Birgit Hebeins Intermezzo: 19 verlorene Monate für die Grünen
Die Wiener Grünen stehen dieser Tage dort, wo sie bereits vor rund zwei Jahren waren: vor einem Neuanfang. Birgit Hebein hat am Montagabend (wie im Vorfeld angekündigt) ihren Sessel als Chefin der wichtigsten grünen Landesorganisation geräumt.
Parteisekretär Peter Kristöfel übernimmt ihre Agenden interimistisch. Ihren letzten Arbeitstag als Vizebürgermeisterin hatte Hebein bereits im November. Ihr Intermezzo in vorderster Reihe ist nun vorbei.
Nun muss eine neue Führungsfigur gefunden werden – schon wieder. Und doch ist etwas anders als bei Maria Vassilakous Rückzug Ende 2018: Die Ausgangssituation ist deutlich komplizierter. Und das liegt auch an Birgit Hebein.
Die 54-Jährige hat der Stadt viele Aufreger gebracht: Pop-up-Radwege, temporäre Begegnungszonen und die Debatte um die „autofreie“ Innenstadt zum Beispiel.
In ihrer Leistungsbilanz findet sich aber auch Bleibendes: Vier Straßen wurden in (begrünte und abgekühlte) „Coole Straßen“ umgebaut – Hebeins Herzensprojekt.
Was sie ihrer Partei hinterlässt? Kurz gesagt viel Durcheinander.
Dieses Durcheinander hat zwei Gründe. Erstens: das Ausscheiden der Grünen aus der Rathauskoalition, für das Hebein maßgeblich verantwortlich ist.
Anders als Hebein übernimmt ihr Nachfolger keine gut geölte Regierungspartei, sondern muss eine eingerostete Oppositionspartei führen. Eine Oppositionspartei, die 2025 unbedingt wieder mitregieren will – und sich deshalb in Konstruktivität fast überschlägt.
Anhand der Wortmeldungen im Gemeinderat fällt es oft schwer, zu unterscheiden, ob gerade ein Mandatar aus der Regierungsfraktion oder aus dem grünen Klub spricht.
Der neue Parteichef muss den Grünen erst wieder Opposition lernen. Das schwebte den Grünen wohl nicht vor, als sie vor zwei Jahren – unter anderem mit der Kür Hebeins zur Front-Frau – eine Erneuerung der Partei ausriefen.
Interner Streit
Zu diesen inhaltlichen Brocken kommt der zweite Grund des Durcheinanders: die internen Streitereien. Sie sind derzeit viel verfahrener als rund um Vassilakous Rückzug.
„Ich tarockiere gerne. Wenn möglich, die ganze Nacht.“ - Für Hobbys wie dieses hat Birgit Hebein nun wieder mehr Zeit.
„Man spürt die Kraft. Rot-Grün mit Ludwig/Hebein ist spürbar.“ - Hebein übt sich nach dem Sondierungsgespräch mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in Selbstmotivation und ignoriert die pinke Konkurrenz.
„Fürchten Sie sich nicht, er wird nicht explodieren.“ - Unter einem Baum sitzend schickt Hebein via Twitter Grüße aus der „Wald-Stadt“ Wien an US-Präsident Donald Trump.
„Natürlich mache ich linke Politik – was denn sonst?“ - Nach ihrer Kür zur Spitzenkandidatin positioniert sich Hebein gegen Türkis-Blau.
„Geben Sie dem Projekt eine Chance“ - Hebein fleht für den Gürtelpool – obwohl den Aufreger ausnahmsweise nicht sie initiiert hat, sondern zwei Bezirkschefs.
Damals wollte man die internen Gräben mit einem komplizierten Spitzenwahlsystem, das Lagerbildung verhindert, zuschütten.
Hebein siegte als Kompromisskandidatin. Möglicherweise hat man die späteren Kämpfe damit aber sogar befeuert.
Denn Hebein wurde vom grünen Klub (unter Führung ihrer Konkurrenten Stadtrat Peter Kraus und Klubchef David Ellensohn sowie der Quereinsteigerin Judith Pühringer) unsanft aus dem Rathaus befördert.
Internes Stillhalten
Grün-intern rief das starke Irritationen hervor – allen voran an der Basis. Das Triumvirat muss jetzt Gras darüber wachsen lassen: Vor allem Kraus verhalte sich derzeit auffällig still, ist aus Parteikreisen zu hören.
Die Rivalen
Judith Pühringer hat die Chance, die ihr Birgit Hebein gab, genutzt: Im Wahlkampf von der Ex-Parteichefin zu den Grünen geholt, wurde Pühringer an Hebeins Stelle nicht amtsführende Stadträtin. Und sie könnte bald eine noch wichtigere Rolle spielen ...
Die Rivalen
.... Als Teil eines Führungsduos mit ihrem Amtskollegen Peter Kraus könnte sie den Parteivorsitz übernehmen. Klubchef Ellensohn hat sich selbst aus dem Rennen genommen: Er wird sich laut Presse nicht als Parteichef bewerben.
Die Kritiker
„Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Birgit Hebein“, sagte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Tag ihrer Angelobung. Da wusste der Stadtchef noch nicht, welche Konflikte ihm noch bevorstanden. Nach außen verbarg er seinen Ärger weitgehend ...
Die Kritiker
... und schickte fürs verbal Grobe den Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ) aus. Dieser nahm sich kein Blatt vor den Mund und schimpfte etwa den Pop-up-Radweg in der Wagramer Straße als „Pfusch“.
Der Einspringer
Wenn es bei den Wiener Grünen brenzlig wird, dann taucht Peter Kristöfel auf der Bildfläche auf. Aber nicht, weil er die Ursache der Spannungen ist. Sondern weil er einspringt, wenn kurzfristig jemand für Ordnung sorgen soll. Das war im Jahr 2018 so – als sich Joachim Kovacs als Landessprecher zurückzog, übernahm Kristöfel dessen Position, obwohl sie bald darauf abgeschafft wurde. Und er hilft auch jetzt aus, bis ein fixer Nachfolger für Hebein gefunden ist.
Bis das interne Rennen um Hebeins Nachfolge offiziell losgeht, soll man den Coup offenbar vergessen. (Und das hemmt den Klub zusätzlich, sich in der Oppositionsrolle zu finden.)
Entscheidung im Juni
Eines dürften die Wiener Grünen aus 19 Monaten Birgit Hebein aber gelernt haben: Wer sich in der Partei halten will, braucht keine Kompromisse. Sondern eine Hausmacht (wie sie etwa Kraus hat).
58 Tage sind von Hebeins Ankündigung, als Parteichefin zu gehen, bis zu ihrem tatsächlichen Rückzug vergangen – bei Maria Vassilakou waren es fast 300. Hebein war 17 Monate (Juni 2019 bis November 2020) Vizebürgermeisterin, Planungs- und Verkehrsstadträtin. Bis Montag war sie zudem Parteichefin.
14,8 Prozent der Stimmen hat Hebein am 11. Oktober geholt. Das ist das beste Ergebnis, das die Grünen je bei einer Wien-Wahl erreicht haben.
13.149,90 Euro brutto stehen Hebein laut Gesetz nun monatlich zu. So hoch ist die auf sechs Monate begrenzte Bezügefortzahlung für ihre Ämter.
Wohl deshalb soll der nächste Parteichef in einem einfacheren, aber noch nicht näher definierten Wahlverfahren gekürt werden – wahrscheinlich im Juni auf der Landesversammlung.
Bis dahin hätten die Grünen auch noch Zeit, Hebeins Verabschiedung vorzubereiten. Liebevoll zusammengestellte Erinnerungsvideos und rührende Reden wie für Maria Vassilakou gab es für Hebein nämlich (noch) nicht.
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