Wiens grüner Stadtrat Kraus: "Lasse mich nicht aufhalten"
Ob ihm Maria Vassilakou bereits zu seinem neuen Posten gratuliert hat, das will Peter Kraus, seit exakt zwei Wochen nicht amtsführender Stadtrat der Grünen, nicht verraten. „Wir sind im laufenden Austausch“, sagt der politische Ziehsohn der früheren Vizebürgermeisterin im Gespräch mit dem KURIER.
Etwas auskunftsfreudiger ist Kraus, wenn es um Glückwünsche von Birgit Hebein geht. „Natürlich“ habe ihm die Parteichefin gratuliert, so Kraus. So selbstverständlich ist das aber nicht. Denn Kraus hat sich jenes Amt geschnappt, das Hebein eigentlich für sich beansprucht hatte.
KURIER: Zum Stadtrat hat es für sie gereicht, aber nicht zum amtsführenden. Eine Erklärung, die die Grünen zum Rauswurf aus der Koalition bringen, ist: Michael Ludwig habe sich mit den Neos den kleinstmöglichen Partner gesucht. Das scheint aber nicht ganze Wahrheit zu sein: Wie hoch war der Anteil von Birgit Hebein daran?
Peter Kraus: Es gibt nicht den einen Grund, warum es Rot-Grün nicht mehr gibt. Aber es gibt eine Entscheidung: Die der SPÖ, lieber mit den Neos zu koalieren, als mit den Grünen. Und es ist bis zu einem gewissen Grad auch vergossene Milch, das jetzt sehr lange zu analysieren.
Birgit Hebein hat das Amt der Vizebürgermeisterin gerade im Wahlkampf relativ konfrontativ angelegt. War das zu viel für eine weitere Zusammenarbeit?
Das glaube ich nicht. Am Ende hat die SPÖ entschieden, mit wem sie regieren will. Die Grünen sind gestärkt aus dieser Wahl herausgegangen. Und vielleicht lag es wirklich daran, dass die Neos im Verhältnis die billigeren Partner waren.
Wenn all dem so ist – es eine Entscheidung der SPÖ war und die Grünen gestärkt aus der Wahl gegangen sind – wie kam es dann dazu, dass Birgit Hebein keines der grünen Ämter im Rathaus bekommen hat?
Nach dieser Zäsur, jetzt wieder in Opposition zu sein, standen wir vor der Aufgabe, uns neu aufzustellen.
Vor dieser Situation stehen alle Parteien, die nach zehn Jahren Regierungsarbeit nicht mehr in der Regierung sind. Es ist normal, dass es einen da durchrüttelt.
Wir sind gut beraten, gemeinsam diesen Veränderungsprozess Richtung Opposition zu gestalten - und das intern zu machen. Diesem Grundsatz war man nicht immer ganz treu.
Dass Hebein bei der Ämterverteilung leer ausgegangen ist, hat in der Basis gehörig für Wirbel gesorgt. Bei einer Partei wie den Grünen, die stolz darauf ist, basisdemokratisch zu sein: Wie kann es denn sein, dass Entscheidungen gegen die Basis fallen?
Wir haben diese Entscheidungen gemeinsam getroffen, natürlich in einer Wahl. Und die Entscheidung wurde auch von Vertretern der Basis im Parteirat bestätigt – immer mit überwältigender Mehrheit.
Ich möchte betonen, dass nicht nur die nicht amtierenden Stadträte und der Klubchef gewählt wurden, sondern ganz viele weitere Funktionen, etwa die Zuteilungen zu den Ausschüssen. Diese weiteren Entscheidungen waren alle einstimmig. Ich sehe daher eine geeinte neue Truppe - auch wenn es an der einen oder anderen Stelle ein bisschen gerumpelt hat.
Die Spitzenwahl hat offenbar eine Spitzenkandidatin und in weiterer Folge eine Parteichefin gebracht, die bei den Funktionären offenbar keinen Rückhalt hat. War die Spitzenwahl ein Fehler?
Wir haben schon bei Einführung der Spitzenwahl beschlossen, dass wir nach der Wien-Wahl alle neuen Prozesse und Gremien evaluieren werden. Das wird auch passieren. Die Öffnung der Partei war jedenfalls richtig, davon werden wir sicher nicht abrücken.
Das heißt, die Spitzenwahl 2018 könnte also die erste und letzte Spitzenwahl sein, die abgehalten wurde?
Nachdem die Spitzenwahl eine Kann-Bestimmung ist: ja.
Fakt ist: Demnächst suchen die Grünen wieder einen Parteichef, weil Birgit Hebein ja angekündigt hat, sich zurückzuziehen. Hand aufs Herz Herr Kraus: Wollen Sie ihr Nachfolger werden?
Mir ist wichtig, das zuerst intern abzuklären. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Grünen nicht gut beraten sind, personelle Entscheidungen öffentlich zu diskutieren.
Was muss ein neuer Parteichef können?
Die neue Rolle der Grünen als konstruktive Oppositionspartei in Wien gut ausfüllen. Wir sind eine Partei, die in den Bezirken teilweise in Regierungsverantwortung ist, und dort zeigt, was grüne Politik im persönlichen Lebensumfeld heißt. Wir sind eine Partei, die auf Stadtebene in Opposition ist und sich trotzdem bei manchen Themen mit eigenen Ideen einbringen wird.
Und wir sind eine Partei, die Rot-Pink kritisieren wird, wenn sie Klimafehler der vergangenen Jahrzehnte weitermachen wird.
Rot-Pink ist ein schwieriges Gegenüber für die Grünen, weil das Regierungsprogramm viele grüne Ideen beinhaltet. Was bleibt denn da noch übrig für die Grünen als Oppositionspartei?
Das einzig Grüne in diesem Programm sind die Überschriften. Da wird Greenwashing betrieben, Rot-Pink hat die grünen Ideen der vergangenen zehn Jahre kopiert.
Aber wenn man die jetzt umsetzen würde, dann wäre das ja gut?
Es mangelt an den Maßnahmen: Ich kann nicht im Regierungsprogramm über Klimaneutralität reden, aber im ersten Verkehrsausschuss hunderte Millionen Euro für eine Quasi-Stadtautobahn (gemeint ist die Stadtstraße, für die kürzlich die Vergabe beschlossen wurde, Anm.) freigeben.
Und so viel Erfahrung haben ich mittlerweile schon: Teile der SPÖ haben nicht unbedingt Interesse daran haben, dass im Bereich Klima viele Maßnahmen umgesetzt werden. Da ist in der Koalition die Bremse schon eingebaut.
Das leiten Sie daraus ab, dass die Grünen in den vergangenen Jahren in der Koalition an Klimaprojekten gescheitert sind?
Es braucht ein strukturelles Herangehen im Bereich des Klimaschutzes. Vieles, was den öffentlichen Raum und den Verkehr betrifft, ist ja nicht nur Stadt-, sondern auch Bezirksangelegenheit. Diese Aufgabe, die Bezirke bei der Erreichung der Klimaziele ins Boot zu holen, das hat dieses Regierungsprogramm definitiv nicht geschafft.
Die neue Verkehrsstadträtin Ulli Sima hat genau das versprochen: die Bezirke einbinden und mehr Grün schaffen. Das klingt doch eigentlich erfreulich.
In den Überschriften schon – siehe Stadtstraße. Ich erinnere daran: Vor der Wahl wollten die Neos die 460 Millionen Euro für diese Straße nehmen und ins Gesundheitssystem investieren. Und jetzt ist die Straße ohne Änderungen, ohne Re-Dimensionierung durchgewunken worden.
Das Projekt ist allerdings schon zu einer Zeit entstanden, als die Grünen in der Stadtregierung waren. Wieso hat man dem nicht früher einen Riegel vorgeschoben?
Wir haben zehn Jahre lang an der Re-Dimensionierung gearbeitet. Jetzt werden Betonprojekte wieder durchgewunken.
Jetzt gibt's da aber auch andere Projekte, die ganz gut klingen für Grüne, Stichwort Erhöhung des Radweganteils. Dagegen können auch die Grünen nichts haben, oder?
Haben wir auch nicht. Wir werden derartige Maßnahmen unterstützen und unser Know-how einbringen.
Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, was im Regierungsprogramm steht. Jetzt die Gegenfrage: Was fehlt?
Alles, was unangenehm ist - gerade im Klimabereich. Und die Corona-Krise. Wie man mit den Auswirkungen auf das Gesundheitssystem und auf Wirtschaft und Arbeit in der Stadt umgehen möchte, ist nur sehr fragmentiert drinnen.
Was bräuchte es da?
Einen parteiübergreifenden Schulterschluss, um die Arbeitslosigkeit und die Schwierigkeiten für Ein-Personen- und Kleinunternehmer bestmöglich abzufangen. Da braucht es eine gute Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Eine Stadt kann es sich nicht leisten, ein eigenes Programm zu fahren.
Sie sind also für mehr Zusammenarbeit mit Türkis-Grün, ihre Parteichefin hat zuletzt in einer Rede angekündigt, den Bund vor ihrem Abgang noch ärgern zu wollen. Hat Birgit Hebein nicht schon genug Leute geärgert?
Diese Pandemie ist für niemanden, der in einer Regierungsverantwortung ist, einfach. Natürlich wird es immer Punkte geben, bei denen man nicht nachvollziehen kann, wie sie entstanden sind.
Zum Beispiel?
Dass man im Lockdown Waffen kaufen konnte, aber Bücher nicht. Ich möchte das aber auch nicht als Vorwurf stehen lassen: Bei einer Pandemiebekämpfung, mit der noch niemand Erfahrung hat, liegt es auch in der Natur der Sache, dass nicht alle auf den ersten Moment richtig ist.
Hebein hat in dieser Rede auch von einer „Versozialdemokratisierung“ der Grünen gesprochen. Wo sehen Sie die?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was damit gemeint ist. Wir sind eigenständige Grüne.
Die Grünen wollen also eine konstruktive Oppositionspartei sein. Können Sie sich eine projektbezogene Zusammenarbeit, wie es sie schon 2006 gab, vorstellen?
Wir werden alle Dinge, die dazu führen, dass es gut abgesicherte Jobs und gute Klimaprojekte gibt, unterstützen und uns schon in der Erarbeitung einbringen. Wo diese Regierung zu langsam ist oder unvollständig arbeitet, da werden wir eigene Vorschläge machen.
Es gibt ja immer viel Kritik an den Posten der nicht amtsführenden Stadträte. Die ÖVP sagt, man könnte ihnen einen Aufgabenbereich geben – und hat ihren beiden Stadträtinnen fiktive Ressorts zugeteilt. Wo sehen Sie Ihre inhaltlichen Schwerpunkte – auch in Abgrenzung zu ihrer Amtskollegin Judith Pühringer?
Ich lass mich von Namensschildern nicht aufhalten. Wir werden unsere Expertise in der Arbeitsmarktpolitik und im Klimaschutz zusammenführen und uns aktiv einbringen. Die Stadt ist uns zu wichtig, um uns auf Fundamentalopposition zurückzuziehen.
Judith Pühringer wurde ja von Birgit Hebein in die Partei geholt, jetzt war sie an ihrer Demontage beteiligt. Wie elegant ist das?
Wir sind ein gemeinsames Team. Unsere Eleganz wird man an der Zusammenarbeit und an den Projekten der nächsten Jahre messen.
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