Bei den Wiener Grünen läuft es nicht rund: Vom Zittern und Zaudern
Wenn es um Innovationen für die Partei geht, dann schielen die Wiener Grünen nicht auf ihren heimischen Kollegen im Bund. Sondern nach Deutschland. Auf Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Die beiden führen seit 2018 als Duo das Bündnis 90/Die Grünen – und zwar äußerst erfolgreich: In den Umfragen schneidet ihre Partei derart gut ab, dass CDU und CSU sowie SPD zittern müssen.
Eine derartige Doppelspitze will man jetzt auch in der Wiener Landesorganisation installieren. Einer äußerst wichtigen – aber derzeit äußerst orientierungslosen Landesorganisation: Mehr als ein halbes Jahr nach dem Ende der Rathauskoalition mit der SPÖ wissen die Grünen noch immer nicht, wohin die Reise gehen soll.
Das fängt bei der Frage an, wer sie führen soll. (Endet aber nicht damit.)
Mit einer starken Parteispitze tun sich die machtskeptischen Wiener Grünen besonders schwer: Jahrelang hat es den Posten des Parteichefs offiziell nicht einmal gegeben. 2019 wurde die Funktion schließlich geschaffen und mit Birgit Hebein besetzt.
Zwei Jahre später disponiert man um: Auf der Landesversammlung am 19. Juni werden die Mitglieder im Statut die Möglichkeit verankern, den Parteivorsitz zu splitten. Gewählt werden die neuen Chefs im Herbst.
Ungleiches Duo
Sein werden das aller Voraussicht nach Peter Kraus und Judith Pühringer, ihres Zeichens nicht amtsführende Stadträte.
Der 34-jährige Kraus war zuvor Planungssprecher und will die Grünen seit Maria Vassilakous Rückzug übernehmen.
Pühringer, 45 Jahre alt, stieg kurz vor der Wien-Wahl ein – und erarbeitete sich ein beachtliches Standing: Sie wird als Arbeitsmarktexpertin geschätzt und gilt als Verbindungsfrau in die Bundespartei.
Die Idee der Doppelspitze kommt in grünen Parteikreisen an: Kraus und Pühringer würden unterschiedliche Themen – Klimaschutz- und Sozialpolitik, die auch Hebein zu ihren Steckenpferden erklärt hatte – verkörpern.
Nun soll jeder dieser Bereiche ein Gesicht bekommen, um besser zur jeweiligen Zielgruppe durchzudringen. „Gerade jetzt“ sei das wichtig, heißt es.
Damit ist gemeint: Zur Oppositionspartei degradiert, will man sich nun breiter aufstellen.
Zuspitzung nötig
Angenehmer Nebeneffekt der Doppelspitze: Sie erspart den Grünen, die nach dem erbitterten Kampf um Vassilakous Erbe intern nie richtig zur Ruhe gekommen sind, weitere Streitereien auf offener Bühne – vorerst.
Klubchef David Ellensohn hat seine Ambitionen auf den Chefposten bekanntlich aufgegeben. Und anstatt sich zu duellieren, teilen sich Pühringer und Kraus die Macht ganz einfach.
Die Frage ist jedoch, für wie lange. Spätestens wenn die nächste Wahl ansteht, wird es eine Zuspitzung auf eine Person brauchen. Dass es dann ungemütlich wird, lehrt das Beispiel Deutschland.
Die Schlacht könnte also einfach nur vertagt sein. Das ist mit ein Grund, warum so manche Funktionäre lieber gleich eine Entscheidung für Kraus oder Pühringer sehen würden.
Problem verschleppt
Und: Dass die Parteispitze erst im Herbst besetzt wird (und nicht wie geplant im Juni), prolongiert ein großes Problem der Wiener Grünen: ihre gegenwärtige Farb- und Orientierungslosigkeit.
Welche Ziele die Grünen als Oppositionspartei verfolgen, das ist selbst Spitzenfunktionären ein Rätsel. So sanft, wie die Grünen die Stadtregierung mitunter anfassen, kommen sie wie ein „Schattenkoalitionspartner“ daher.
Dieser Habitus hat zwei Gründe: Erstens wurden viele der Projekte, die Rot-Pink jetzt ins Ziel bringt, noch unter Rot-Grün beschlossen. Dagegen zu wettern, wäre unglaubwürdig.
Zweitens ist das Verhalten auch Strategie: Immerhin hat man schon einmal mit der SPÖ auf Projektbasis zusammengearbeitet – das war das Vorspiel für Rot-Grün. Offenbar will man sich als konstruktiver Partner anbieten, um sich die Regierungsbank warm zu halten.
Das Profil leidet darunter. Und das leugnet man nicht einmal: „Alle wissen, dass es mehr Zug zum Tor brauchen wird“, sagt ein Gemeinderat hinter vorgehaltener Hand. Die Latte, an der Kraus und Pühringer gemessen werden, steht damit fest.
Antrag verhindert
Und auf sie wartet noch eine Baustelle: Fast noch schwerer als mit der Oppositionsrolle tun sich die als besonders links und kritisch geltenden Wiener Grünen damit, eine Haltung zur Koalition mit der ÖVP im Bund zu entwickeln.
Und so machte dieser Tage in der Partei die Erzählung die Runde, dass Wiener Funktionäre einen pikanten Antrag für den grünen Bundeskongress vorbereiten wollten: Sie wollten auf der Versammlung in zwei Wochen den Beschluss erwirken, dass Regierungsmitglieder zurücktreten müssen, wenn gegen sie Anklage erhoben wird – und die Grünen andernfalls aus der Koalition austreten.
Eine klare (und lange erwartete) Kampfansage an die ÖVP. Der Antrag konnte, heißt es in der Partei, gerade noch verhindert werden.
Das Zaudern geht auch an dieser Front weiter.
Kommentare