Gewalt, Ausschreitungen, Armut: Ein Teufelskreis auf Wiens Straßen
Schießereien in Parks, Messerstechereien bei Bahnhöfen, Ausschreitungen bei Demonstrationen in der Innenstadt, mehr vermeintlich wohnungslose Menschen auf den Straßen: Der öffentliche Raum Wiens ist derzeit Schauplatz vieler Herausforderungen – jede davon steht für sich und doch hängen sie zusammen und bedingen einander zu einem gewissen Teil.
Der Versuch, den Teufelskreis zu erklären, beginnt nicht auf der Straße, sondern innerhalb von vier Wänden.
Konkret in der Heiligenstädter Straße, einem sogenannten Problemhaus in Döbling, das vor wenigen Wochen von der Gruppe Sofortmaßnahmen kontrolliert worden ist.
Die Zustände: katastrophal. Bauschutt, heruntergekommene Wände, zugemüllte Wohnungen und Gänge, kein Strom und Gas. Die Bewohner sind anerkannte Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund. "Kein Österreicher würde hier wohnen", sagte damals einer der Bewohner.
Tagesfreizeit im öffentlichen Raum
Auch in Favoriten, für seine Probleme bekannt, gibt es viele solche Häuser. Das sei einerseits eine Ausbeutung geflüchteter Menschen, sagte Bezirksvorsteher Marcus Franz (SPÖ) im KURIER-Interview und andererseits – und nun geht es zurück auf die Straße - "ist es in diesen Unterbringungen stickig und unhygienisch. Natürlich müssen sie den Großteil ihrer Tagesfreizeit im öffentlichen Raum verbringen."
- Gewalt
Großeinsätze der Polizei häuften sich zuletzt: Vergangene Woche kam es zu einer Schießerei am Yppenplatz in Ottakring. Davor kam es zu Bandenstreitigkeiten mit Schusswaffen und Messern beim Bahnhof
Meidling und in einem Park in der Brigittenau - Ausschreitungen
Am Samstag wurden Teilnehmer einer Kundgebung der rechtsextremen Identitären von linken Aktivisten aktiviert. Gäste aus umliegenden Lokalen flüchteten teils in Panik - Armut
Besonders die Anrainer der
Mariahilfer Straße berichten von mehr Obdachlosigkeit. Die Hitze treibt aber auch viele Menschen auf die Straße, die prekär wohnen
Umso mehr, wenn Sommer ist, da die prekären und beengten Zustände bei Hitze noch schlechter auszuhalten sind. Das erklärt laut Fonds Soziales Wien auch, warum man derzeit den Eindruck hat, dass es mehr Obdachlose gibt: "Nicht alle, die so aussehen, sind es auch."
Ohne Perspektive in die Kriminalität
Arbeitslosigkeit, besonders von jungen Männern, kommt noch erschwerend hinzu. Etwas, das Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer zur Presse sagte, von der er nicht als Politiker, sondern als Ex-Polizeichef befragt wurde. Perspektivlosigkeit führe schnell in die Kriminalität, so Mahrer, und wer im Job keine Anerkennung bekomme, sei zusätzliches "leichtes Beuteobjekt für kriminelle Banden2.
Die Bandenkriminalität ist in den vergangenen Wochen ausgeufert. Das hat das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung massiv beeinträchtigt – da nutzt es auch nicht, dass Wien zum wiederholten Mal als lebenswerteste Stadt der Welt ausgezeichnet worden ist.
Wenn das Sicherheitsempfinden schwindet, steigen Ressentiments gegen Migranten.
Das zeigt sich unter anderem auch in den gegrölten "Ausländer raus"-Parolen zu einem Lied von Gigi D’Agostino, die immer wieder Schlagzeilen machen, etwa erst am Mittwoch in Graz.
Rechtes Gedankengut im Aufwind
Dass es weniger Scheu gibt, rechtes Gedankengut öffentlich zu verbreiten, liege daran, dass die Menschen das Gefühl hätten, auf der "Siegerseite zu sein, weil sich der Migrationsdiskurs verschoben hat", wie Politexperte Thomas Hofer im KURIER erklärte. So fallen alle heimischen Parteien mit einer härteren Gangart bei der Integrationsfrage auf.
Durch diese Entwicklung bekommen auch die rechtsradikalen Identitären mehr Aufwind, die seit der Corona-Pandemie immer mehr Zuspruch – oder zumindest weniger Ablehnung von Teilen der Gesellschaft - erfahren. Das wiederum ruft die extreme Linke auf den Plan, die auch mit Gewalt gegen Kundgebungen der Identitären vorgeht, wie vergangenen Samstag.
Lösungen werden gesucht
Eine Antwort, wie man all diesen Entwicklung Einhalt gebieten kann, gibt es bis dato keine. Nur Lösungsansätze.
Da wären Maßnahmen, die kurzfristig greifen, wie etwa ein Waffenverbot. Rund um den Reumannplatz wurde es von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bereits verordnet. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wünscht sich eine Ausweitung auf ganz Wien.
Vorschläge zu Mindestsicherung und Strafmündigkeit
Andere Vorschläge drehen sich darum, die Gewalt zu verhindern und/oder Menschen in die Erwerbstätigkeit zu bringen. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) ließ Anfang der Woche aufhorchen.
Er sprach sich dafür aus, dass die Mindestsicherung österreichweit einheitlich geregelt werden soll, wobei die anderen Bundesländer nicht Wien als Vorbild nehmen sollen: Sprich Wien solle die Mindestsicherung kürzen. Etwas, das sich auch die ÖVP vorstellen kann. Diese wünscht sich auch eine Absenkung der Strafmündigkeit von derzeit 14 Jahren.
Die Wiener Grünen fordern indes ein Paket gegen Problemhäuser, das die Eigentümer mehr in die Pflicht nimmt und verhindert, dass Menschen künftig so unwürdig leben müssen wie oben beschrieben.
Ob etwas davon der Weisheit letzter Schluss ist, wird sich noch weisen. Fix ist nur, dass der Teufelskreis durchbrochen werden muss.
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