Autofreie Wiener City: Auf dem Weg zum Freilichtmuseum?

Noch ist die Innere Stadt oft zugeparkt – das soll sich bald ändern: Mit Beschränkungen für alle, die hier nicht wohnen.
Wiens Innere Stadt wäre gerne ein ganz normaler Bezirk – das ist sie aber nicht. Sie ist Einkaufsmeile, historisches Zentrum, Immobilienentwicklungsgebiet. Und sie ist heftig umstritten

Als Vizebürgermeisterin Birgit Hebein nach der Einigung mit Bezirksvorsteher Markus Figl für das obligatorische Politiker-Foto auf die Fahrbahn tritt, verlässt Sabine Leschke gerade das Zuckerlgeschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie war einkaufen. Genutzt hat sie dafür ihr Auto, sie hat es in einer Garage geparkt. Und das soll auch in Zukunft so bleiben, sagt sie.

Wird es auch. Die Zufahrt zu Garagen ist eine von insgesamt 27 Ausnahmen vom geplanten Fahrverbot. Auch Öffis, Anrainer und Taxis dürfen einfahren.

Die grün-türkise Einigung auf eine „autofreie Innenstadt“ (wie Hebein sie trotzdem nennt), erregt seit einer Woche die Gemüter. Nicht zuletzt, weil das Konzept eine ganz andere (alte) Frage aufgeworfen hat: Wem gehört die Innenstadt? Den Anrainern? Den Geschäften? Den Immobilienentwicklern? Den Touristen? Allen anderen, die in Wien leben? – Was will sie sein?

Innere Stadt scheint sich da noch nicht so sicher zu sein. Allein vom Weg aus der Wollzeile zur Kärntner Straße finden sich drei verschiedene Verkehrskonzepte. Die Wollzeile ist eine normale (wenn man es so nennen will) Straße. Die Autos dort fahren vorbei an Gastgärten zum Ring.

Die Rotenturmstraße ist eine Begegnungszone. Die Straße ist schmal, die Gehsteige sind breit. Autos dürfen maximal 20 km/h fahren. Es gibt genug Platz zum Gehen und auch zum Sitzen. Die Kärntner Straße ist eine Fußgängerzone. Autos sind dort verboten. Auch dort ist Platz zum Gehen, aber vor allem zum Einkaufen.

An diesen drei Straßenzügen zeigt sich ganz gut, dass es ein Gwirks ist, mit der Inneren Stadt. Denn sie ist nicht nur ein Bezirk wie jeder andere in Wien. Auch wenn sie das gerne wäre. 1010 ist Wohnort und Partymeile. Sie ist das historische Innerste Wiens. Sie ist Arbeitsstätte für 150.000 Menschen, Shoppingzentrum und Immobilienentwicklungsgebiet. Und manchmal hat man das Gefühl, sie gehört den Reichen und Schönen.

Hohe Preise

Rund 16.000 Menschen leben noch in der Inneren Stadt, unter anderem in sechs Gemeindebauten. Das hat auch mit dem Preisniveau zu tun. Meinl am Graben, Billa Corso. „Und der Merkur ist auch so überkandidelt“, sagen zwei Frauen, die „in die Stadt“ gefahren sind. „In die Stadt – allein, dass wir das sagen, obwohl wir auch in dieser Stadt leben!“ Sie treffen einander in einem Schanigarten auf dem Stephansplatz – seit Langem einmal wieder. Mit Corona habe das nichts zu tun, erzählen sie. Sie hatten schlicht keinen Grund, in die Stadt zu fahren. In den Bezirken, in denen sie wohnen (Hietzing, Ottakring) haben sie alles, was sie brauchen.

Freunde, die in der Stadt leben, jammern seit Jahren, erzählen sie. Wer nicht im Gemeindebau oder in einer Mietwohnung mit Friedenszins lebt, könne sich das eh nicht mehr leisten. „Die Innere Stadt wird ein Freilichtmuseum werden. Wer jetzt noch hier lebt, stirbt irgendwann, und allzu viele werden nicht nachkommen." Nicht, dass das schlimm wäre, es wäre dann einfach so. Wie in vielen anderen Städten Europas hätte Wien dann ein Verwaltungszentrum. Leben würden die Menschen anderswo.„Wenn man will, dass der erste Bezirk lebt, muss man die Leute hereinholen und die Stadt“, sagen sie. „Nicht sagen: Bleibt’s draußen, geht’s woanders einkaufen.“

Themenbild: Einzelhandel in der Wiener Innenstadt

Die Angst, dass bald niemand mehr einkaufen kommen könnte, haben auch die Horwaths. Franz (76) und Lieselotte (75) schupfen das Spielwarengeschäft der Tochter, die Spielzeugschachtel in der Rauhensteingasse. Das Geschäft ist riesig, es gibt (vermutlich) nichts, das man dort nicht kaufen kann. Bücher, Puppen, Holzspielzeug, Spiele. Aber: Es ist ein bissl teurer als Amazon. Für eine Puppe 5 Euro mehr zahlen als online, das will man auch im ersten Bezirk nicht. Die Horwaths sind keine Auto-Verfechter. Sie fahren mit der Bim in die Stadt und mit

dem Zug in den Urlaub. Aber manchmal bräuchten die Leute halt das Auto und das müsse auch in Ordnung sein: „Bei uns kaufen die Leute auch große, schwere Sachen“, sagen sie. Eine Puppenküche. Oder ein Kasperltheater. „Wenn man das nicht mehr im Auto heimtransportieren darf, wird keiner mehr kommen“, fürchten sie.

Und wenn alle – außer die Bewohner – draußen bleiben müssen, dann gehe auch niemand mehr ins Theater und auch nicht danach essen oder auf ein Glas Wein. „Dann gehört die Stadt bald nur noch den Touristen.“

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