Ungenützte Technik: Wiener SPÖ will Raser nach Berliner Vorbild jagen
Der Türrahmen komplett verzogen, das Blech stark verbeult, alles voller Scherben. Dazwischen eingeklemmt eine blutende 48-jährige Frau. Das Bild, das sich Ersthelfern im September des Vorjahrs am Wiener Schottenring bot, war schockierend.
Die Autofahrerin musste aus dem Wrack geschnitten werden, wenig später erlag sie ihren Verletzungen.
Ebenso schockierend sind die Details zum Unfallhergang. Dem tödlichen Crash soll ein „Hatzerl“ vorausgegangen sein. Zeugen berichten von zwei Männern, die die Motoren ihrer PS-starken Sportwagen Hunderte Meter davor laut aufheulen ließen.
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Am Schottenring machten sie offenbar trotz Rotlicht nicht Halt. In diesem verheerenden Moment wollte die unbeteiligte 48-Jährige kreuzen. Ein 26-jähriger Mercedes-Fahrer krachte in ihr Auto.
Illegale Straßenrennen
Nach der Sichtung eines Videos sprach die Polizei sofort von einem illegalen Straßenrennen: „Es ist das ganze Rennen und der Unfall zu sehen“, sagte damals ein Sprecher.
Das zuständige Landesgericht Wien sah das anders und ging nicht von einem „verabredeten Rennen“ aus. Der Unfalllenker wurde rasch enthaftet. Das lag unter anderem an dem vergleichsweise geringen Strafausmaß bei fahrlässiger Tötung, das maximal drei Jahre beträgt.
Dass der Fall in der Wiener Roadrunner-Szene einen tragischen Höhepunkt darstellt, steht außer Frage. Gleichzeitig ist er aber kein Einzelfall. Straßenrennen nehmen seit Corona zu. Kurz vor Silvester verlor ein 25-Jähriger am Gürtel die Kontrolle über seinen nicht zugelassenen BMW, was einen Passanten das Leben kostete. Auch dieser junge Mann soll gerast sein.
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Die zuständige Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) hat den „Kampf gegen extreme Raser“ nun zu ihrer „politischen Mission“ gemacht: „Dafür ist in Wien kein Platz.“ Da die Bekämpfung dieser Straßenrennfahrer in Österreich aber noch „in den Kinderschuhen“ stecke, setzt sie auf internationale Expertise.
Im Rahmen einer Anti-Roadrunner-Enquete trafen sich am Donnerstag nationale und internationale Experten an der TU Wien. Vor allem von Berlin will sich Sima etwas abschauen.
Mordanklage
Dort kam es 2017 am Kurfürstendamm, einer beliebten Einkaufsstraße, zu einem ähnlichen Unfall, der einen Unbeteiligten das Leben kostete. Aus juristischer Sicht brachte der tödliche Zusammenstoß einiges ins Rollen.
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Erstmals erhob die Staatsanwaltschaft Mordanklage. Anders als bei einer fahrlässigen Tötung ging die Anklagebehörde davon aus, dass der Unfallverursacher den Tod eines Unbeteiligten billigend in Kauf nahm.
Zusätzlich wurde ein „Raser-Paragraf“ eingeführt. Bis dahin galten Straßenrennen lediglich als Ordnungswidrigkeit, ähnlich ist die Rechtslage auch in Österreich. Seit der Gesetzesänderung drohen für Straßenrennen in Deutschland bis zu zehn Jahre Haft.
„Blackbox“
Damit das Gesetz greift, kommen technische Hilfsmittel zum Einsatz, mit denen Unfallhergänge penibel rekonstruiert werden können. Laut Andreas Winkelmann von der Berliner Amtsanwaltschaft speichern moderne Fahrzeuge eine immense Datenmenge, auf die Hersteller in Haftungsfragen zurückgreifen.
Nach einiger Überzeugungsarbeit würden die meisten Autoproduzenten in Deutschland bei Ermittlungen die Daten mittlerweile herausrücken. „Davor waren wir auf Zeugenaussagen angewiesen, die gerade bei Geschwindigkeiten immer sehr subjektiv sind. Sachverständige haben zudem anhand des Wracks einiges abgeleitet. Mit digitalen Fahrzeugdaten können wir jetzt aber Rückschlüsse auf das vorkollisionäre Fahrverhalten sowie die Tätermotivation ziehen“, erklärt der Amtsanwalt.
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Von besonderer Bedeutung ist dabei der „Event Data Recorder“ (EDR), ein Speicher, der sich am ehesten mit der Blackbox eines Flugzeugs vergleichen lässt. Aus diesem lässt sich neben der Geschwindigkeit auslesen, wie tief das Gaspedal getreten wurde und ob bzw. wann gebremst wurde. „Wir können so herausfinden, ob der Lenker den Wagen ausreizen wollte“, sagt Winkler.
Sima fordert, dass Österreich dem deutschen Vorbild folgt und diese Daten künftig ebenfalls ausliest. Bisher passiere das nicht, gerade bei Fällen wie der getöteten Lenkerin am Schottenring vergangenen September hätte man so Klarheit schaffen können.
Weiters will die Stadt Wien einen „Raserparagrafen“, wonach die Teilnahme an illegalen Rennen bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe nach sich zieht.
Männlich, jung, „deppert“
Winkler zufolge sind 97 Prozent aller Raser männlich. Der Großteil davon zwischen 18 und 30 Jahren. Es handle sich um Männer aus allen Schichten, wobei das Phänomen, dass sich jemand einen Wagen mit 500 und mehr PS nur für einen Tag mietet, um diesen dann „auszureizen“, nicht selten sei.
„Dem Elend ist dann Tür und Tor geöffnet. Das ist eine Mischung aus Geltungssucht und Prahlerei, die nicht nur grenzenlos gefährlich, sondern auf Wienerisch einfach deppert ist“, findet der Berliner Jurist deutliche Worte.
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Im Zusammenhang mit diesen ego-getriebenen Rasern hat Sima ebenfalls Forderungen formuliert. Die gehen bis zur Beschlagnahmung von Fahrzeugen in Extremfällen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt im Nationalrat auf.
Im Zusammenhang mit diesen ego-getriebenen Rasern hat Sima ebenfalls Forderungen formuliert. Diese gehen von der verpflichtenden Installation von Geschwindigkeitsbegrenzern in den Autos auf Kosten der Fahrer bis hin zur umstrittenen Beschlagnahmung von Raser-Fahrzeugen.
Roadrunner als Politikum
Ganz neu sind diese Forderungen nicht. SPÖ, ÖVP und FPÖ sind sich in Wien schon länger einig, dass etwas gegen illegale Straßenrennen getan werden muss. Nicht aber darüber, wer verantwortlich ist. Speziell am Kahlenberg in Döbling, in der Filmteichstraße in Favoriten, in Teilen der Donaustadt und auf der Triesterstraße sorgen die "Hobby-Rennfahrer" für Lärm und unsichere Straßen.
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Ganz neu sind die Forderungen nicht. SPÖ, ÖVP und FPÖ sind sich in Wien einig, dass etwas gegen illegale Straßenrennen getan werden muss – nicht aber, wer verantwortlich ist. Die Stadt sieht Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) in der Verantwortung, dort wird auf Verkehrsstadträtin Sima verwiesen. Die FPÖ kritisiert, dass die Parteien einander den „Schwarzen Peter“ zuschieben.
"Straßenrennen als Verbrechen"
Unabhängig von diesem Politstreit möchte die Wiener SPÖ jetzt auf Aufklärung setzen. Unter dem Titel "Wer ein Straßenrennen plant, plant ein Verbrechen" startet die Stadt eine Informationsoffensive. Unterschiedliche Filmspots sollen unter anderem in Kinos ausgestrahlt werden. Neben den tödlichen Folgen der Raserei wird auch auf eine potenzielle Gefängnisstrafe hingewiesen.
Kampagne gegen Rennen
Sima dazu: "Wer Unschuldige gefährdet oder gar tötet, muss mit Gefängnis rechnen. Wir wollen die Menschen aufrütteln und vermitteln, dass Extremrasen und Straßenrennen keine Kavaliersdelikte sind, sondern Leben zerstören".
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