Innere Stadt: Die City und das Auto – eine Hassliebe

Innere Stadt: Die City und das Auto – eine Hassliebe
Der Beziehungsstatus des Zentrums und des Autoverkehrs ist kompliziert – und zwar nicht erst seit dem grünen Begehr nach einem flächendeckenden Fahrverbot. Eine Aufarbeitung.

Birgit Hebein hat dick aufgetragen: „Die Innenstadt gehört den Menschen und nicht den Motoren“, sagte sie am 17. Juni vor versammelter Presse. Vier Tage davor war durchgesickert, dass die grüne Vizebürgermeisterin fast im ganzen 1. Bezirk ein Fahrverbot (mit vielen Ausnahmen) plant.

Gemeinsam mit Bezirkschef Markus Figl (ÖVP) verkündete Hebein das Vorhaben dann offiziell. Das sei ein „historischer Augenblick“, sprach sie in die Mikrofone.

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Hebein und Figl bei der Präsentation ihres Fahrverbotsplans. 

So manchen Wiener mag das an den November 1971 erinnert haben. Damals waren die Erwartungen nicht minder hoch: Der KURIER schrieb gar von einem „neuen City-Gefühl“.

Der Anlass war der sogenannte Weihnachtskorso: der Graben, der Stephansplatz und ein paar umliegende Gassen wurden für mehrere Wochen provisorisch zur Fußgängerzone erklärt – mit dem Ziel, Platz für die Einkaufenden zu schaffen.

Und nicht nur das: „Bei der Fußgängerzone handelt es sich um einen historischen Bereich der Innenstadt; um ihn wieder ins Bewusstsein der vom Straßenverkehr nun nicht mehr abgelenkten Bevölkerung zu rufen, werden die Konturen und Fassaden ab der Dämmerung mit Scheinwerfern angestrahlt“, war in dem Artikel zu lesen.

Freiheitsversprechen

Was die zwei Projekte eint: Sie zielen darauf ab, Autos sukzessive aus dem Zentrum zu verdrängen – und Straßen nicht nur als Verkehrsflächen zu betrachten.

Beide knabbern damit an einem Bild von Innenstädten, das fest in den Köpfen verankert ist: jenem vom lauten, geschäftigen Stadtkern, dem der Autoverkehr erst seinen Charakter verleiht.

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Heute ist der Graben autofrei. 

Was dieses Bild so wirkmächtig macht? Das Wohlstands- und Freiheitsversprechen, das für viele nach wie vor mit einem eigenen Pkw verknüpft ist (aber zusehends erodiert). Und zu dem auch gehört, überall hinfahren zu können. Auch auf den Graben.

Angebote für Autofahrer

Für Anhänger dieser Sichtweise werden im 1. Bezirk nach wie vor Angebote geschaffen: etwa die Garage am Neuen Markt. Bis 2022 werden dort 360 unterirdische Parkplätze gebaut.

Wer für Verkehrsberuhigung ist, wird sich übrigens über die Pläne für die Oberfläche freuen: Der Neue Markt wird künftig eine Fußgängerzone sein.

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So soll der Neue Markt künftig aussehen. 

Für Autolenker bleibt nur ein Fahrstreifen vom Albertinaplatz bis zur Plankengasse. Dort dürfen sie allerdings nur 20 km/h fahren und müssen auf Fußgänger Rücksicht nehmen. Denn die Spur wird eine Begegnungszone.

Erfolgsmodell

Trotz der großen Gemeinsamkeit bleibt auch ein eklatanter Unterschied zwischen dem Weihnachtskorso und Hebeins Fahrverbot: die Umsetzung.

Die Fußgängerzone am Graben und in ihrer Umgebung wurde letztlich zur Dauereinrichtung. Im Jahr 1989 wurde sie sogar erweitert – zum Beispiel in die Naglergasse und auf den Kohlmarkt. 1973 wurde schließlich auch beim Künstlerhaus eine Fußgängerzone eingerichtet.

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Der Graben um 1964 und 2020. 

All diese autofreien Zonen bewährten sich. Und das animierte die Stadtverwaltung, noch mehr davon zu verordnen: zum Beispiel am Minoritenplatz und am Lugeck.

In der jüngeren Vergangenheit kamen noch mehrere Begegnungszonen hinzu. Im Jahr 2016 jene in der Herrengasse, dann in der Führichgasse, in der Maysedergasse und in der Rotenturmstraße.

Bald schon könnte es eine weitere geben: Für den Michaelerplatz ist ebenfalls eine Begegnungszone im Gespräch.

Aufgeschoben

Und Hebeins Fahrverbot? Das das liegt erst einmal auf Eis. Das Vorhaben wäre laut den Juristen in der Rechtsabteilung des Rathauses nämlich verfassungswidrig. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat das Projekt deshalb vor Kurzem blockiert.

Er sei zwar für Verkehrsberuhigung in der ganzen Stadt, betont Ludwig. Notwendig sei aber ein Konzept, das auch die angrenzenden Bezirke berücksichtige und auf einer „tragfähigen Mehrheit“ basiere. Wie dieses Konzept konkret aussehen soll, ließ Ludwig allerdings offen.

Die Erwartungen sind also wieder einmal hoch. Und nun ist es am Bürgermeister, sie zu erfüllen. Ob er das kann, wird sich nach dem 11. Oktober zeigen.

Gründung

Im Jahr 1850 wird die Innere Stadt durch die Eingemeindung der Vorstädte ein Bezirk. Bis dahin hatte das Wiener Stadtgebiet lediglich aus der City bestanden. 1865 wird ein Teil des Rings eröffnet. Banken, öffentliche Institutionen und Kulturstätten siedeln sich an  – ein florierendes Zentrum entsteht

Wohn- und Arbeitsbezirk

Seinen Höchststand an Bewohnern von 73.000 Personen verzeichnete der 1. Bezirk um 1880.  Seither ging die Bewohnerzahl zurück –  aktuell leben noch 16.000 Menschen  in der Inneren Stadt.  Ein Vielfaches an Menschen kommt ins Wiener Zentrum, um ihrem  Job nachzugehen:  Es ist Arbeitsstätte für 150.000 Personen

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