungsmannschaft als „Schwachsinn“ bezeichnet. Denn sie entspricht so gar nicht der internen Loyalitäts- und Machtlogik. Mitglieder des türkisen Kern-Teams werden nicht fallen gelassen; schon gar nicht, wenn sie solche Wahlergebnisse schaffen.
Ein anderer Punkt: Mindestens ebenso wichtig wie das eigene Ergebnis in Wien ist für die türkise Regierungsmannschaft das Abschneiden der Grünen.
Denn zuletzt lief es im Bund eher ruppig. „Die Grünen sind nervös, sie machen vieles unabgesprochen, um politisch ihr Revier abzustecken“, lautete zuletzt der Befund in Richtung Werner Kogler.
Grüne könnten mehr Kante zeigen
Als Beispiel wird die Plastik-Pfand-Idee gebracht, mit der Kogler & Co die Türkisen überrascht und spürbar vergrämt haben. Dass der kleine Koalitionspartner nun in Wien doch irgendwie überraschend gut abgeschnitten hat, wirkt aus Sicht der ÖVP auf die Bundeskoalition jedenfalls stabilisierend. Eine Unsicherheit bleibt freilich – und die geht von Michael Ludwig aus.
Wie das? Entschließt sich der rote Bürgermeister gegen eine Koalition mit den Grünen, verlieren die Ökos eine Macht-Basis. Und das könnte dazu führen, dass man in der Koalition doch wieder mehr Kante zeigen will. Fürchten zumindest Strategen in der Bundes-ÖVP.
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