Verbot gefordert: Katerstimmung nach Ausschreitungen bei Wiener Demos
Nachdem Kundgebungen in der City am Wochenende eskaliert sind, werden nun Konsequenzen diskutiert. Unternehmer berichten von verängstigten Kunden und einbrechenden Umsätzen.
Umgestoßene Tische, zerbrochene Gläser und panische Touristen, die in umliegenden Lokalen Schutz suchen. Dazwischen „Shooter“-Rufe, vermummte Männer und Knallgeräusche. Was sich am Samstag am Graben in der Wiener Innenstadt abspielte, erinnert die ansässigen Gastronomen an Szenen aus der Terrornacht vom 2. November 2020.
Die Ausgangslage vergangenes Wochenende war aber eine andere: Die rechtsextremen Identitären hatten in der Innenstadt mobil gemacht, um gegen die gegen die Migrationspolitik der Regierung zu demonstrieren. Linke Aktivisten hatten zur Gegenkundgebung gerufen. Die Polizei war bemüht, die Protestzüge voneinander fernzuhalten. Radikale Linke, ausgestattet mit Böllern, hatten andere Pläne, verließen die angemeldete Demoroute, um die Identitären zu stören, und versetzten so Passanten am Graben in Panik.
„Das klingt im Nachhinein übertrieben, aber die Leute dachten, das sind Schüsse“, erzählt Café-Betreiber Meik Ahmadian, bei dem sich mehrere Flüchtende verschanzten. Dem 53-Jährigen zufolge lagen Handys auf der Straße, die Menschen seien um ihr Leben gerannt. „Ein kleines Mädchen bei mir im Lokal hat geschluchzt, dass es nicht sterben will“, schildert der Gastronom.
Millionenverluste
Schon wenig später sei die Polizei da gewesen, um ein Aufeinandertreffen zwischen Links und Rechts zu verhindern. Obwohl sich dabei herausstellte, dass keine Gefahr für die Allgemeinheit bestanden hatte, war die „Luft danach draußen“, so Ahmadian. Viel Eis und Kaffee habe er an dem Nachmittag nicht mehr verkauft. Seinen Kollegen in bester Innenstadtlage sei es ähnlich ergangen. Zum Umsatzentgang dürfte für einige Betriebe noch der Sachschaden kommen sowie der Verlust, der durch geflüchtete Gäste entstand, die nicht mehr zurückkamen, um zu bezahlen.
All das sei ärgerlich, bestätigt Dieter Steup, Wirtschaftskammer-Obmann im 1. Bezirk. Für problematischer hält er aber den Imageverlust, den Wien als Tourismusstandort dadurch erleidet. Dementsprechend bekräftigt die Wirtschaftskammer Wien dem KURIER gegenüber einmal mehr ihre Forderung, Demorouten im gesamten Stadtgebiet zu bestimmen, um die Innere Stadt zu entlasten. Eine Berechnung aus 2021 hätte ergeben, dass die ansässigen Händler durch die vielen Demos am Ring 23 Millionen Euro an Umsatz verloren hätten.
Hört man sich vor Ort um, erfährt man, dass einige Betriebe gar nicht mehr öffnen, wenn große Demos angekündigt sind. Vielen Unternehmern sind vor allem die wöchentlichen Anti-Corona-Maßnahmen-Demos schlecht in Erinnerung geblieben. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wolle man nicht einschränken – es sei aber problematisch, wenn immer die gleichen Straßen lahmgelegt würden. So würden etwa laut Wirtschaftskammer rund 300 Arbeitsplätze wegfallen.
Verbot prinzipiell möglich
Die zuständige Wiener Polizei betont, dass ein Verbot nicht ohneweiters möglich ist: „Das Versammlungsrecht ist ein verfassungsmäßig geschütztes Recht. Als Behörde können wir lediglich in einem engen Rahmen festlegen, in welchem Umfang und über welche Route eine Versammlung stattfindet“, erklärt ein Polizeisprecher. Eine Demo zu untersagen, sei etwa dann möglich, wenn diese den „Strafgesetzen zuwiderläuft“ oder „deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit gefährdet“.
Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck vertritt die Meinung, dass nach Vorfällen wie am Samstag – ein Polizist, der von Demonstranten beworfen wurde, erlitt einen Schienbeinbruch, zwei weitere wurden leicht verletzt und Dutzende Unbeteiligte rannten panisch durch die Stadt – bei künftigen Kundgebungen der involvierten Gruppierungen ein Verbot prinzipiell im Raum stünde.
„Basierend auf der Vergangenheit trifft die Polizei Prognoseentscheidungen. Böller auf die Beamten zu werfen, geht zum Beispiel gar nicht. Wenn so etwas wiederholt vorkommt, könnte die Behörde wohl auch ein Verbot vor dem Verfassungsgerichtshof nachvollziehbar argumentieren“, glaubt der Verfassungsjurist.
Eine bloß allgemeine Befürchtung, es könnte zu Ausschreitungen kommen, genüge aber nicht. In der Praxis sei die Auflösung einer Kundgebung oft ohnehin einfacher umzusetzen, als diese gänzlich zu untersagen. Die Sorge des Handels, dass sich Links-Rechts-Demos nach der Nationalratswahl im September häufen und der Handel darunter leide, würden ebenfalls nicht ausreichen, um diese zu untersagen. Die Polizei könne nur auf die Veranstalter einwirken, ihre Zeiten und Routen anzupassen. Ob dem dann nachgekommen wird, sei eine andere Frage.
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