Schicksalsschläge 2020: „Das war das schlechteste Jahr überhaupt“
Der Wiener Norbert Ceipek ist froh, das Jahr 2020 überhaupt überlebt zu haben. Sein Leben stand auf Messers Schneide. Sein Umfeld befürchtete bereits das Allerschlimmste. Der Auslandsösterreicher hatte einen schweren Corona-Verlauf.
Anton Schöffmann musste, wegen der Folgen von Corona, mit seinem Lokal in Wien Insolvenz anmelden. Schlimmer kann es nicht mehr werden, meint der Gastronom. Er hofft noch auf eine Sanierung.
Martin W. hat seine Freundin heuer auf besonders tragische Art und Weise verloren. Sie wurde ermordet, er musste vor Gericht dem vermutlichen Mörder gegenübertreten. Dieser wurde anschließend – in erster Instanz – zu lebenslanger Haft verurteilt.
Wenn Sie also der Meinung sind, das abgelaufene Jahr war schlimm, dann lesen Sie hier von drei Menschen, denen es noch weitaus schlimmer ergangen ist als den meisten Österreichern. Menschen, die das vergangene Jahr am liebsten für immer aus ihrem Kopf streichen würden – wenn sie es nur irgendwie könnten.
"Ich bin froh, dass ich überlebt habe"
Norbert Ceipek ist keiner, der jammert. Aber jetzt sagt selbst er: „Es hat mich schwer erwischt. Ich bin froh, dass ich überlebt habe.“
Ceipek hat sich im November mit Corona infiziert. Er hat sich nach schweren Wochen wieder erholt. Dennoch: Das Virus hat sein Herz angegriffen, das Pumpvolumen ist auf 15 Prozent hinunter gegangen, er muss regelmäßig ins Krankenhaus.
Ceipek hat viel gesehen, viel erlebt. Bis vor wenigen Jahren leitete er die „Drehscheibe“ in Wien und kümmerte sich um Kinder und Jugendliche, die zum Stehlen und zur Prostitution nach Wien gebracht worden waren. Nach seiner Pensionierung eröffnete er ein Betreuungszentrum für Opfer der Zwangsprostitution in Bulgarien.
Dort hat er sich schließlich auch mit dem Virus angesteckt. Starkes Fieber, Atemnot, Beklemmungen im Brustbereich – Ceipek erwischte es schwer.
In der Zeit von 11. bis 16. November erinnere ich mich an fast gar nichts mehr“, sagt er. Er habe schwere Aussetzer gehabt. Bei Telefonaten mit seinen Söhnen habe er sich nicht an den Satz zuvor erinnern können.
Sie dachten, ich habe einen Schlaganfall. Sie hatten fürchterliche Angst
Zehn Tage lang habe er mit Hilfe seiner Frau gegen das Virus gekämpft. Ein befreundeter Arzt riet ihm davon ab, ins Krankenhaus zu gehen. „In den guten Spitälern waren keine Plätze mehr frei.“
Nach endlosen Tagen des Bangens ging es endlich wieder bergauf. Doch noch immer leidet er unter Husten. „Und ich werde wahnsinnig schnell müde. Wenn ich zwei Stockwerke gehe, könnte ich schlafen gehen. Ich bekomme keine Luft mehr.“
Seine Warnung: „Corona ist nicht mit einer Grippe zu vergleichen“, sagt er. „Das will ich nie wieder haben. Da kannst einen Patschen reißen und kriegst es nicht einmal mit.“
Wenn er von Coronademos und -leugnern hört, dann packt ihn die Wut. „Die gehören zum Mond geschossen. Die sollen erst einmal spüren, was da los ist.“
Ceipek hat nach der Erkrankung eines für sich beschlossen: Er geht jetzt tatsächlich in Pension, gibt die Leitung seines Heimes in Bulgarien in andere Hände. „Ich will meine Pension noch ein bissl genießen und ein Buch schreiben. Stoff habe ich genug – ich habe zu viel erlebt.“
"Schlimmer kann es nicht mehr werden"
Man hat in Desinfektionsmittel investiert, die Mitarbeiter geschult, die Tische umgestellt und durfte dann doch nur wenige Monate offen haben. Für die Gastronomie war das Jahr 2020 kein leichtes, für die Nachtgastronomie wegen früher Sperrstunden, Abstandsregeln und Veranstaltungsverboten schon gar nicht. Für so manches Szene-Lokal könnte das Corona-Jahr das letzte gewesen sein.
„Ich befinde mich wegen Corona in einem Sanierungsverfahren“, erzählt etwa Anton Schöffmann. Der 39-Jährige betreibt seit 2007 das Kult-Lokal Weberknecht am Wiener Lerchenfelder Gürtel. 2020 sei „das schlechteste Jahr überhaupt“ gewesen.
Miete und Löhne für Mitarbeiter trotz Umsatzeinbußen und Lockdowns führten sein Lokal in die Insolvenz. Er konnte seine Schulden nicht mehr tilgen. Auch eine Spendenaktion der Stammgäste konnte ihn nicht retten.
„Selbst wenn wir offen hatten, sind viele nicht gekommen“, sagt Schöffmann. Einige hätten Angst gehabt vor einer Ansteckung, andere seien wegen der frühen Sperrstunden, der fehlenden Veranstaltungen oder den strengen Polizeikontrollen ausgeblieben, meint er. Zudem sei er wegen Unstimmigkeiten mit dem Finanzamt erst spät an Corona-Hilfen gekommen.
Seit 16. März habe ich kein Privatleben mehr, ich habe meine Familie zweimal gesehen, war ständig nur am Geldauftreiben und in Gesprächen mit Anwälten und Buchhaltern
Er rechnet auch nicht damit, dass sich seine Situation bald bessert: Mit den gewohnt späten Sperrstunden und mit Konzerten rechnet er erst wieder Ende 2021.
"Ich bin gespannt, wen es bis dahin in der Nachtgastronomie noch gibt“, sagt er. Viele Freunde aus dem Kulturbereich wie Musiker, DJs oder Kabarettisten hätten bereits umgesattelt. Ohne Förderungen in diesem Bereich werde es jedenfalls nicht gehen, ist sich Schöffmann sicher.
Aufgeben ist für ihn aber dennoch keine Option. „Es muss weiter gehen“, sagt er. Sein Lokal ist zur Zeit eine Baustelle. Wände werden gestrichen und kleine Reparaturen vorgenommen. Im Frühjahr will er wieder Streaming-Konzerte organisieren. Das Motto für das kommende Jahr: „Schlimmer kann es nicht mehr werden“. So viel Personal wie vor Corona wird er aber nicht mehr beschäftigen können.
"Alles gut" - das waren ihre letzten Worte
Martin W. kann nicht mehr.
Er hat 50 Kilo abgenommen. Zuletzt war er wegen eines Nierenversagens wochenlang im Krankenhaus. Doch schlimmer ist es für ihn, wenn er allein zu Hause ist.
Das erste Mal seit Jahren hat er heuer Weihnachten ohne seine Freundin Birgit H. verbracht. Die 28-jährige Wienerin wurde im Jänner in ihrer Wohnung erwürgt. Am 9. Oktober wurde deshalb der 38-jährige Leopold W. zu lebenslanger Haft (nicht rechtskräftig) verurteilt.
Ich würde das Jahr 2020 am liebsten für immer aus meinem Kopf streichen
„Es war das Schlimmste, was ich je erlebt habe", sagt Martin W. Er würde alles tun, um das Geschehene ungeschehen zu machen, meint er im Gespräch mit dem KURIER.
Martin W. versucht, die Erinnerungen wegzudrängen. Doch das geht nicht. „Wenn mich Facebook an ein Bild von damals erinnert – das ist die Hölle für mich. Ich zwinge mich, nicht hinzuschauen, aber das geht nicht.“
Das letzte Mal sah er Birgit H. am 22. Jänner um 21.30 Uhr. Da setzte er sie bei ihrer Wohnung in der Arndgasse in Floridsdorf ab.
„Alles gut“, schrieb sie ihm später noch. Die verletzenden Nachrichten, die er Stunden später von ihrem Handy bekam, schrieb nicht mehr sie selbst. Birgit H. war bereits tot. Sie war noch mit Leopold W. in eine Shisha-Bar gegangen. Danach wurde sie in der Wohnung ermordet. Leopold W. wurde nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei der Gerichtsverhandlung sagte Martin W. als Zeuge aus.
Es fiel ihm nicht leicht. „Weil ich das alles noch einmal durchlebt habe. Weil ich seine falschen Behauptungen gehört habe.“
Die teils intimen Fragen waren unangenehm. „Aber ich habe gesehen, dass es auch ihm (gemeint ist Leopold W., Anm.) unangenehm war. Und ich war erleichtert, zu wissen, dass er im Gefängnis sitzt.“
Martin W. will seine Freundin als fröhlichen Menschen in Erinnerung behalten. Offen und ehrlich. Mit einem besonders großen Herz für Tiere. Er versucht, nach vorne zu schauen.
„Ich muss aufhören nachzudenken. Ich muss auf meine Gesundheit aufpassen“, beteuert er.
Kommentare