Ein Zug nach Nirgendwo: Die Leiden des Westbahnhofs

Weniger Verkehr: Hier fahren nur noch Fernzüge der Westbahn
Seit Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs 2015 fahren hier keine ÖBB-Fernzüge mehr. Das ist auch für die Händler ein Problem. Große Hoffnung setzt man nun in den City-Ikea.

Ein Bahnhof ist immer die Visitenkarte einer Stadt. Er ist der erste Ort, den ein Fremder erblickt, wenn er ankommt – und der letzte, den er bei der Abfahrt sieht. Zumindest war das früher so.

„So viele Besucher wie vor der Eröffnung des Hauptbahnhofs gibt es hier nicht mehr“, sagt der 26-jährige Stefan, der im 16. Bezirk wohnt. Am Westbahnhof holt er sich meistens eine Kleinigkeit zu Essen. Mehr nicht.

Früher galt der Westbahnhof als einer der modernsten Bahnhöfe Europas. Im Jahr 1951 wurde er als Nachkriegsbau von den Architekten Robert Hartinger und Sepp Wöhnhar geschaffen. Als Vorbild galt etwa der Bahnhof Termini in Rom. Der Bahnhof ist noch heute lichtdurchflutet und  die hohe Halle mit poliertem Granit bietet im ersten Stock einen Blick auf  die Lazaristenkirche.

Bahnhof der Kaiserin

Lange davor hieß der Westbahnhof Kaiserin-Elisabeth-Bahnhof, dort fuhr 1858 die k.k. privilegierte Kaiserin-Elisabeth-Bahn. Daran erinnert heute noch eine Statue im Untergeschoß des Bahnhofes.

Im Jahr 2002 wurde der Bahnhof modernisiert und umgebaut. Die denkmalgeschützte Halle musste erhalten bleiben. Aber rundherum wurde die Halle um ein Hotel, Anbauten und um 90 Geschäfte erweitert. 2011 wurde schließlich das Einkaufscenter Bahnhof City eröffnet. 

Ein Zug nach Nirgendwo: Die Leiden des Westbahnhofs

Aber was passierte dann?

Nur vier Jahre später eröffneten die ÖBB den neuen Hauptbahnhof. Und plötzlich verlor der Westbahnhof an Bedeutung. Für die ÖBB geriet er aus dem Fokus.

Das bestätigt auch Bezirksvorsteher Gerhard Zatlokal (SPÖ): „Die ÖBB haben ihn zu einer besseren Endstation einer Straßenbahn degradiert.“

Er ist tatsächlich ein Endbahnhof. Das heißt, dass die Züge dort nicht durchfahren können. So verlieren die Züge Zeit – und es können nicht so viele gleichzeitig ankommen und wegfahren. Daher investierten die Stadt und die ÖBB in den Hauptbahnhof. 

Ein Zug nach Nirgendwo: Die Leiden des Westbahnhofs

Seit der Vollinbetriebnahme des neuen Hauptbahnhofs fahren also alle ÖBB-Fernverkehrszüge den Hauptbahnhof an. Selbst wenn man also hier abfahren wollte – am Westbahnhof fahren nur noch Fernzüge der Westbahn. „Es war schon ein Erfolg, dass die Bahn zumindest bis Amstetten fährt“, sagt der Bezirksvorsteher.

Laut ÖBB gibt es an starken Einkaufstagen bis zu 40.000 Besucher  in den Shops am Westbahnhof. Ein Eindruck, der sich beim  Lokalaugenschein nicht bestätigt.

Ikea als Belebung

Am Hauptbahnhof sind es laut ÖBB hingegen 140.000 Besucher am Tag. Für Alexander Biach, Standortanwalt in der Wiener Wirtschaftskammer, kommt es nicht nur auf die Masse an.

Das Einkaufszentrum am Hauptbahnhof werfe sicherlich mehr ab als der Westbahnhof, aber: Eine um 100.000 Leute höhere Frequenz, die sich aus dem Zugangebot ergibt, bedeute nicht, dass auch 100.000 Leute mehr einkaufen. „Ein Ikea bringt mehr, als wenn ich viele Züge durchfahren lasse“, so Biach. „Er wird diesen Knotenpunkt beleben.“

Und mehr noch: Der Standortanwalt sieht auch positive Effekte für die Bahn: „Es werden sich sicher Leute in den Zug setzen und den Ikea anschauen. Das bringt der Region Umsatz.“ Laut einer Frequenzzählung der Wirtschaftskammer vom Juni, die dem KURIER vorliegt, sind beim Abgang zur U-Bahn an der Ecke zum City-Ikea an einem durchschnittlichen Samstag 5.900 Personen unterwegs, an einem Donnerstag sogar 8.400.

Biach geht davon aus, dass diese Zahlen durch das neue Möbelhaus steigen werden.

Ein Zug nach Nirgendwo: Die Leiden des Westbahnhofs

Der City-Ikea ist für ihn die „logische Fortsetzung“ der Bahnhofoffensive, die in 2000ern von ÖBB und Bundesregierung gestartet wurde. Im Zuge dieser wurden mehrere große Bahnhöfe modernisiert und mit Einkaufszentren aufgefettet, um für die Bundesbahnen eine zusätzliche Einnahmequelle zu lukrieren. „Das war eine Trendwende“, sagt Biach.

Eine solche Trendwende könnte der City-Ikea auch für das Grätzel um den Bahnhof – konkret für die Äußere Mariahilfer Straße – sein. Im Unterschied zum Hauptbahnhof, wo rundherum neue Stadtviertel und Wohnquartiere gebaut werden, tut sich beim Westbahnhof nämlich eher weniger. 

Impuls für das Viertel

Auch wenn in den letzten Jahren viel vonseiten des Bezirks (siehe Interview) versucht wird – Gürtelpool und Westbahnpark – so fehlen oft die finanziellen Mittel dafür. Biach sieht den City-Ikea jedenfalls als Impulsgeber für das Grätzel: „Es können ja nicht alle Fleischbällchen essen“, sagt Biach.

Mit Cafés oder anderen Lokalen in der Nähe könnte man für die vom Ikea angelockte Kundschaft zusätzliche Angebote schaffen.

Der Stadt-Ikea scheint also ein Lichtblick am düsteren Horizont des Bahnhofs zu sein – auch für die Geschäftsleute dort. „Der Ikea wird den Geschäften hier sicher guttun“, sagt eine Passantin. Sie macht am Westbahnhof regelmäßig Einkäufe mit ihrem Sohn.  

Genaue Details zu den rund 90 Shops auf 18.450 Quadratmetern – etwa, wie hoch die Mieten sind – wollen die ÖBB übrigens nicht verraten. Auch Zahlen zu Leerständen und Umsätzen sind nicht bekannt.

In den Jahren 2012 und 2013 gewann der Westbahnhof übrigens die vom Verkehrsclub Österreich ausgetragene Wahl zum schönsten Bahnhof Österreichs. Seit 2017 gewinnt jedoch jährlich der Hauptbahnhof den Preis. Ob der neue Ikea dem Westbahnhof zu mehr Ruhm verhelfen wird? Das wird sich weisen.

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